Eigentlich sei diese Woche nicht viel los gewesen am Hotel, sagt ein Radfahrer. Doch so viele Autos wie an diesem Freitag habe er dort schon länger nicht mehr gesehen. Aus ganz Deutschland und Österreich kamen Männer und Frauen. Sie zogen ihre Rollkoffer hinter sich her und marschierten zur Rezeption des abgelegenen Hotels zwischen Waldrand und Naturschutzgebiet nahe Wemding im Kreis Donau-Ries. Häufig wurden dort schon fragwürdige Veranstaltungen durchgeführt. Rechte Esoteriker feierten etwa im Jahr 2022 ihr "Mutter-Erde-Sommerfest". Zuletzt tagte die AfD im Hotel, Hauptrednerin war Beatrix von Storch. An diesem Wochenende findet im Hotel der "3. Zukunftskongress Deutschlands" statt. Nach Erkenntnissen des bayerischen Innenministeriums handelt es sich um ein Treffen, das in der "Reichsbürger"-Szene beworben wurde. An drei Tagen sind diverse Vorträge angekündigt. Einer befasst sich mit dem Thema "Mögliche Wege ins Deutsche Reich". Wer Näheres über die Redner erfahren will, stößt schnell auf Zusammenhänge mit rechtsextremistischem Gedankengut und ebensolchen Verschwörungstheorien.
An der Rezeption checken die Gäste ein, der Hoteleigentümer verheimlicht im Gespräch nicht, dass ihm die ganze Sache unangenehm ist. Doch viel Zeit zum Reden bleibt nicht, einer der Organisatoren kommt. Der lässt keine Presse bei der Veranstaltung zu, dem Inhaber sei es eigentlich gleich, sagt er unserer Redaktion. Draußen ist die Stimmung gegenüber den Medienvertretern aufgeheizt. Einer der Referenten bezeichnet fast alle als Volksverhetzer, weil sie von "Reichsbürgern" sprechen würden. Nur das selbst ernannte, "alternative" Medium Auf1TV aus Österreich darf im Hotel filmen. Ein anderer Teilnehmer stattet den Medienvertretern einen belehrenden Besuch ab. Auf dem Rückweg sagt er zu einer Person am Telefon: "Wenn man die fotografieren will, dann drehen sie sich um, die feigen Säcke." Eine Teilnehmerin aus München sagt auf Nachfrage, dass sie die Themen interessieren würden. Deshalb sei sie zum Kongress gekommen.
Das Treffen der "Reichsbürger" in Wemding ist das bisher größte in Bayern
Einer der Hauptredner der Veranstaltung ist ein gewisser Hans-Joachim M. In dem Programm, das unserer Redaktion vorliegt, taucht sein Name gleich vier Mal auf. M. ist auch auf der Plattform Telegram aktiv und dort in Videos zu sehen, die als "Geopolitische Analysen" bezeichnet werden. Ein weiterer Redner ist. Dr. Klaus M., der auf Telegram von einem "Verfassungshochverrat" spricht und von den "Betreibern des BRD-Systems".
Das Treffen in Wemding ist, wie Burkhard Körner, der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, unserer Redaktion bestätigt, das bisher größte dieser Art in Bayern. Er rechnet, wie schon bei zwei ähnlichen Veranstaltungen in den Jahren 2022 und 2023 in Thüringen, mit knapp 200 Teilnehmern. Derartige Versammlungen dienen nach Einschätzung der Verfassungsschützer in erster Linie der Vernetzung und der Ideologiefestigung. "Reichsbürger" lehnten mit unterschiedlichen, häufig auch konkurrierenden Erklärungsmodellen das Rechtssystem und die Existenz der Bundesrepublik Deutschland ab. In der Szene gibt es Personen, die Verschwörungstheorien anhängen, dem Rechtsextremismus zugeordnet werden oder esoterisch beziehungsweise querulatorisch orientiert sind. "Die Szene", so sagt Körber, "ist sehr heterogen. Es gibt keine einheitliche Struktur." Man dürfe sich deshalb auch nicht vorstellen, dass aus solchen Treffen am Ende eine homogene Ideologie hervorgehe.
