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Landshut
Ein Prosit der Gemeinsamkeit?
Politischer Aschermittwoch: Früher hat es der CSU gereicht, sich selbst auf die Schulter zu klopfen. Doch der Höhenflug der Grünen zwingt die Partei, sich am neuen Gegner abzuarbeiten. Also: O?zapft is' für das große Fernduell zwischen Markus Söder und Robert Habeck.
Uli Bachmeier
 und  Michael Kerler
 |  aktualisiert: 05.10.2021 02:32 Uhr

Wer wissen will, ob ein Schriftsteller wie Robert Habeck bierzelttauglich ist, bekommt in Landshut keine Antwort. Denn der Grünen-Chef tritt in einem Theater auf. Bier und Brezen gibt es trotzdem, serviert auf grün-weißen Rautentischdecken. Habecks Defiliermarsch ist eine fröhliche Mischung aus Polka und Klezmer. Klarinette geht schließlich auch als Blasmusik durch. Für Volksfeststimmung reicht es allemal. Mussten die Grünen früher für den Aschermittwoch noch eilig ein paar Leute zusammentrommeln, damit die Fotos in den Zeitungen nachher nicht ganz so trist aussahen, bleibt für viele der rund 600 Zuschauer in diesem Jahr nur ein Stehplatz. Sie alle wollen den Mann hören, der selbst in Niederbayern trachtenjankerresistent bleibt und im schwarzen Philosophenpullover daherkommt.

Beim angeblich „größten Stammtisch der Welt“ in Passau lässt sich Hochstimmung längst nicht mehr automatisch erzeugen. Eine Einpeitscherin muss her. Digitalministerin Dorothee Bär treibt mit schneidend greller Stimme das Publikum in der Dreiländerhalle an. Den ersten spontanen Applaus erntet Franz Josef Strauß – im Film auf Großleinwand. Dann zieht Markus Söder zum Defiliermarsch ein. Anderswo würde man wohl von Begeisterungsstürmen sprechen. Hier ist es so, wie es bei dieser Traditionsveranstaltung halt immer ist: Die Hardcore-Fans der CSU feiern ihren Parteichef und sich selbst. Und Söder weiß ja, worauf es in Passau ankommt. Er muss die richtige Mischung finden. Mit wenigen Worten das Publikum auf seine Seite ziehen. „Der Aschermittwoch ist das Hochamt der Demokratie“, sagt er also und ruft: „Der Chef im Ring ist die CSU und das bleibt sie auch.“ Solche Sätze lieben sie hier.

Und doch ist dieser politische Aschermittwoch anders. Weil sich die Machtverhältnisse im Land verschoben haben. Weil den aktuellen Umfragen zufolge CDU und CSU kommendes Jahr nach der Bundestagswahl vermutlich nur eine einzige Möglichkeit haben werden, an der Regierung zu bleiben – in einer Koalition mit den Grünen. Und deswegen verengt sich auch beim politischen Aschermittwoch in diesem Jahr der Fokus so stark wie nie: auf das Fernduell zwischen Söder und Habeck, Schwarz gegen Grün, Landshut gegen Passau. Seit langer Zeit jedenfalls hat sich kein CSU-Chef beim Aschermittwoch so intensiv mit einem politischen Gegner beschäftigt wie Söder mit Habeck. Er spottet: „Die Grünen machen gerade eine Tofu-Tupper-Party mit Robert Habeck, dem selbsternannten Küstenkavalier und Käpt?n Iglu der Grünen.“ Er attackiert ihn direkt: „Wenn Herr Habeck mal gesagt hat, ,Vaterlandsliebe finde ich zum Kotzen‘, dann kann ich nur sagen: Wer sein Land nicht liebt, kann sein Land nicht führen.“ Und dann ruft Söder noch: „Ein grüner Kanzler – den wollen wir nicht in Deutschland.“

In Habecks Theater machen Söders Verbalwatschn schon die Runde, ehe er selbst gesprochen hat. Der „Küstenkavalier“ kontert mit der maximalmöglichen Gemeinheit. Er erwähnt Söders Namen kein einziges Mal. Das ist in etwa so, wie wenn man im Singspiel auf dem Nockherberg keine eigene Rolle bekommt. Ganz ohne Seitenhieb geht es aber doch nicht. „Ich weiß, dass laut gebrüllt wird, auch heute in Passau. Aber in einer Zeit, in der lautes Brüllen ein Zeichen der Schwäche und der Unsicherheit ist, will ich euch aus Berliner Perspektive einen Blick auf das Brüllen aus Bayern geben“, sagt Habeck. „Wenn der bayerische Ministerpräsident in den ICE steigt, glaubt er, er steigt als Löwe ein, aber wenn er in Berlin aussteigt, dann ist er ein kleines Kätzchen.“ Die „Tofu-Tupper-Party“ jubiliert und erreicht ihren Höhepunkt, als Habeck die CSU kurzerhand zur Regionalpartei erklärt, die auf bundespolitischer Ebene nichts mehr zu sagen habe.

