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Ortsbesuch
Im Privatjet zum Termin: Am Flughafen Augsburg boomen Privatflüge
Augsburgs Flughafenchef gehen die Hangars aus, ein Kunde einer Bobinger Charterfirma hebt 300-mal im Jahr ab. Die Geschichte einer erstaunlichen Entwicklung.
Flughafen Augsburg       -  Geschäftsführer Maximilian Hartwig auf dem Gelände des Augsburger Flughafens.
Foto: Ulrich Wagner | Geschäftsführer Maximilian Hartwig auf dem Gelände des Augsburger Flughafens.
Fabian Huber
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:27 Uhr

In einer Parkbucht am Stadtrand, an einem Ort, der auf den ersten Blick nicht nach Glamour schreit, vor großen, grauen Hallen, stehen sie also aufgereiht: der BMW X6 aus Nürnberg, der Bentley aus Miesbach, der Jaguar aus München, der Porsche aus Ebersberg. Klischees können Falltüren sein für einen Reporter, aber es hilft ja nichts, es sind die ersten Eindrücke dieser Recherche: blecherne Vorurteile im steifen Januarwind, Millionärsvehikel vor den Hangars am Flughafen Augsburg.

Dem Menschen sind aus Evolutionsgründen niemals Flügel gewachsen und doch träumte er schon immer davon, zu fliegen wie ein Vogel. Und so schwärmte er bald aus, im Zeppelin nach Hamburg, im A320 nach Palma de Mallorca, in der Boeing 747 nach Tokio. Immer höher, immer weiter.

Nie hoben in Deutschland so viele Privatflugzeuge ab wie 2022

Inzwischen hat er erkannt, dass er dem Planeten, dessen Lüfte er erobert hat, genau dadurch Schaden zufügt. Fliegen ist nicht mehr nur Freiheit, sondern auch Verschmutzung. Die letzte 747– das für lange Zeit größte Passagierflugzeug der Welt – verließ im Dezember 2022 ihre Produktionsstätte. Seit drei Jahren findet sich im Duden zwischen Flugsaurier und Flugschanze das Wort Flugscham. Und ins Visier geraten vor allem die, die nicht oft und individuell genug fliegen können.

Vergangenen November blockierte eine Aktivistengruppe den Privatjet-Terminal des Berliner Flughafens. Der französische Verkehrsminister fordert eine EU-weite Beschränkung von Privatflügen. Ausgerechnet in diese Zeit platzte vor zwei Wochen eine Meldung der Süddeutschen Zeitung und des NDR: Nie hoben in Deutschland so viele Privatflugzeuge ab wie im Vorjahr, gut 94.000 an der Zahl. Das ergab eine Auswertung von Daten der Europäischen Organisation zur Sicherung der Luftfahrt (Eurocontrol). 

Ein gebührender Grund also für die Anfahrt zum Augsburger Flughafen, wo ausschließlich privat geflogen wird. Auf dem Notizblock drei Kernfragen: Boomt das Jetgeschäft auch in Schwaben? Wenn ja, wie geht das, wo doch in der Post-Covid-Geschäftswelt angeblich nur noch gezoomt, geteamst und geskypet wird? Und: Meldet das Gewissen da nicht manchmal Mayday, Stichworte: Treibhausgase, Klimakrise, Umwelt?

Auf der Warteliste am Augsburger Flughafen stehen 30 Flieger

Um Antworten zu finden, lässt man die Luxuskarossen links liegen und fährt geradewegs zu auf einen kuchenteigfarbigen, balkonierten – ja was eigentlich – Wohnklotz? Oben lebt tatsächlich noch eine Flughafenmitarbeiterin, darunter hat der Zoll seine Büros bezogen, die Grenzpolizei und Maximilian Hartwig. Seit gut einem Jahr ist er Chef dieses Flughafens, 38 Jahre jung erst, und trotzdem führt er durch Räume, die glauben lassen, man sei zurück in die alte BRD geflogen: Rauputz, Kalender mit rotem Datumschieber, Magnettafeln.

