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Frankens Milchbauern sterben aus
Sarah-Sophie Schmitt
Sara Sophie Fessner
 |  aktualisiert: 07.01.2016 15:23 Uhr

Seit rund einer Woche ziehen Milchbauern in Protestzügen durch ganz Deutschland, um gegen den Preissturz bei der Milch zu demonstrieren. Mehrproduktionen und Preissenkungen, das sei ein Teufelskreis, so Manfred Gilch, bayerischer Landesvorsitzender des Bundes Deutscher Milchviehhalter (BDM). Auf seinem Hof im mittelfränkischen Hilpoltstein (Lkr. Roth) hat er 70 Milchkühe. Im Interview berichtet er von der Milchquote, den Folgen ihrer Abschaffung und einer düsteren Zukunft.

Frage: Die Milchquote ist seit April abgeschafft. Was bedeutet das für die Milchbauern?

Manfred Gilch: Die Milchquote hat die Milchproduktion in Deutschland gedeckelt. Aber schon mit dem Beschluss, diese Quote auslaufen zu lassen, wurde sie Stück für Stück erhöht und so die Produktionsmenge erweitert. Wir sehen bereits jetzt die kurzfristigen Folgen dieser Entscheidung. Seit April stellen wir fest, dass europaweit die Milchanlieferung deutlich zugenommen hat. Der europäische Milchmarkt läuft über. Dadurch gerät der Milchpreis in unserer Region extrem unter Druck und wird weiter sinken. Das wird das Höfesterben massiv beschleunigen, gerade bei uns in der ländlichen Region, in der wir zumindest bei der Milchproduktion noch bäuerlich strukturiert sind.

Mit der Abschaffung der Quote werden die Milchbauern den gleichen Weg gehen, wie ihn die Geflügel- und Schweinemäster schon beschritten haben. Wenn wir nichts tun, werden wir erleben, dass Milcherzeugung sich mehr und mehr in Großbetrieben konzentriert.

Je mehr Milch, desto niedriger der Preis. Warum produzieren Landwirte nicht weniger Milch?

Gilch: Ein solches Vorgehen hat nur Sinn, wenn alle Milchbauern es gemeinsam machen. Wenn sich beispielsweise nur 70 Prozent daran halten und der restliche Teil die Verknappung stattdessen durch Mehrlieferung wieder kompensiert, ist es sinnlos.

Aber schaufeln sich die Milchbauern so nicht ihr eigenes Grab?

Gilch: Die Bundesregierung setzt sich in Europa maßgeblich dafür ein, dass der Milchmarkt liberalisiert wird. Meiner Meinung nach ist eine völlige Liberalisierung Gift für die Landwirtschaft. Sie bedeutet ja nichts anderes als immer billiger und immer mehr. Das setzt uns Bauern enorm unter Druck. Nur durch Mehrproduktion können Milchbauern die Kosten kompensieren. Das ist ein Teufelskreis. Um ihn zu durchbrechen, muss sichergestellt werden, dass in Krisenzeiten 100 Prozent der europäischen Bauern zur gleichen Zeit die erzeugte Menge, beispielsweise um ein Prozent, zurückfahren können.

Das ist die einfachste, billigste und effizienteste Maßnahme.

Ist der wachsende Markt nicht auch ein Vorteil?

Gilch: Das ist richtig. Zugleich wächst aber auch die Produktion weltweit jährlich um zwei bis drei Prozent. Europa ist mit Abstand der größte Milcherzeuger auf dem globalen Markt. In den Milchkrisen 2009, 2012 und aktuell 2015 waren es immer die Europäer, die aufgrund konstanter Nachfrage in Europa mit ihren Mehrmengen den Weltmarkt am stärksten belasteten und so wesentlich zur Krise beigetragen haben. Deswegen sind wir als Europäer besonders gefordert, uns bei Krisen entsprechend verantwortlich und marktwirtschaftlich zu verhalten. Wir fordern daher, das derzeitige europäische Sicherheitsnetz, das unter anderem Einlagerungsmöglichkeiten umfasst, schrittweise um marktwirtschaftliche Instrumente zu erweitern.

Von welchen Maßnahmen sprechen Sie konkret?

Gilch: Vor einem Jahr wurde bei der europäischen Kommission eine Monitoring-Stelle eingerichtet, die den Markt analysiert. Auf Grundlage dieser Daten, so einer unserer Vorschläge, sollte deutlich früher eingeschritten werden. Derzeit wird erst interveniert, wenn der Milchpreis unter 21 Cent fällt. Da gehen bei den meisten Betrieben schon die Lichter aus. Wir fordern: Ab dem Zeitpunkt, an dem der Markt gesättigt ist, sollte jeder Betrieb, der seine Mengen ausweitet, eine Marktverantwortungsabgabe bezahlen. Es darf sich nicht mehr lohnen, Mehrmengen zu produzieren. Entsprechende Regelungen müssen in Brüssel verabschiedet werden.

Warum reguliert sich der Milchmarkt nicht über Angebot und Nachfrage, wie es andere Märkte tun?

Gilch: Auch der Milchmarkt würde das tun. Aber mit schwerwiegenden Konsequenzen. Als Milchviehbetrieb kann ich meine Kühe nicht kurzzeitig in Urlaub schicken. Ich kann mich nur entscheiden, für immer auszusteigen oder mehr Milch zu produzieren, um die Krise zu bestehen. Wenn wir es so laufen lassen wie bisher, wird sich der Markt über Betriebspleiten regulieren. Das Ergebnis wird sein, dass wir nach zehn oder 15 Jahren kaum noch Betriebe haben werden.

Der Milchbauer wird in Franken Seltenheitswert bekommen. Deswegen hat die Politik die Aufgabe, im Sinne der Gesellschaft zu handeln. Denn auch diese möchte den eingeschlagenen Weg nicht weiter verfolgen.

Was erwarten Sie ganz konkret?

Gilch: In den nächsten Wochen und Monaten sehe ich eine Chance, dass wir politisch etwas erreichen können. Ich erwarte, dass die Bundesregierung ihre Blockadehaltung aufgibt und anders als bislang auch bereit ist, eine europäische Lösung des Problems zu diskutieren. Es ist heuchlerisch, wenn Politiker, statt selbst tätig zu werden, an das Verbraucherverhalten appellieren. Wenn sie die Liberalisierung des Markts einleiten und so auch Preissenkungen in Kauf nehmen, dürfen sie die Verantwortung hierfür nicht abschieben. Ich verlange, dass die Politik offen der Bevölkerung gegenüber kommuniziert, dass sie die Liberalisierung und damit auch diese Entwicklung will.

Was passiert, wenn die Liberalisierung weiter vorangetrieben wird?

Gilch: Dann geht der Markt weiter seinen freien Lauf und wir werden ein massives Höfesterben erleben. Die ländlichen Räume werden ausbluten. Denn die Milch ist bislang auch in Franken ein wichtiger Wertschöpfungsfaktor. Foto: Privat

 
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