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Garching, München
Bayern will den Platz an der Sonne – und setzt auf Kernfusion
Seit über 30 Jahren wird in Garching an der Kernfusion geforscht. Wissenschaftler sprechen schon vom ersten Kraftwerk. Doch dafür braucht es viel Geld.
Christoph Frey
 |  aktualisiert: 18.04.2024 02:46 Uhr

Der Kern des Ganzen ist nur zu erahnen. Ein Gewirr von Leitungen, Messgeräten, Heiz – und Kühlgeräten verbirgt den gut zwei Meter messenden Metallbehälter nahezu vollständig. "Donut", sagen die Forschenden zu ihm, weil seine Form an das Gebäck erinnert. In dem Ring wird bei Temperaturen von bis zu 100 Millionen Grad Plasma erzeugt, ein Magnetfeld hält es auf Abstand zur Metallwand.

So in etwa funktioniert in der Experimentieranlage in Garching die Kernfusion, die manche Menschen von der sauberen und unerschöpflichen Energiequelle träumen lässt. Kritiker dagegen sprechen von einem teuren Traum, der niemals Realität wird. Ziel der Fusionsforschung ist es, aus der Verschmelzung von Atomkernen in einem Kraftwerk Energie zu gewinnen. Ein Gramm Plasma entspricht einem Brennwert von elf Tonnen Kohle. Die Fusionsbrennstoffe selbst sind billig und auf der Erde gleichmäßig verteilt. 

Kernfusion vor den Toren Münchens

Vor den Toren Münchens forscht das Max-Planck-Institut seit über 30 Jahren an den Grundlagen, die man für den Betrieb eines Fusionskraftwerks benötigt. Mehr als 40.000 Mal hat in der Versuchsanlage schon eine zehn Sekunden lange Fusionssequenz stattgefunden. Von einem "Schuss" sprechen die Wissenschaftler in diesem Fall. Nach jedem Schuss, der in etwa so viel Strom verbraucht wie halb München, muss die Anlage bis zu 20 Minuten herunterkühlen. Für den Betrieb eines Kraftwerks wären Fusionsprozesse nötig, die über Stunden hinweg stabil ablaufen, sagt die Physikerin Rachael McDermott. Der bisherige Weltrekord wurde in Südkorea erzielt und liegt bei knapp 50 Sekunden.

Seit fast 15 Jahren arbeitet die Wissenschaftlerin aus New Hampshire am Max-Planck-Institut und ist überzeugt, dass man sich auf dem richtigen Weg befindet. In Südfrankreich zum Beispiel entsteht der internationale Forschungsreaktor "Iter". McDermott: "Er wird bereits mehr Energie erzeugen, als hineingesteckt wird." Das sei der nächste große Schritt zur kommerziellen Nutzung der Kernfusion. Prof. Sybille Günter, die wissenschaftliche Leiterin des Max-Planck-Instituts für Plasmaforschung, das in Greifswald eine zweite Versuchsanlage hat, demonstriert noch mehr Zuversicht. "Die Frage ist nicht mehr ob, sondern wann und wo das erste Fusionskraftwerk entsteht." Günter hat schon mehrfach gesagt, was in ihren Augen dafür nötig ist: 20 Jahre Arbeit und 20 Milliarden Euro. Im Vergleich dazu nehmen sich die 100 Millionen Euro, die die bayerische Staatsregierung für die Fusionsforschung bis 2028 locker machen will, bescheiden aus. 

20 Milliarden Euro für ein Kraftwerk

Zurück in die Gegenwart: In der stehen der bayerische Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und seine Minister Hubert Aiwanger (FW) und Markus Blume (CSU) auf dem Gelände des Max-Planck-Instituts am Straßenrand und warten auf EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (CDU). Es ist ein Termin nach Söders Geschmack. Bayern wird als der Spitzenstandort der Fusionsforschung in Europa gelobt, die ihrerseits weltweit führend sei. Söder kann also wieder einmal von Champions League sprechen und auch sonst sind beide einer Meinung. 

Bessere rechtliche Rahmenbedingungen, mehr Geld und mehr Tempo seien nötig auf dem Weg zur Nutzung der Kernfusion. "So schwierig diese Technologie ist, so groß ist ihr Potenzial", sagt die Christdemokratin. Es sei wichtig, die regulatorischen Rahmenbedingungen zu hinterfragen. Von der Leyen verweist auf das europäische Halbleitergesetz. "Auch das war ein regulatorischer Rahmen, der der Produktion für Halbleiter in Europa einen gewaltigen Schub nach vorn gebracht hat." Außerdem spricht sich die EU-Kommissionschefin für mehr Investitionen aus – besonders auch in öffentlich-private Forschungspartnerschaften. Auch den Vorschlag einer europäischen Investitionsallianz von Ministerpräsident Söder nehme sie gerne mit. 

Aus diesen Quellen kommt der Strom für Bayern

Am Standort in Garching soll innerhalb der nächsten zehn Jahre ein Demonstrationskraftwerk gebaut werden, denn für Söder ist klar, dass der Freistaat als Standort für diese Zukunftstechnologie im Rennen bleiben muss, um die Energieversorgung zu sichern. "Wir sind und bleiben stromhungrig", sagt Söder, der auch für eine Rückkehr zur Kernkraft wirbt. 

Ein Jahr nach der Abschaltung der letzten drei bayerischen Atomkraftwerke wird der bayerische Strombedarf, der in den nächsten Jahren stark steigen soll, zu über 60 Prozent aus erneuerbaren Quellen gedeckt. Darauf haben Bund Naturschutz und Grüne jetzt hingewiesen. Zudem sei der Anteil des Stroms, der aus Kohlekraftwerken stammt, so niedrig wie seit 1959 nicht mehr. Auch die Strompreise seien im Vergleich zum Vorjahr gesunken. Söders Forderung nach einer Rückkehr zur Kernkraft sei ein Irrweg. Stattdessen müsse der Freistaat mehr für den Ausbau der Erneuerbaren und der Stromnetze tun. 

Ist Bayern wirklich so spitze, wie viele behaupten? Dem gehen wir nach. Dieses Mal mit einem Podcast zum Thema erneuerbare Energien – mit Martin Huber und Ludwig Hartmann.

 
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