Auf einer davon haften gut 150 Klötzchen, eng gestaffelt, jedes steht für ein Flugzeug, die analoge Parkanzeige des Airports. Drei Sammelhallen gibt es, vier Hangars, aber keinen einzigen freien Platz mehr. Dafür 30 Flieger auf einer Warteliste. Nach aktuellem Stand, sagt Hartwig, „werden wir in den nächsten zwei, drei Jahren noch ein bis zwei Hangars anbauen müssen“. 

Dass AugsburgsAirport wächst, liegt nicht an den beiden Hubschrauberschulen vor Ort, ihr Betrieb stagniert; nicht an den Sportpiloten und Seglerinnen, sie flogen auch schon mal öfter; es liegt an Maschinen wie der Beechcraft Premier I – Platz für sechs Passagiere, Listenpreis: 7,1 Millionen US-Dollar –, die an diesem Tag um 8.00 Uhr nach Eindhoven abhob und um 17.07 Uhr wieder landen wird.

„Ein ortsansässiger Geschäftskunde.“ Mehr will Hartwig nicht verraten. Diskretion ist wichtig in diesem Geschäft. Ein schiefes Bild aber will er schon geraderücken: Dass da Superreiche in tausenden Metern Höhe Moët-Flaschen köpfen und mal eben nach Ibiza in die Sommervilla jetsetten, „mag es sicherlich auch geben“. Die meisten Kunden aber würden ihre Maschinen geschäftlich nutzen. „Die Geschäftsreiseluftfahrt hat zugenommen“, sagt Hartwig. Und zwar, egal wie man rechnet, um mehr als 20 Prozent. Eurocontrol zählte im sogenannten Business-Segment 2019 gut 1300 Starts in Augsburg. Drei Jahre später waren es 1640. In Hartwigs eigener Statistik fallen auch kleine Propellermaschinen in die Spalte Geschäftsflug. Dort stiegen die Zahlen im selben Zeitraum von 7400 auf 9000 Abflüge. 

Am Augsburger Flughafen gibt es einen Raum, der von noch gut 250.000 Passagieren jährlich erzählt. Man erreicht ihn durch eine Automatiktür. Doch der Bewegungsmelder streikt, also nimmt Hartwig den Umweg durch eine Garage, in der ein klappriges Gepäckförderband ins Nichts führt. Er öffnet eine Hintertür und steht dann vor fünf Check-in-Schaltern und einem Metalldetektor auf einem Teppich, der nach Zeit riecht. „Ist schon oldschool“, sagt Hartwig. Die Passkontrolle ist laut Klappschild „vorübergehend geschlossen“. Vorübergehend ist jetzt fast 20 Jahre her. 

„Betrieb wie auf Weltflughafen“, titelte unsere Redaktion zur Eröffnung 1968. Es war Sommer, kleine Maschinen fertigten die Schaulustigen in Rundflügen ab wie Touristenbusse in Rom. Aus dem Sportflugplatz wurde über die Jahre ein kleiner Airport. Reiseunternehmen charterten Ferienflieger ans Mittelmeer. Die hauseigene Fluggesellschaft Augsburg Airways steuerte Düsseldorf an, Köln, Berlin, Hamburg und Leipzig. An Bord gab es Gratiskaffee.

Augsburgs damaliger Wirtschaftsreferent Johannes Hintersberger forderte, hinter dem Liniengeschäft müsse „alles andere im Zweifelsfall zurückstehen“. Viele Menschen im Augsburger Norden wollten das eben nicht, demonstrierten gegen den Fluglärm, rangen der Flughafengesellschaft in Verträgen und vor Gericht Kompromisse ab. Auch deshalb misst die Landebahn heute nur 1594 Meter – zu kurz, um einen Kurzstrecken-Airbus abfertigen zu könnte. AugsburgsFlughafen hatte den Anschluss verloren, sich von seiner Stadt entfremdet. Und als Augsburg Airways auch noch nach München zog und für Lufthansaflog, brach das Kartenhaus zusammen. 

