
Das Vorurteil, die europäischen Institutionen wüssten zu wenig von den Bedürfnissen und Sorgen der Menschen und Firmen vor Ort, hält sich hartnäckig. Dass dem nicht so sein muss, zeigte eine Diskussionsrunde mit John Dalli, dem EU-Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz, in Würzburg. Die Europaabgeordnete Anja Weisgerber (CSU) und IHK-Präsident Dieter Pfister hatten das „informelle Abendessen“ mit dem Malteser organisiert. Mit dabei waren Unternehmer aus der Medizin-, Pharma- und Lebensmittelbranche, Patientenberater Jürgen Arlt und Rhön–Grabfeld-Landrat Thomas Habermann als Vertreter der Rhöner Bäderregion.
Aufgrund einer Parlamentsinitiative werden jetzt die Beipackzettel für Medikamente patientenfreundlicher. Eine übersichtliche „Faktenbox“ mit den wichtigsten Stichworten zu Dosierung, Risiken und Inhaltsstoffen soll künftig immer am Anfang der ausführlichen Ausführungen stehen. Außerdem werden alle Beipackzettel zentral im Internet veröffentlicht, so dass sich Patienten auch im Urlaub in ihrer Muttersprache informieren können.
Ein großes Problem stellen Arzneimittelfälschungen dar. Die Zahl der an den EU-Außengrenzen vom Zoll beschlagnahmten Medikamente habe sich zwischen 2006 und 2009 auf 7,5 Millionen Tonnen verdreifacht, beklagt Weisgerber. Deshalb werden nun Echtheitskennzeichen auf den Verpackungen Pflicht, um die Lieferketten besser nachvollziehen zu können. Firmen sollen entsprechend inspiziert werden. Auch müssen die Großhändler die Wege der Medikamente strenger als bisher dokumentieren. Hohe Standards, für die sich auch Unternehmen wie Ebert+Jacobi in Würzburg stark machen.
Mehr Kontrollen im Interesse der Verbraucher versprechen der EU–Kommissar und die EU-Abgeordnete auch beim Umgang mit Medizinprodukten. Ein Skandal wie der um die aus minderwertigem Industriesilikon gefertigten Brustimplantate – von dem allein 7500 Deutsche betroffen waren – soll sich nicht wiederholen. Das EU-Parlament fordert deshalb die Möglichkeit für unangemeldete Kontrollen der Herstellerbetriebe. Außerdem müsse bei „Hochrisikoprodukten“ wie Implantaten auch Jahre nach dem „Einbau“ eine Rückverfolgung von Lieferanten und Produzenten möglich sein.
Rezepte im Ausland einlösen
Gute Nachricht hatten Dalli und Weisgerber schließlich für Patienten, die sich im europäischen Ausland behandeln lassen wollen oder müssen. Bis Oktober 2013 soll die „Patientenmobilitätsrichtlinie“ umgesetzt sein. Zum einen garantiert sie bei ambulanter Behandlung – ohne Genehmigung durch die Kasse – die Übernahme von Kosten in der Höhe der Gebühren, die im Heimatland des Patienten anfallen würden. In akuten Krankheitsfällen gilt das heute schon; künftig dann auch für Behandlungen durch Spezialisten. Das heißt, Patienten aus Portugal oder Estland können unbürokratisch auch in Deutschland oder Schweden zum Facharzt – und umgekehrt. Bei stationärer Behandlung im EU-Ausland bleibt eine Vorabgenehmigung durch die Kasse nötig, um die Kostenübernahme zu regeln.
Die neue Richtlinie soll zudem ermöglichen, Rezepte im EU-Ausland einzulösen – vorausgesetzt das Medikament ist dort verfügbar.