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Flüchtlinge in Bayern
Sie brauchen mehr als bloß ein Dach über dem Kopf
Täglich kommen Geflüchtete nach Bayern. Die Unterkünfte sind voll. Wenn Flüchtlinge dann nach einer Wohnung suchen wollen, scheitert es manchmal schon am fehlenden Drucker.
Der Flüchtlingsjunge Ramzi Khatoum schaut aus dem Fenster einer Unterkunft in Clausnitz. Foto: Jan Woitas       -  Privatsphäre in Flüchtlingsunterkünften – oft ein rares Gut.
Foto: Jan Woitas, dpa (Symbolbild) | Privatsphäre in Flüchtlingsunterkünften – oft ein rares Gut.
Sonja Dürr, Sarah Ritschel
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:04 Uhr

Ihre Privatsphäre haben die Menschen preisgegeben. Unfreiwillig zurückgelassen bei ihrer Flucht aus Somalia, Afghanistan, Syrien, der Ukraine. Viele von ihnen leben jetzt in Unterkünften für Geflüchtete. Kaum zehn Quadratmeter pro Person sind es dort. Man kann keine Tür hinter sich zuziehen. Nicht in Ruhe einen Eintopf ansetzen und sich auf die Wärme freuen, die sich beim Essen einstellt und ein heimeliges Gefühl vermittelt.

Weil sie das gern hätten, ja dringend brauchen – eine Tür zum Zuziehen, eine eigene Küche, mehr Privatsphäre – sitzt ein Dutzend Geflüchteter heute im Mietkurs des Integrationsvereins Tür an Tür und der Diakonie Augsburg. Wie suche ich nach Wohnungen? Wie läuft eine Besichtigung ab? Welche Unterlagen braucht das Jobcenter? Adil kommt schon zum zweiten Mal in das ehemalige Straßenbahndepot im Stadtteil Rechts der Wertach, um all diese Fragen zu klären.

„Ich bin seit sieben Jahren in Deutschland“, sagt der 42-jährige Syrer bei der Vorstellungsrunde auf Deutsch. „Und ich wohne seit sieben Jahren in einer städtischen Unterkunft.“ Adil, der in Wirklichkeit anders heißt, dürfte mit seiner Familie längst in einer eigenen Wohnung leben. Doch bisher wollte ihm kein Vermieter einen Vertrag geben. Geflüchtet, ein Sohn im Teenageralter, eine Frau mit Behinderung – schlechte Voraussetzungen auf dem Mietmarkt. Fehlbeleger, so nennt man im Amtsdeutsch Menschen wie Adil: Leute, die über Jahre in den Flüchtlingsunterkünften der Städte und Gemeinden leben und so die Plätze für neu ankommende Geflüchtete „blockieren“.

217.000 Menschen suchten 2022 in Deutschland Asyl

Längst wissen viele Kommunen nicht mehr, wo sie Geflüchtete unterbringen sollen. Allein aus der Ukraine sind seit Kriegsbeginn mehr als eine Million Menschen nach Deutschland gekommen. Zudem beantragten im vergangenen Jahr mehr als 217.000 Schutzsuchende aus anderen Ländern hierzulande Asyl. Für Reinhard Sager, den Präsidenten des Landkreistages, ist klar: „Wir haben mehr Flüchtlinge als 2015/16, die Situation ist also dramatischer als damals.“ Und die Lage dürfte sich weiter verschärfen, schließlich kamen allein im Januar mehr als 29.000 Asylanträge hinzu. 

Beim Flüchtlingsgipfel in Berlin vor zwei Wochen hat Sager seiner Wut Luft gemacht. Vier Stunden lang hat er mit Verantwortlichen aus Bund und Ländern beraten. Dann, auf dem Podium, spricht Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) von Arbeitskreisen, die eingesetzt werden sollen und einem digitalen „Dashboard“, das eine bessere Abstimmung über die Versorgung von Flüchtlingen ermöglichen soll. Über mögliche Finanzhilfen für die Kommunen aber werde Kanzler Scholz erst „um Ostern herum“ mit den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der Länder beraten. Es ist der Moment, in dem Reinhard Sager der Kragen platzt. Es wäre besser gewesen, kritisiert er, wenn Olaf Scholz zum Flüchtlingsgipfel eingeladen und das Thema zur Chefsache gemacht hätte.