In Deutschland gibt es 23.000 Anhänger der "Reichsbürger"-Szene
Außerdem spielen nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bei diesen Veranstaltungen meist auch wirtschaftliche Interessen eine Rolle. Die Teilnahmegebühr liege in Wemding bei 85 Euro, die Gesamtgebühr inklusive Unterkunft und Verpflegung bei 350 Euro. Auf den Treffen werde dann wiederum für andere Seminare oder sogenannte "Rechtsschulungen" geworben, für die Gebühren im dreistelligen Bereich oder noch deutlich darüber erhoben werden. "Wir stellen immer wieder fest, dass viel Geld in der Szene ist", sagt Körber. Es sei davon auszugehen, dass sie sich aus Spenden und aus den Seminargebühren finanziere. "Bei rund 23.000 Anhängern im Bund, davon rund 5500 in Bayern – da kommt schon etwas zusammen."
"Reichsbürger" galten den Behörden, ähnlich wie sogenannte Selbstverwalter, lange Zeit als lästig, aber harmlos. Das änderte sich in Bayern mit dem Polizistenmord in Georgensgmünd in Mittelfranken im Jahr 2016. Ein Anhänger der Reichsbürgerbewegung hatte sich dort gegen eine Beschlagnahme seiner Waffen zur Wehr gesetzt, einen SEK-Beamten erschossen und drei weitere verletzt. Seither steht die Szene als "sicherheitsgefährdende Bestrebung" unter verschärfter Beobachtung durch den Verfassungsschutz und die Sicherheitsbehörden betreiben ihre Entwaffnung. In mehr als 500 Fällen wurde Szene-Angehörigen mittlerweile die Waffenerlaubnis entzogen, weit über 1000 legale Waffen wurden eingezogen. Etwa 450 der 5500 Reichsbürger in Bayern gelten als gewaltorientiert.
"Reichsbürger" zu mehr als 14 Jahren Haft verurteilt
Im März veröffentlichte die Konrad-Adenauer-Stiftung eine Studie, wonach fünf Prozent der Deutschen Nähe zum Gedankengut der sogenannten "Reichsbürger" zeigen. "Unsere repräsentative Studie zeigt, dass jeder 20. Deutsche der Überzeugung ist, Deutschland werde immer noch von den Besatzungsmächten regiert", sagte Dominik Hirndorf, der Autor der Studie. Besorgniserregend sei, dass sich unter Reichsbürger-affinen Personen ein deutlich erhöhtes Gewaltpotenzial im Vergleich zum Bevölkerungsdurchschnitt zeige.
Fälle, in denen die Szene durch Gewalt auffiel, gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. Einer der prägnantesten ereignet sich 2022 in Boxberg im baden-württembergischen Main-Tauber-Kreis, nicht weit von der bayerischen Grenze entfernt. Ein heute 55-Jähriger feuert damals minutenlang auf Polizeibeamte, die ihm eine Waffe abnehmen wollen, für die er keine Erlaubnis hat. Die Beamten geraten in einen regelrechten Kugelhagel – es grenzt an ein Wunder, dass es bei einem Schwerverletzten bleibt. Vor wenigen Tagen wird der Täter zu einer Haftstrafe von 14 Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Stadt Wemding ruft zu einer Gegendemo auf
Auch der Steinwurf auf die beiden Grünen-Politiker Katharina Schulze und Ludwig Hartmann in Neu-Ulm im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl geht auf das Konto eines Mannes, der als "Reichsbürger" gilt. Und erst im Oktober gab es im Zuge der Ermittlungen gegen die mutmaßliche Terrorgruppe "Vereinte Patrioten" in mehreren Bundesländern Razzien bei "Reichsbürgern, unter anderem in Bayern. Die Generalstaatsanwaltschaft München teilte mit, dass ein in Wolfratshausen festgenommener Beschuldigter sich offenbar an einer geplanten Entführung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beteiligen wollte.
Das Treffen in Wemding kann trotz vieler Bedenken aber nicht untersagt werden, weder nach dem Versammlungs- noch nach dem allgemeinen Sicherheitsrecht. Es handle sich um eine Veranstaltung, die nicht im öffentlichen Raum stattfinde, heißt es aus dem Landratsamt Donau-Ries. Die Stadt Wemding ruft derweil für Samstag zu einer Gegendemonstration auf.