Söder hat aus dem Höhenflug der Grünen seine Lehren gezogen. Dass er sich als Ministerpräsident um das Klima sorgt, kommt nicht von ungefähr. Und trotzdem hadert so mancher in der Partei mit dem grünen Anstrich, den er der CSU verpasst hat. In Passau unternimmt Söder gar nicht erst den Versuch, die Basis auf Schwarz-Grün einzuschwören.

Viel lieber teilt der CSU-Chef an diesem Tag aus. Gegen die Sozialdemokraten, bei denen es mit Brandt, Schmidt und Wehner früher eine Troika gegeben habe und wo heute nur noch „Tick, Trick und Track“ übrig seien. Söder fordert Respekt für die Landwirte, die mit ihren Exporten eine wichtige Stütze der Wirtschaft in Bayern seien. „Die ganze Welt trinkt und frisst bayerisch.“ Und immer wieder betont er, dass die CSU ihren Platz in der bürgerlichen Mitte sieht.

Während die CSU sich immer über ihre Macht definiert hat, fremdeln manche Grünen mit ihrer neuen Rolle als eine Art Volksparteienersatz. „Wir sind dafür nicht gebaut und nicht gegründet worden“, gibt Habeck offen zu, verweist aber auf die „Sehnsucht nach Bedeutungslosigkeit“ in der SPD und die Krise der CDU. „Das Schiff der Union hat sich losgerissen, kein Anker mehr, kein Ruder mehr, kein Hafen in Sicht.“ Von dieser Seite sei keine Antwort auf die zentrale Frage zu erwarten, was unsere Gesellschaft zusammenhalte. „Also müssen wir sie geben.“ Habeck zieht die Grünen in die Mitte – und die Basis lässt sich mitreißen. Von den einstigen Fundis, die um jeden Preis verhindern wollten, dass die Grünen eine ganz normale Partei werden, findet sich in Landshut keine Spur.

Auch wenn ein schwarz-grünes Bündnis rein rechnerisch nach der nächsten Bundestagswahl ziemlich wahrscheinlich wäre, der Weg dahin ist weit. Das zeigt sich an diesem Aschermittwoch, wenn Söder schimpft, dass das Programm der Grünen mit Verboten und Belehrungen den Mief der 80er Jahre atme. Die Grünen wollten „nix Neues, viel Altes, immer das Gleiche“. Über eine denkbare schwarz-grüne Koalition spricht der CSU-Chef, als wäre sie undenkbar. Und er unterstellt den Grünen, dass sie sich ohnehin nicht aus freien Stücken für die Union als Koalitionspartner entscheiden würden: „Reicht es im nächsten deutschen Bundestag mit einer einzigen Stimme für Rot-Rot-Grün – sie werden diesen Weg gehen“, unkt er und schickt noch eine Warnung hinterher: „Nicht von Schwarz-Grün träumen und am Ende mit Grün-Rot-Rot aufwachen.“

Habeck wiederum trifft die CSU in Landshut an ihrem wunden Punkt. Vor dem Saal kommt er mit Landwirten ins Gespräch. Doch anders als zu früheren Zeiten, als viele Bauern die Grünen für unwählbare Öko-Spinner hielten, bitten sie den Parteichef diesmal um Unterstützung – und schimpfen auf die CSU. Habeck nutzt diese Vorlage und wettert gegen das „Denken aus der Steinzeit“ in der Union, die immer noch glaube, dass Ökologie und Ökonomie ein Gegensatz seien und der Markt schon alles richten werde. Sein Rezept: „Bezahlen wir die Landwirte dafür, dass sie Tieren mehr Platz geben, dass sie auf Pestizide verzichten, dass sie mehr Abstand zu den Gewässern halten, bezahlen wir sie dafür, dass sie im Einklang mit der Natur wirtschaften und spielen wir nicht Landwirtschaft gegen Natur aus.“

Söder wiederum grenzt sich in Passau noch schärfer als bisher von der AfD ab. Er nennt sie „den politischen Arm der rechtsradikalen Szene“, fordert entschiedenen Widerstand. Und er geht den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke frontal an: „Warum darf man denn gerichtlich Herrn Höcke einen Nazi nennen? Weil er einer ist.“ Es dürfe „keine Zusammenarbeit, keine Duldung, keine Tolerierung“ geben. Kein Politiker in Deutschland dürfe von AfD-Gnaden gewählt werden.