Sager steht nicht allein da mit seiner Wut. Die Kommunen fühlen sich ignoriert, alleingelassen und hingehalten. Denn letztlich sind es die Landkreise, Städte und Gemeinden, die die Herausforderungen bewältigen müssen. Sie müssen die Flüchtlinge aufnehmen, unterbringen und versorgen. Die Hilferufe sind zuletzt immer lauter geworden. Vor dem Flüchtlingsgipfel haben fünf Bürgermeister aus Nordrhein-Westfalen einen Brandbrief an den Kanzler geschrieben. Auch Jens Marco Scherf, grüner Landrat aus Miltenberg in Unterfranken, hat das Mitte Januar getan. „Wir sind am Ende der Leistungsfähigkeit, es geht nicht mehr!“, war da zu lesen. „Wir haben die Ressourcen nicht mehr, weder beim Wohnraum noch bei der Versorgung, Betreuung und Integration der Menschen.“

Bei AlexEder klingt das nicht viel anders. „Uns steht das Wasser bis zum Hals“, so hat es der Unterallgäuer Landrat bei einer Dienstbesprechung mit den Bürgermeistern zuletzt formuliert. Nun sagt der Freie-Wähler-Mann: „Das Fass ist voll und es läuft immer noch Wasser hinein.“

Zwei Notunterkünfte gibt es im Landkreis Unterallgäu. In Mindelheim hat der Landkreis zuletzt ein leer stehendes Fitnessstudio umfunktioniert – das ist mit 51 Personen nun auch voll belegt. Im ehemaligen Möbellager in Bad Wörishofen hat man die Plätze sukzessive aufgestockt: Vor drei Monaten war dort Platz für 150 Menschen, als das Impfzentrum im anderen Teil des Gebäudes zum Jahreswechsel dichtmachte, hieß es, 250 bis 300 Personen könnten untergebracht werden. Jetzt leben hier 365 Flüchtlinge in Bauzaun-Abteilen, die Platz für maximal vier Personen bieten.

Faktisch sind beide Notunterkünfte im Landkreis belegt. Das Problem ist: Es kommen jede Woche mehr Personen dazu. Das hat mit der Asyldurchführungsverordnung zu tun, die eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge vorsieht. Diese legt fest, dass Schwaben 14,4 Prozent der Hilfesuchenden, die in Bayern ankommen, aufnehmen muss. Tatsächlich waren es in der Vergangenheit weniger, weshalb in den kommenden Wochen und Monaten 2200 ukrainische Geflüchtete auf Schwaben verteilt werden. Innerhalb des Regierungsbezirks hat das Unterallgäu den größten „Nachholbedarf“: 950 Ukrainerinnen und Ukrainer muss der Landkreis noch aufnehmen, dazu 180 bis 200 Asylbewerberinnen und -bewerber aus anderen Ländern.

In Augsburg ist das anders, die Stadt erfüllt ihr Aufnahme-Soll nach Angaben des dortigen Sozialreferats seit langem. 1450 Geflüchtete leben allein in den 65 städtischen Unterkünften. Rund 1100 von ihnen dürften theoretisch eine eigene Wohnung beziehen – darunter die 800 Ukrainerinnen und Ukrainer, die keine Wohnpflicht in einer Gemeinschaftsunterkunft haben. Bei Bewohnern aus anderen Fluchtgebieten gilt: Sobald sie einen sicheren Aufenthaltstitel erhalten, dürfen sie ausziehen und müssen sich selbst um Wohnraum bemühen. Ist jemand krank, schwanger oder hat ein sicheres Einkommen, kann er oder sie auch schon früher aktiv werden. 

Corinna Höckesfeld kennt die Regeln, sie hilft in Augsburg geflüchteten Menschen bei der Wohnungssuche. „Großfamilien haben es am schwersten“, sagt Höckesfeld, Integrationslotsin für die Stadt und eine von vier hauptamtlichen Mitarbeitenden im Wohnprojekt von Tür an Tür und Diakonie. Junge Männer hätten zwar mit den meisten Vorurteilen zu kämpfen, „aber das ändert sich, wenn sie einen Job oder einen Ausbildungsplatz vorweisen können. Dann steigen ihre Chancen.“ Alleinerziehende Mütter würden zwar aus der Ukraine gern genommen, „aber sobald die Hautfarbe eine andere ist und dann vielleicht noch ein Kopftuch hinzukommt, ändert sich das ganz schnell“. Die 35-Jährige kann die Präsentation des Mietkurses nahezu auswendig, so oft haben sie und eine Kollegin den Kurs schon gehalten.

Das Jobcenter bezahlt Wohnungen für Flüchtlinge nur bis zu einem gewissen Betrag

Heute sind verhältnismäßig viele Teilnehmende da, die schon in einer eigenen Wohnung leben, aber eine neue suchen. Ihre Argumentation ist ähnlich: Zu klein sei die Räumlichkeit, und dann noch der Schimmel … „Wir leben mit fünf Personen auf 60 Quadratmetern“, sagt ein Mann. Eine Frau aus Afrika klagt über die Kälte ihrer Wohnung unter dem Dach. „Immer kalt und überall Schimmel.“ Kein Wunder, zu fünft in einer sanierungsbedürftigen Miniwohnung. „Viele Geflüchtete würden jeden Mietvertrag unterschreiben, nur um aus der Gemeinschaftsunterkunft rauszukommen“, sagt Höckesfeld. „Egal, wie klein oder groß die Wohnung ist und in welchem Zustand. Es gibt Fälle, in denen diese Not von Vermietern ausgenutzt wird.“ Das Jobcenter zahlt die Miete bis zu einer festgelegten Obergrenze. In Augsburg etwa hat ein Geflüchteter Anspruch auf 50 Quadratmeter zu einer Bruttokaltmiete von 500 Euro, eine vierköpfige Familie bekommt höchstens 90 Quadratmeter bis zu einer Monatsmiete von 912 Euro.

