Das Schicksal der Energiewende in Bayern entscheidet sich in den Spritzenhäusern der Freiwilligen Feuerwehren. Im Dörfchen Lauter auf den sanften Hügeln Oberfrankens steht Bürgermeister Ronny Beck im hellen Schulungsraum der Kameraden. An die Wand hat er eine Karte des Dorfes geworfen. Zwei rot schraffierte Dreiecke markieren Becks Problem. Vorranggebiete für Windräder. „Von der Windrichtung her trifft es Lauter voll“, erklärt er seinem CSU-Ortsverband. Er meint damit das Surren der Rotoren, das sich über die dörfliche Ruhe legen würde. 750 Meter trennten Windräder und Häuser.
„Das ist ein gravierender Eingriff in die Landschaft. Wir müssen uns mit viel Energie dagegen wehren“, sagt eine Parteifreundin Becks. „Die haben halt die Dollarzeichen auf den Augen“, sagt ein Parteifreund. „Die“, das sind die Besitzer der Grundstücke, die auf schöne Summen hoffen können – sei es durch Verkauf oder Verpachtung der Flächen. An Interessierten fehlt es nicht. „Die Investoren fallen bei uns ein“, erzählt der Bürgermeister.
Jede Woche melden sich mehrere Windparkentwickler bei ihm und schlagen Projekte vor. Beck hat die Dreiecke nicht selbst in die Karte gezeichnet. Das waren die Beamten des Regierungsbezirkes Oberfranken in ihrem regionalen Entwicklungsplan. Drei Windräder könnten sich dort drehen, vielleicht vier. Beck muss jetzt damit zurechtkommen. Eigentlich hält der die Flächen für ungeeignet. Der Wind bläst nicht so stark, Standortqualität B. Eine Stromleitung müsste neu gebaut werden, dazu ein Umspannwerk. Der Bürgermeister überlegt hin und her, was er machen kann. Soll Lauter mit seinen rund 1500 Einwohnern selbst zum Windmüller werden?
Land mit nur einem Nutzen: Die Windkraft zu verhindern
Ein Windrad kostet zwischen drei und fünf Millionen Euro. Die Investition würde die Finanzkraft des Dorfes übersteigen. „Und dann wissen wir ja nicht, ob wir die Anlagen wirtschaftlich betreiben könnten.“ Der Standort ist ja nur Güteklasse 2. In seiner Not hat sich Beck an seine Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner gewandt. Die 36-Jährige vertritt den Wahlkreis Kulmbach– Bamberg– Lichtenfels seit zehn Jahren in Berlin. Zeulner ist eine Kümmerin, die mit ihrem blauen VW-Golf von Ort zu Ort fährt, um Probleme zu lösen. Vielleicht hat das mit dem Beruf zu tun, den sie einst erlernte. Zeulner ist Krankenschwester. Und sie hat Erfahrung darin, Dinge, die die Mächtigen in Berlin oder München festgelegt haben, vor Ort umzubiegen. „Eure erste Aufgabe ist es, euch die Flächen zu sichern“, rät Zeulner ihren versammelten CSU-Freunden. Es gibt Bier, Limo und Wasser. „Dann gehört euch das, könnt ihr überlegen, macht es für euch Sinn.“
Wenn die Gemeinde die Eigentümerinnen und Eigentümer überzeugen kann, ihr die Flächen zu verkaufen, wäre sie Herrin des Verfahrens. Es besteht keine Baupflicht auf Windvorrang-Gebieten. Andererseits dürfte Beck aber darauf auch nichts anderes bauen. Er bekäme Land, dessen einziger Nutzen darin besteht, dass etwas verhindert wird. Von der Seite blickt Sankt Florian von einer Wand auf Beck, Zeulner und die CSU-Mitglieder. Der Heilige ist der Schutzpatron der Feuerwehrleute. Nach ihm ist ein Prinzip benannt, das gehässig klingt. Es geht so: „Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus, zünd and're an.“ Wenn es um den Bau von Windrädern, Straßen und Schienen geht, wird der Heilige ständig angerufen. In Umfragen unterstützt die große Mehrheit der Deutschen den Kampf gegen den Klimawandel, aber der Kampf soll nicht vor der eigenen Haustür ausgetragen werden.
Seit Jahresbeginn wurden in Bayern für Windräder angeschlossen
In Bürgermeister Beck arbeitet es. Er weiß, dass, wenn sich überall gegen Windräder gesperrt wird, der Klimaschutz misslingt. Er weiß aber auch um die Bedenken seiner Leute aus dem Dorf. Gerade sei es ein bisschen schwierig mit der Akzeptanz. Es sind die Tage, nachdem die Ampel-Koalition ein Einbauverbot von Öl- und Gasheizungen beschlossen hat, das auf das Verbot des Verbrennermotors folgt. Der Krieg in der Ukraine hat schmerzhaft gezeigt, wie schädlich die Abhängigkeit von Öl und Gas aus Diktatorenhand ist. Wind- und Sonnenstrom wurden zu Freiheitsenergien erklärt. Doch zumindest bei Windrädern blieb das Verklärung. In den ersten drei Monaten des laufenden Jahres wurden in Bayern laut Bundesverband Windenergie ihrer fünf an das Netz angeschlossen, ihrer zwei wurden neu genehmigt. Unter den Flächenländern rangiert der Freistaat wieder am Ende des Klassements.
Ob in Lauter die Zahl der bayerischen Windräder erhöht wird, ist offen. Beck will jetzt mit dem Bürgermeister von Stettfeld reden. Auf dem Gebiet des Nachbardorfes liegt ein Höhenzug, wo der Wind stärker weht. Vielleicht nehmen die Stettfelder den Lauterern die Windräder ab. Beck und die Bundestagsabgeordnete Zeulner verabreden, in Kontakt zu bleiben. In den kommenden Jahren müssen im Freistaat knapp zwei Prozent der Landesfläche für Windräder ausgewiesen werden. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hat den Bau von 1000 Windrädern ausgerufen.
