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WÜRZBURG
Fachkräftemangel: Bayern gehen die Physiotherapeuten aus
Physiotherapie       -  Teils monatelang bleiben freie Stellen in der Physiotherapie derzeit in Bayern unbesetzt. Der Grund: Es mangelt an Fachkräften und an Nachwuchs.
Foto: Wolfgang Kumm, dpa | Teils monatelang bleiben freie Stellen in der Physiotherapie derzeit in Bayern unbesetzt. Der Grund: Es mangelt an Fachkräften und an Nachwuchs.
Susanne Schmitt
 |  aktualisiert: 15.07.2024 08:56 Uhr

Nicht nur Pflege und Handwerk trifft der Fachkräftemangel – auch in der Physiotherapie fehlt der Nachwuchs. Freie Stellen blieben derzeit bundesweit im Schnitt 157 Tage unbesetzt, sagt Ute Merz, Sprecherin des Deutschen Verbandes für Physiotherapie (Physio Deutschland) auf Anfrage. Im vergangenen Jahr habe sich die Situation verschärft, einen Engpass gebe es mittlerweile in 14 Bundesländern – auch in Bayern. Für die Patienten sind lange Wartezeiten die Folge, Praxen müssen schließen oder können Leistungen nicht mehr erbringen. Jetzt wird der Protest von Aktionsgruppen und Verbänden lauter.

Hohes Schulgeld, geringes Einkommen

Die Ursachen für die angespannte Lage sind landesweit die gleichen. Bis zu 20 000 Euro Schulgeld für die Ausbildung. Später nur rund 2100 Euro Bruttolohn. Eng getaktete Behandlungszeiten von 20 Minuten pro Patient. Und in Praxen häufig unattraktive Arbeitszeiten. „Das schreckt viele ab“, sagt Merz. Deshalb fordert ihr Verband von der Politik unter anderem eine „finanzielle Aufwertung von mindestens 30 Prozent“ und die kostenlose Ausbildung. „Im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung ist dies verankert, die Umsetzung lässt aber leider noch auf sich warten.“

Für die Patienten beutet das laut Physio Deutschland mittlerweile mehr als drei Wochen Wartezeit auf einen Termin, Kapazitäten für Hausbesuche fehlen häufig ganz. Hinzu kommt: Offene Stellen können kaum noch besetzt werden, die berufsspezifische Arbeitslosenquote liegt bei nur 0,9 Prozent. In Bayern sind Jobs in der Berufsgruppe „Nicht ärztliche Therapie und Heilkunde“, zu der Physiotherapeuten sowie beispielsweise Ergotherapeuten oder Logopäden gehören, laut Fachkräfteengpassanalyse vom Juni 2018 sogar 169 Tagen vakant. Und auch in Unterfranken macht sich der Mangel bemerkbar.

Physiotherapeuten werden vergeblich gesucht

Zum Beispiel in Oberwerrn (Lkr. Schweinfurt). Dort schließt die Physiotherapie- und Naturheilkundepraxis Gessner & Albert zum 30. September. Nachdem einer der beschäftigten Physiotherapeuten ausgefallen sei, hätten er und sein Partner Johannes Albert keinen Ersatz gefunden, sagt Christian Gessner auf Anfrage. Die Patienten mussten bis zu sechs Wochen warten, das sei keinem zumutbar. „60 Stunden pro Woche am Patienten zu arbeiten ist dauerhaft unmöglich“, sagt Gessner, der mit seinem Team künftig nur noch am zweiten Standort in Poppenlauer tätig sein wird. „Deswegen haben wir die Reißleine gezogen.“

Das ist kein Einzelfall. Allein rund um Würzburg listet die Jobbörse der Bundesagentur für Arbeit in den letzten acht Wochen 29 neue Stellenangebote für Physiotherapeuten. Im Umkreis der Kurstadt Bad Kissingen sind es sogar 34. Nur: Der Markt ist leer – und der Nachwuchs fehlt.

Sinkende Schülerzahlen: Privaten Physio-Schulen droht die Schließung

„In den vergangenen Jahren sind die Schülerzahlen extrem rückläufig“, bestätigt Sybille von Beck, Leiterin der Berufsfachschule für Physiotherapie der Hans-Weinberger-Akademie in Schweinfurt. Grund dafür: mangelndes Interesse. Schüler würden sich schlicht vermehrt für Berufe in der Industrie entscheiden, wenn man als „Physiotherapeut seine Familie nicht ernähren kann“. Für die Schulen sei das fatal. „Private Träger brauchen Unterstützung“, sagt von Beck. Sonst, so warnt die Leiterin, müssten im ganzen Land zahlreiche Schulen schließen und „dann vergrößert sich der Mangel noch“. Der Freistaat sei hier unabhängig vom Bund in der Pflicht.

Vielen Therapeuten indes dauert die Neuordnung der Ausbildung und die Abschaffung des umstrittenen Schulgeldes zu lange. Am Samstag protestierte die Aktionsgruppe „Therapeuten am Limit“ bundesweit – darunter auch in Würzburg – mit Kreideparolen auf Bürgersteigen gegen die prekären Bedingungen ihrer Branche.

 
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  • peterlesbub
    Kein Wunder, mein Physiotherepeut darf mir als Privatpatienten nur 29 Euro für 30 Minuten berechnen, davon muss er noch seine Praxiskosten bezahlen. Zudem hat er nur eine Privatzulassung, weil angeblich die Kassenzulassungen in unserem Gebiet alle vergeben sind.
    Für solche notwendigen und sinnvollen Arbeiten an den Patienten schlichtweg eine Schande.
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