
Etwa eine Woche ist es her, da erfuhr Theresa Fritz, dass die Kindergartengruppe, die ihr Kind besucht, geschlossen wird. Nicht für einen Tag, nicht für eine Woche. Dauerhaft. Warum sie schließt und wie es jetzt weitergehen soll, das erfuhr Fritz nicht. Und sie weiß es bis heute nicht.
Als die Mutter davon erzählt, sitzt sie gerade im Auto. Diese Autofahrt ist in ihrem Tagesablauf die einzige Zeitspanne, zu der sie momentan solche Gespräche führen kann. Ihre Geschichte möchte sie anonym erzählen. Weil sie Sorge hat, dass es für sie ein Nachteil seien könnte, wenn sie sich öffentlich äußert. Die Nachricht von der Gruppenschließung hat den Alltag der Familie Fritz durcheinandergewirbelt. Und sie sind nicht die einzigen in der Region, die momentan mit solchen Problemen umgehen müssen. Weil überall Stellen für Erzieherinnen und Kinderpfleger unbesetzt sind, weil jede Krankmeldung eine Lücke in die ohnehin schon enge Personalplanung reißt, stehen Eltern zusehends vor einer Zerreißprobe.
Je nachdem, was man berücksichtigt, sind in Bayern derzeit 14.500 bis 35.000 Stellen für pädagogisches Fachpersonal in Kitas nicht besetzt. Eine Folge: Für rund 62.000 Kinder, die einen Anspruch auf Betreuung hätten, gibt es keinen Platz. Eine andere: Eltern, die ihre Kinder betreuen lassen, können sich nicht mehr darauf verlassen, dass sie wirklich in die Kita gehen können.
Die Kindergartengruppe schließt unerwartet: Eine Mutter erzählt, wie sie damit umgeht
Fritz sagt: "Ich habe zu viel Stress, um wütend zu sein." Die Betreuung ihres Kindes war für sie und ihren Mann eine Voraussetzung, um den Alltag zu meistern. Fritz arbeitet fast in Vollzeit, ihr Mann in Vollzeit. Großeltern, die verlässlich einspringen und sich um das Kind kümmern können, haben die beiden nicht in der Nähe. Fritz erzählt, dass ihre Mutter, die selbst in Vollzeit arbeite, nun Überstunden abbaue, um das Enkelkind zu betreuen. Auch ihr Leben wurde durch das Kindergarten-Problem ihrer Tochter durcheinander gebracht. "Aber eine langfristige Lösung ist das nicht." Wie soll es dann weitergehen?
Das fragt sich auch Theresa Fritz. Zwar versuche die Gemeinde, in der die Familie lebt, Betreuungsplätze für die Kinder zu organisieren. Doch ob und wann das klappt, weiß niemand. Zudem ist unklar, an wen die entstehenden Plätze vergeben werden.
Kita-Expertin Anette Stein: Familien und Kinderbetreuung werden bei uns als Privatsache behandelt
Stellt sich die Frage: Wie konnte es überhaupt so weit kommen, dass im ganzen Land so viele pädagogische Fachkräfte fehlen, dass Einrichtungen schließen müssen? Eine Frage für Anette Stein. Sie arbeitet bei der Bertelsmann Stiftung und befasst sich mit Fragen rund um die Kinderbetreuung. Stein sagt: "Familien und Kinderbetreuung werden bei uns immer noch als reine Privatsache behandelt. Wenn die Kinderbetreuung nicht funktioniert, ist das eigentlich ein riesiger Skandal. Aber es wird zu einem privaten Problem gemacht." Dabei handle es sich um ein Systemproblem.
"Es wird erwartet, dass alle berufstätig sind, doch die Infrastruktur dazu gibt es nicht." Um das zu ändern, ist aus ihrer Sicht wichtig, dass der Druck aus der Elternschaft wächst. Damit Bund und Länder Geld in die Kinderbetreuung investieren. "Ein Bewusstsein dafür, dass Fachkräfte fehlen, ist da", sagt sie. "Aber das Thema muss jetzt angegangen werden, auch um den Menschen, die noch als Erzieher:in oder Kinderpfleger:in arbeiten, zu zeigen: Es tut sich was, die Situation wird zwar nicht sofort, aber in absehbarer Zukunft besser werden." Damit spricht sie ein zweites Problem an. Denn die Menschen, die Kitas arbeiten, verspüren häufig einen enormen Druck.
Mutter und Erzieherin sagt: "Ich verstehe, warum meine Kolleginnen entscheiden etwas anderes zu machen"
Davon kann auch Maria Jahn erzählen. Sie ist Mutter von zwei Kindern. Ihre Tochter ist fast drei, ihr Sohn fünf. Nach ihrer zweiten Elternzeit wollte sie rasch wieder arbeiten. Das Problem: Sie selbst fand keinen Krippenplatz für ihre Tochter, konnte aber irgendwann eine Tagesmutter finden. Die betreut die Kinder aber nur an drei Tagen in der Woche. Also kann Jahn nur an drei Tagen als Erzieherin arbeiten. "Aber solche Stellen gibt es nicht. Wer in meiner Branche in Teilzeit arbeiten möchte, kann entweder an fünf Tagen weniger arbeiten oder gar nicht", sagt sie.
Sie schrieb Bewerbung um Bewerbung, fand aber keinen Job. Und das, obwohl Erzieherinnen so dringend gesucht werden. Nach etwa einem halben Jahr gelang es ihr über Kontakte, eine Stelle zu bekommen. Inzwischen sagt sie: "Das, was ich momentan mache, hat nicht mehr viel mit dem gemein, warum ich den Beruf mal gelernt habe." Weil so viele Kolleginnen fehlen, kümmern sich immer weniger Erwachsene um immer mehr Kinder. Zeit mit den Kindern zu arbeiten, bliebe kaum.
"Oft gleicht das nur noch einer Verwahrung", sagt Jahn. Und weil sie so offen erzählt, spricht auch sie anonym. Sie fügt an: Sie könne gut verstehen, warum sich viele ihrer Kolleginnen entscheiden, etwas anderes zu machen. Doch genau das ist eine der Gefahren der aktuellen Situation, sagt die Expertin Stein. "Ich glaube, der Beruf ist einer, für den man viele Menschen begeistern kann. Aber dazu muss man ihn jetzt attraktiver machen." Durch eine bessere Bezahlung, dadurch, dass auch Auszubildende bezahlt und vor allem dadurch, dass die Menschen in den Kitas entlastet werden. "Ich glaube zwar, dass das Problem von der Politik inzwischen erkannt wurde, aber es dauert zu lange und wird nicht umfassend genug behandelt. Das geht jetzt zulasten der Kinder, der Mütter, der Erzieherinnen und am Ende auch der Wirtschaft."