Der Fall Lauter könnte sich bald dutzendfach wiederholen. In Franken kommt für die Akzeptanz erschwerend hinzu, dass das Land von großen Stromleitungen durchschnitten wird. Die Trassen bringen den grünen Strom aus Norddeutschlandüber den Thüringer Wald zur Industrie im südlichen Bayern. „Wir sind ein Transitland von Strom“, sagt Emmi Zeulner. In ihren Augen muss das so sein, wenn Deutschland seinen CO2-Ausstoß wie beschlossen auf Null drücken will, aber es gibt Grenzen.
Über fünf Jahre hat sie gegen eine Leitung durch ihren Wahlkreis gekämpft und gewonnen. Den Kampf für Erdkabel an anderer Stelle hat sie verloren. „Die Leute sind zu mir gekommen und haben gesagt, erklär es uns. Aber ich konnte es nicht.“ Das war in Redwitz an der Rodach, dem Ort mit den zwei fränkisch gerollten „R“. Die Steinach fließt hier in die Rodach und die Rodach in den Main. Über dem Wasser thront auf einem Hügel ein kleines Schloss. Das Dorf liegt am anderen Ende des Wahlkreises, etwas mehr als zehn Kilometer von Kronach entfernt. Vier Stromleitungen durchziehen das Gebiet um Redwitz. Ein großes Umspannwerk befindet sich außerhalb. Doch als eine fünfte Leitung mit dem Namen P44 Mod auf hohen Masten hinzukommen und parallel zu einer bestehenden gezogen werden sollte, reichte es den Leuten.
Alle Fraktionen des Gemeinderats stellten sich dagegen, die Vereine des Ortes auch. „Wir waren ohnehin schon komplett eingekastelt. Noch eine Leitung mehr, das ging einfach nicht“, sagt Gemeinderätin Kathrin Mrosek von der CSU. Aus der Jackentasche holt sie einen Zettel mit einer kurzen Rede, die sie damals vor fünf Jahren gehalten hat.
Peter Altmaier kam als Wirtschaftsminister nach Redwitz
Die CSU nutzte ihre Kontakte zur großen Schwesterpartei CDU, die damals mit Peter Altmaier den Bundeswirtschaftsminister stellt. Zeulner lud ihn nach Redwitz ein und der CDU-Mann kam Ende 2018. Er stellte sich dem Zorn - im Spritzenhaus der Freiwilligen Feuerwehr. „Das sind Pläne, die gewaltig im Karton rappeln. Sie können ganze Regionen durcheinanderbringen. Und deshalb muss die Politik vor Ort kommen“, sagte der Minister seinerzeit. Dem Saarländer gelang es mit seiner leutseligen Art, die Wut wie ein Blitzableiter aufzunehmen, abzuleiten und in ein Grummeln zu verwandeln. Am Ende gab es Bratwurst für alle.
Altmaier erinnert sich noch gut an die dampfige Stimmung. Wie er die Energiewende heute bewertet, erzählt er nur im Hintergrund, weshalb es nicht im Internet stehen darf. Am Telefon verrät er nur so viel: Der Bau von Stromleitungen sind Projekte der delikaten Art, für die es viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl braucht. Denn auch bei ihnen greift das Sankt-Florians-Prinzip. Bürgerinitiativen und Gemeinderäte protestieren, Landräte und Abgeordnete nutzen ihre Kanäle in die Zentren der Macht, um eine Trasse zu verhindern oder woandershin zu verlegen, was wiederum die Truppen dort mobilisiert.
Altmaier schloss damals, Mitte 2019, einen Deal mit dem bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger, die P44 Mod wurde still beerdigt. Wie genau das Übereinkommen aussah, dazu schweigt der Ex-Minister.
„Wir sind gutmütige Menschen in Oberfranken, aber verarschen lassen wir uns nicht“, sagt Zeulner. Nach dem Erfolg in Redwitz fügte ihr Aiwanger später eine Niederlage zu. Das Örtchen Neuensorg bei Coburg bekam nicht die erhoffte Erdverkabelung für die Höchstspannungsleitung Ostbayernring. Die Trasse besteht seit den 70er-Jahren, wird aber nun nach und nach verstärkt, um mehr Energie transportieren zu können. Die Kabel bei Neuensorg werden jetzt über neue, mächtigen Metallmasten gespannt, statt unter der Erde zu verschwinden. Der Protest war erfolglos. Zeulner hatte Aiwanger deshalb vor zwei Jahren an den Kopf geknallt, dass sie noch von keinem Mann so enttäuscht worden sei wie von ihm. Seit dem Tag mögen sie sich irgendwie.
Der Ostbayernring endet im Redwitzer Umspannwerk. Gerade werden die letzten alten Masten von Arbeitern mit einem Kran abgebaut. Die Segmente liegen auf den Feldern. Auf den neuen Masten transportieren die Kabel den Strom. Dagegen gab es im Ort keinen Protest. Die Leitung führt am Dorf vorbei. Gemeinderätin Kathrin Mrosek ist der Meinung, dass in Franken viel für die Energiewende getan wird. „In Südbayern, die müssten mehr machen bei den Erneuerbaren.“ Sankt Florian hat aber auch dort seine Anhänger. Und so kommt es, dass von den benötigten 14.000 Kilometern im Hoch- und Höchstspannungsnetz in ganz Deutschland gerade einmal 3000 gebaut sind.