Oft treffen Geflüchtete bei der Wohnungssuche auf Vorurteile. Für sie sei es leichter, einen Beruf in Bayern zu finden als eine Wohnung, weiß Höckesfeld aus Erfahrung. „Ich sage den Leuten deshalb: Ihr müsst euch auf eine Wohnungsbesichtigung besser vorbereiten als auf ein Bewerbungsgespräch.“ Das begrenzte Angebot erschwert alles zusätzlich.

Wo die Plätze für so viel mehr Geflüchtete herkommen sollen? Im Unterallgäu sagt Landrat Eder: „Wir sind mit unserem Latein am Ende.“ Weil es auch auf dem Land ja nicht nur um die Notunterkünfte geht, sondern um die Frage, wo die Menschen im Anschluss wohnen können. Auf sämtlichen Wegen müht man sich, Wohnraum zu finden und anzumieten, kontaktiert Vermieter, spricht Besitzer leer stehender Gebäude an. Kürzlich hat Eder noch einmal an die Bürgermeister appelliert – auch, weil einige Gemeinden überhaupt keine Geflüchteten aufgenommen haben, andere aber die große Last tragen. Das ist Bad Wörishofen, wo man aktuell 523 Flüchtlinge zählt. Und in Mindelheim, wo derzeit 217 Flüchtlinge leben.

Geflüchtete brauchen Kitaplätze, doch die fehlen schon jetzt

Im Mindelheimer Rathaus fordert der Zweite Bürgermeister Roland Ahne, dass alle Kommunen im Landkreis an einem Strang ziehen: „Die Solidarität kann doch nicht an der Stadtgrenze haltmachen.“ Weil es ja längst nicht damit getan ist, dass die Menschen ein Dach über dem Kopf haben. Es braucht Sprachkurse, Integrationsangebote und für die Kinder Plätze an Schulen und in Kitas. Nur: Was die Kita-Plätze angeht, ist die Not in Mindelheim ohnehin schon groß. Bis Herbst kann man in den städtischen Einrichtungen keine neuen Kinder aufnehmen, weil viele Erzieherinnen fehlen. Drei Mitarbeiterinnen sind schwanger, fünf haben gekündigt. Für die Flüchtlingskinder, die neu nach Mindelheim kommen, will man nun Spielgruppen einrichten, erklärt Ahne. „Wir müssen mit viel Fingerspitzengefühl arbeiten, damit man die eigenen Bewohner nicht vor den Kopf stößt.“

Und es gibt noch mehr Beispiele, wo es knirscht: Vielerorts sind die ehrenamtlichen Helfer erschöpft, das Engagement lässt nach. An den Schulen sind die Drittkräfte knapp, die es braucht, um die ausländischen Kinder im Unterricht zu unterstützen. Und in vielen Fällen dauern die Verfahren zu lange. Zum Teil leben Familien über Jahre in einer Notunterkunft, weil der Aufenthaltstitel nicht geklärt ist. Und dann das Problem der „Fehlbeleger“. Allein im Unterallgäu sind es 200 Personen, anerkannte Asylbewerber, die aber Platz für neu ankommende Flüchtlinge besetzen, weil sie keine Wohnung finden. Landrat Eder ist überzeugt: „Mit Geld allein löst man diese Probleme nicht.“ Ansetzen müsse man vor allem dort, wo die Probleme beginnen – und den Zustrom an Flüchtlingen begrenzen.

Integrationslotsin Corinna Höckesfeld in Augsburg hat ganz andere Vorschläge, zumindest was den Wohnraum betrifft: Angefangen vom sozialen Wohnungsbau, der ins Stocken geriet, bis hin zu weniger komplexen Abläufen in den Jobcentern. „Wir haben hier Geflüchtete, die nie eine Schule besucht haben. Es würde schon sehr helfen, Formulare in einfacher Sprache zu formulieren – oder auf Englisch.“ Mancher Antrag auf Mietunterstützung droht einfach deshalb zu platzen, weil in der Notunterkunft der Drucker fehlt. „Und natürlich müssen wir weiter mit Vorbehalten aufräumen, um den Menschen die Angst vor Geflüchteten zu nehmen.“

Der Mietkurs in Augsburg ist für heute vorbei, Adil aus Syrien wird weiter in den Zeitungen und auf Immoportalen im Internet nach einer Bleibe suchen. Die Tochter einer Frau aus Afrika saß den ganzen Vormittag still in einer Ecke. Während ihre Mutter sich durch die Mappe mit Informationen arbeitete, hat sie ein Bild gemalt. Es zeigt Häuser in den leuchtendsten Farben. Geflüchtete wohnen vermutlich nicht darin. 

 
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