Die Einstellung des Bestechungsverfahrens gegen Formel-1-Manager Bernie Ecclestone entzündet eine heftige Debatte um den Paragrafen 153 a der Strafprozessordnung, die Einstellung des Verfahrens gegen eine Geldauflage. Für fragwürdig hält Christina Glück die immer stärkere Abkürzung des Verfahrens auf diese Art. Sie ist Vorsitzende des Würzburger Anwaltsvereins und als Praktikerin an Gerichten in Unterfranken tagtäglich mit einer bedenklichen Entwicklung konfrontiert.
Christine Glück: Den Eindruck haben wir Strafverteidiger schon länger. Aber im Zusammenhang mit dem Fall Ecclestone gibt es nun auch Zahlen: 1981 gab es in der alten Bundesrepublik noch knapp 430 000 Einstellungen durch Gerichte und Staatsanwaltschaften, mit und ohne Auflagen. 2008 waren wir schon bei über einer Million.
gLÜCK: Im Grunde sollten Strafverteidiger auf der Seite des Mandanten stehen. Wenn man in der Gefahr ist, verurteilt zu werden, sieht es in vielen Fällen wunderbar aus, wenn man es schafft, das Verfahren auf die Art zu beenden. Aber als der Gesetzgeber 1974 den Paragrafen 153 a in der heutigen Form schuf, hatte er nicht solche Fälle wie Ecclestone im Sinn. Es ging um kleine Delikte wie Schlägereien, Drogenbesitz, Trunkenheitsfahrten, die man pragmatisch erledigen konnte, ohne die Autorität der Justiz aufs Spiel zu setzen.
Glück: Ecclestone ist nur das vorläufige Ende einer traurigen Entwicklung. Der Paragraf 153 a dient immer häufiger dazu, langwierige und komplizierte Wirtschaftsstrafverfahren abzukürzen. Denken Sie an die Verfahren gegen Vorstände der Landesbank Baden-Württemberg im Frühjahr, an Deutsche-Bank-Chef Josef Ackermann oder Rolf-Ernst Breuer – alle eingestellt gegen Geldauflage, alle gelten weiter als unschuldig.
Glück: Dass die Wahrheit gar nicht mehr erforscht wird, dass der Vorwurf gar nicht mehr in der Verhandlung geprüft wird, wie es die Strafprozessordnung eigentlich vorsieht. Natürlich ist das aufwendig, da müssen viele Zeugen gehört werden und Sachverständige. Aber man darf es sich als Gericht auch nicht zu leicht machen bei schweren Vorwürfen, zu deren Prüfung vielleicht schon ein oder zwei Jahre Ermittlungen gelaufen sind. Der Gesetzgeber hat sich etwas dabei gedacht, als er vorgesehen hat, dass vor Gericht der Vorwurf noch einmal geprüft werden Dort muss die Wahrheit gesucht werden – selbst, wenn das ein oder zwei Jahre dauert.
Glück: Da halte ich es mit dem angesehenen Vorsitzenden des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofes, Thomas Fischer. Der sagt dazu: Eine Umgehungsstraße kostet selbst für ein kleines Dorf schnell mal eine Million Euro, das leisten wir uns. Dann müssen wir uns auch mehr Richter leisten können.
Glück: Genau das. Es wird nicht mehr genug in die Justiz investiert. Richterstellen werden gestrichen, Geschäftsstellen sind absolut unterbesetzt. Richter haben oft so viele Fälle auf dem Tisch, dass sie oft gar nicht mehr die Zeit haben, sich ausführlich mit einer Akte zu beschäftigen – und mancher Staatsanwalt auch nicht.
Glück: So kann man es sehen. Und es ist ja noch nicht einmal in allen Fällen gesagt, dass ein Angeklagter durch den 153 a besonders gut wegkommt. Ich kenne Verfahren, bei denen man wahrscheinlich zu einem Freispruch käme, wenn man das Risiko einginge, es zu Ende zu verhandeln. Da müsste man aber die Nerven haben, das Verfahren bis zum Ende durchzustehen, statt zu sagen: Lieber zahle ich. Es gibt aber natürlich auch Verfahren mit einem hohen Risiko, am Ende verurteilt zu werden. Da kürzt man das lieber mit einer hohen Zahlung ab. Gerade in Wirtschafts- und Steuerstrafverfahren ist das auch an Gerichten in der Region mittlerweile alltägliche Praxis.
Glück: Mehr Richter, mehr Staatsanwälte.
Glück: Ja, natürlich. Da haben wir ein generelles Problem, auf das gerade Gustl Mollaths Verteidiger Gerhard Strate zu Recht hingewiesen hat: Wir haben leider eine Anwaltschaft, die sich zu großen Teilen noch zu sehr mit der Justiz identifiziert. Da würde ich mir sehr wünschen, dass manche Kollegen mehr Rückgrat und Distanz hätten und sagen: Nein, ich stehe jetzt für meinen Mandanten ein – egal, was das Gericht oder der Staatsanwalt von mir denken. Da gibt es leider viele Kollegen, die sich von sachfremden Erwägungen leiten lassen.
Glück: Von Scham, dass der Richter sie dann vielleicht nicht mehr ernst nehmen würde. Ich bin aber überzeugt davon, dass das Gegenteil richtig ist.
Glück: Ja, eindeutig – wenn nicht mehr Stellen geschaffen werden. Nur so könnte sichergestellt werden, dass Richter und Staatsanwälte die Möglichkeit haben, in der Praxis so zu arbeiten, wie es theoretisch das Gesetz vorsieht.
Christina Glück
Die Würzburgerin ist seit 2002 selbstständige Rechtsanwältin in der Bischofsstadt. Seit 2006 ist Christina Glück Vorsitzende des Würzburger Anwaltvereins, Mitglied des Vorstands der Rechtsanwaltskammer Bamberg und Referentin in der Referendarausbildung. Sie ist Fachanwältin für Strafrecht. Text: mas/Foto: privat