Auch der FC Augsburg hebt regelmäßig von hier ab

Die Insolvenz 2005 war unaufhaltsam, die Aussicht so trüb wie dieser Januar-Dienstag, zurück im Privatjet-Jetzt des Augsburger Airports, wo der Flugplan unter anderem folgende Reisen ausweist: zwei 30-Sitzer aus und zwei nach Marseille (der Werkshuttle von Airbus Helicopters), der Eindhoven-Geschäftsmann, eine Chartermaschine ins schweizerische St. Gallen. Und Flug MHV1900 aus Düsseldorf, Landung 18.40 Uhr: die Fußballprofis von Borussia Mönchengladbach, die am Tag darauf gegen den FC Augsburg spielen werden, der wiederum seit dieser Saison wieder ausschließlich den heimischen Flugplatz nutzt und nicht mehr von Ingolstadt-Manching aus fremdfliegt.

Dass Menschen abheben – wann, wie, wohin sie wollen –, ist auch das Kerngeschäft eines Mannes, der 20 Kilometer südlich des Flughafens, im Industriegebiet von Bobingen, einen Firmensitz mit kleinem Foyer unterhält: zwei Empfangsdamen, Yucca-Palmen, die an der Decke kratzen, eine Kaffeebar. Markus Jäcklin, 47, schwingt sich auf einen Barhocker, zieht das Handy aus seiner Jeans mit den modischen Farbflecken und kann wenige Klicks später sagen, dass er im Vorjahr gut 200 Flugstunden selbst im Cockpit saß. 

Jäcklin hat sich ein kleines Charterimperium aufgebaut. Er vermittelt etwa 25 Piloten für Privatflüge und wartet, versichert, disponiert und managt sechs kleine Businessjets im Auftrag seiner Kunden. Um die Fallhöhe kurz abzustecken: Letzteres kann bis zu eine Million Euro im Jahr kosten. Geflogen ist da noch kein einziger Kilometer. Seine Klientel beschreibt Jäcklin so: „Geschäftsleute mit Projekten oder Standorten in ganz Europa, aus dem Investmentbereich, dem Mittelstand, der Hotellerie. Aber auch Privatleute mit Ferienhäusern.“

Menschen, die sich – und das ist jetzt keine Metapher – vom Familienurlaub in Portugal für drei Stunden und einen Notartermin zurück nach Deutschland fliegen lassen.

So sieht die Umweltbilanz des Flugverkehrs in Deutschland aus

Und was soll Jäcklin dazu schon sagen? Das Geschäft läuft vorzüglich. „Was wir mit unseren Maschinen unterwegs sind, ist gigantisch.“ Als Corona den Linienverkehr am Boden hielt, seien die, die trotzdem fliegen mussten, auf Privatjets und Charterflüge umgestiegen. So hat auch Flughafenchef Hartwig den Boom begründet. Jäcklin glaubt: „Wer einmal privat geflogen ist, wird, sofern er es sich finanziell leisten kann, nie wieder auf Linie zurückgehen.“ Die Flexibilität, die Stressfreiheit, die Zeitersparnis – das alles sei unschlagbar.

Zeit ist Geld. Leistung muss sich lohnen. Staatliche Reglementierung ist schlecht. Der Markt regelt die Dinge selbst. Diese vier Leitlinien bilden Jäcklins Wertequadrat. Fragen nach der Umweltbilanz liegen eher außerhalb dieser Koordinaten. „Natürlich ist es leicht, auf die Geschäfts- und Privatflieger zu zeigen und zu sagen, diese verschmutzen die Umwelt und sollten doch besser Linie fliegen“, sagt Jäcklin dann. „Aber genau diese Personen fahren dann mit dem Pkw zur Arbeit und ihren Geschäftsterminen, und nicht mit dem Bus oder der Bahn. Der Hintergrund ist immer der gleiche: Flexibilität, Zeitersparnis, Privatsphäre.“ 