Söders Wandlung zum Widersacher der AfD nimmt ihm Habeck nicht so ganz ab. Er habe tiefe Zweifel, „ob die Einsicht, dass man nicht im rechten, populistischen Bereich wildern soll, wenn man eine Partei des Anstandes ist, wirklich einer tiefen Überzeugung folgt“. In der Sache sind die beiden Politiker allerdings einig. Habeck: „Zu lange wurden rechter Terrorismus und Rechtsextremismus als Nischenphänomen weggedrückt.“

Auch Söder wird noch einmal ernst. Seine Rede endet mit einer klaren Absage an eine eigene Kanzlerkandidatur. „Deutschland braucht Bayern, schon wahr“, sagt er, „aber ich liebe dieses Land.“ Mit einer Anleihe bei Martin Luther fügt er hinzu: „Hier stehe ich als Ministerpräsident. Ich kann nicht anders und ich will auch nicht anders.“ Und dann sagt Söder noch: „Mein Platz ist hier, mein Platz ist in Bayern und nicht in Berlin.“

Was andere Redner beim politischen Aschermittwoch in Bayern sagten

Saskia Esken (SPD): Die SPD-Vorsitzende Esken hat die CDU nach dem Wahl-Eklat in Thüringen zu einer klaren Abgrenzung von der AfD aufgerufen. „Nur weil die AfD in einer demokratischen Wahl in die Parlamente gewählt wurde, sind es noch lange keine Demokraten. Nazis bleiben Nazis. Und wer einigermaßen geschichtsbewusst ist, der darf sich von denen nicht den Steigbügel halten lassen“, mahnte sie in Vilshofen. „Wir werden nicht mit einer Partei koalieren, die nicht weiß, wo der Feind steht. Diese Frage muss die CDU für sich klären.“

Hubert Aiwanger (Freie Wähler): Für Landeschef Hubert Aiwanger kann es nicht sein, dass Deutschland sich für eines der reichsten Länder der Welt halte und meine, dass es sich seine Landwirte nicht leisten könne. Die Bauern seien durch „sinnlose Entscheidungen“ wie die Düngeverordnung gegängelt worden. Bei der Agrarpolitik des Bundes handle es sich um einen „Kopfschuss mit Ansage“. Die Bundesregierung stellt nach Aiwangers Worten ein „Geisterschloss“ dar. Zur Suche nach einem CDU-Parteichef sagte er: „Die Scheintoten beginnen, über die Treppen zu schleichen.“

Linda Teuteberg (FDP): Die FDP hat angesichts des mutmaßlich rassistisch motivierten Anschlags von Hanau einen Zusammenhalt der Demokraten beschworen. Generalsekretärin Teuteberg betonte in Landshut, politischer Streit sei wichtig, doch nach Hanau müssten die demokratischen Parteien zusammenstehen. Sie kritisierte, dass manche nun versuchten, daraus parteipolitische Vorteile zu ziehen.

Gregor Gysi (Linke): Gysi hat die CDU aufgefordert, sich angesichts der Lage in Thüringen anders mit den Linken auseinanderzusetzen. „Die Union muss endlich mehr Demokratie wagen, statt mit Hufeisen zu werfen“, sagte er in Passau. Die politische Abgrenzung nach rechts und links habe noch nie so zur Debatte gestanden wie gerade. Die Ereignisse in Thüringen könnten insofern auch ein Durchbruch sein.

Katrin Ebner-Steiner (AfD): Mit herben Verbalangriffen auf die Regierungsparteien CSU und CDU hat die AfD in Osterhofen ihren politischen Aschermittwoch eröffnet. „Ministerpräsident Söder und seinen Lakaien rate ich dringend zur Selbstanzeige wegen Volksverhetzung“, sagte die bayerische Fraktionschefin, Katrin Ebner-Steiner. Sie reagierte damit auf eine Ankündigung des bayerischen Ministerpräsidenten, die AfD „bis aufs Blut“ bekämpfen zu wollen. (dpa)

Politischer Aschermittwoch - CSU       -  Markus Söder, CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident aus Bayern, beim politischen Aschermittwoch der CSU in Passau
Foto: Peter Kneffel, dpa | Markus Söder, CSU-Vorsitzender und Ministerpräsident aus Bayern, beim politischen Aschermittwoch der CSU in Passau
 
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