Laut Umweltbundesamt war der Verkehrssektor in Deutschland 2021 für insgesamt 147 Millionen Tonnen an Treibhausgasen verantwortlich, nur 0,74 Millionen Tonnen davon entfielen auf Inlandsflüge. Doch: Im direkten Vergleich hat das Flugzeug keine Chance. Legt man die durchschnittliche Auslastung für eine Treibhausbilanz zugrunde und lässt den üblichen Strommix für den Zugantrieb mit einfließen, ist ein Kurzstreckenflieger etwa sechsmal schädlicher pro Person und Kilometer als ein ICE. „Bei kleinen Privatjets, die eben nur fünf oder sechs Leute befördern statt 130, kann man noch mal mindestens das Zehnfache draufrechnen“, sagt Udo Becker, der lange auf Deutschlands einzigem Lehrstuhl für Verkehrsökonomie an der TU Dresden saß. Einfache Physik sei das: „Schweres Flugzeug in leichter Luft braucht viel Energie für nur wenige Passagiere.“

In Augsburg spaziert Maximilian Hartwigüber das Vorfeld seines Flughafens. Der Airport schreibt inzwischen wieder schwarze Zahlen, ist aber immer noch ein Zuschussgeschäft. Jedes Jahr lässt die Stadt Augsburg, alleinige Gesellschafterin, gut 1,3 Millionen Euro springen. Das große Geld im Flughafengeschäft wird nicht mit Privatflügen gemacht, sondern am Boden. Der Flughafen München generiert inzwischen mehr als die Hälfte seiner Umsätze mit Einnahmen aus Gastronomie, Parkplätzen, Hotels und Einzelhandel. 

Das Ziel ist: Augsburg soll sich wieder mit seinem Flughafen anfreunden

Hartwig ist anderes ohnehin wichtiger: Augsburg soll sich wieder mit seinem Flughafen anfreunden. Er trifft sich auch zu inoffiziellen Terminen mit einer Fluglärmkommission, um Beschwerden zu bündeln, will wieder erschwingliche Urlaubscharter in den Süden schicken. Ab Februar wird die Augsburger AirlineAlpen Air mehrmals wöchentlich Rundflüge ins bayerische Gebirge anbieten. 

Steigt Hartwig mal selbst ins Flugzeug, zählt die Route über die Alpen zu seinen liebsten. Auch er sieht dann, dass der Zugspitzgletscher Jahr für Jahr dahinschmilzt. Er spricht das offen an: „Jeder, der den Klimawandel leugnet, hat keine Ahnung.“ Ob das nicht ein Dilemma sei, für ihn als Flughafenchef? „Würde ich nicht sagen“, antwortet Hartwig. Er hofft auf synthetische Kraftstoffe, auf elektrische Antriebe, auf ein Ende der 20-Euro-Flüge nach London und auch auf ein bisschen weniger Pauschalurteile: „Man darf nicht nur den Luftverkehr verantwortlich machen. Da gibt es ganz andere Länder und Branchen, die in der Hauptverantwortung stehen.“

Markus Jäcklin sieht seine Hauptverantwortung für den Hauptkunden. Gut 300 Geschäftsflüge spule der im Jahr ab. Am Morgen rief er an: Es sollte diesmal von Stuttgart nach Mailand gehen. Doch der Mann steckte noch in Berlin fest, sein Linienflug war ausgefallen. Jäcklin musste umdisponieren: Er schickte den Jet kurzerhand von Schwaben in die Hauptstadt. Die Maschine war leer, 600 Kilometer passagierlos, ökologischer Fußabdruck auf Big-Foot-Niveau. Wenigstens schaffte der Kunde es pünktlich nach Italien.

Hören Sie sich dazu auch unseren Podcast mit Flughafen-Chef Maximilian Hartwig über den Augsburger Airport und die Zukunft des Fliegens an:

 
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