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Ein Mann, der Geschichte schrieb
Theo Waigel hat viel zu erzählen: Drei Jahrzehnte war er Mitglied des Bundestags, als Finanzminister erfand der langjährige CSU-Chef den Euro.
Foto: Fred Schöllhorn | Theo Waigel hat viel zu erzählen: Drei Jahrzehnte war er Mitglied des Bundestags, als Finanzminister erfand der langjährige CSU-Chef den Euro.
reda
 |  aktualisiert: 11.12.2019 19:32 Uhr

Ihm ist es zu verdanken, dass der Euro „Euro“ heißt: Der CSU-Politiker Theo Waigel war von 1989 bis 1998 Bundesfinanzminister in der Regierung von Helmut Kohl (CDU) und schlug im Jahr 1995 den Namen für die gemeinsame europäische Währung vor. Die Idee wurde vom Europäischen Rat dann auch angenommen – und Waigel hatte den Spitznamen „Mister Euro“ weg. Geboren wurde Theo Waigel am 22. April 1939 als Sohn eines Kleinbauern in Oberrohr bei Krumbach (Lkr. Günzburg), er wird also heute 75. Der Jurist, der jetzt in Seeg im Allgäu lebt, ist seit 1994 mit der früheren Ski-Rennläuferin und Ärztin Irene Epple verheiratet, mit der er einen Sohn hat. Aus seiner ersten Ehe hat Waigel zwei weitere Kinder.

Herr Waigel, Sie haben viele mächtige Politiker getroffen. Wer hat Sie am meisten beeindruckt?

Theo Waigel: Da gibt es mehrere. Und das sind vielleicht nicht die, die man als Erstes erwartet. Das war zum Beispiel der bayerische Wirtschaftsminister Anton Jaumann aus dem Ries. Als sein persönlicher Referent habe ich viel von ihm gelernt. Er war geradlinig, hat aber auch andere Meinungen gelten lassen und selbst vor Franz Josef Strauß nie gekuscht – das hat mir sehr imponiert. Als ich dann nach Bonn ging, war es Karl Carstens, der mich als Fraktionsvorsitzender mit seiner vornehmen, glasklaren Art zu argumentieren beeindruckt hat. Außerdem Helmut Kohl, auf den ich mich immer verlassen konnte. Und auf internationaler Bühne Michail Gorbatschow.

Stimmt es, dass Sie Gorbatschow einmal zum Weinen gebracht haben?

Waigel: Ja, das war kurz nach dem Putschversuch gegen ihn 1991. Ich gehe auf ihn zu und sage: „Lieber Michail Gorbatschow, in den letzten Wochen haben viele Deutsche um Sie gebangt, mit Ihnen gehofft und für Sie gebetet.“ Da laufen ihm die Tränen über das Gesicht und er antwortet: „In einer solchen Zeit erkennt man seine wahren Freunde.“

Ein Jahr zuvor hatten Sie Gorbatschow zusammen mit Helmut Kohl und Hans-Dietrich Genscher im Kaukasus besucht, als er den Weg für die deutsche Einheit frei machte . . .

Waigel: Wir trafen uns zunächst in Moskau und sind dann mit Hubschraubern in Gorbatschows Heimat geflogen. Erst dort gab er die endgültige Zustimmung, dass das wiedervereinigte Deutschland Mitglied der Nato bleiben durfte. Das war unsere Bedingung. Die Atmosphäre war unglaublich spannend, mitten in dieser wunderschönen Gebirgslandschaft mit einem rauschenden Bach, der so laut war, dass man bei offenem Fenster nicht schlafen konnte. Bei einem Spaziergang mit Journalisten am Abend ist das berühmte Gruppenfoto entstanden, das heute noch in meinem Büro steht. Und als wir uns am nächsten Tag wieder gegenübersaßen, hat jeder gespürt: Hier wird Geschichte geschrieben.

Kritiker monierten, das mit der Wiedervereinigung gehe viel zu schnell.

Waigel: Wenn wir die heutigen Machtverhältnisse in Russland sehen, ist klar, dass die Zeit für eine solche Entscheidung begrenzt war.

Haben Sie noch Kontakt zu Gorbatschow?

Waigel: Vor einiger Zeit trafen wir uns. Er sagt: „Theo, darf ich dich Genosse nennen?“ Und ich antworte lachend: „Michail, du darfst – aber nur weil ich Mitglied der Genossenschaftsbank Thannhausen bin.“

Ihr härtester Rivale in der CSU war Edmund Stoiber. War es Ihre schmerzlichste Niederlage, dass 1993 Stoiber Ministerpräsident wurde und nicht der Parteichef Theo Waigel?

Waigel: Eigentlich hatte ich mich ja schon für die Bundespolitik entschieden. Aber nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Max Streibl herrschte große Unsicherheit in der Partei. Da habe ich mich zur Verfügung gestellt. Ich hätte das besser vorbereiten müssen. Um zu gewinnen, hätte ich den Kampf mit einiger Rücksichtslosigkeit führen müssen. Das habe ich nicht getan, aber das reut mich heute nicht.

In den Machtkampf wurde auch Privates, wie die Trennung von Ihrer ersten Frau, hineingezogen. Hat Sie das verletzt?

Waigel: Es gab schon Dinge unter der Gürtellinie, die einem wehtun, das ist gar keine Frage. Einigen von denen, die damals Stimmung gemacht haben, tut es heute leid.

Haben Sie daran gedacht, alles hinzuschmeißen?

Waigel: Ich war schon an einem Punkt angelangt, an dem ich mich fragte: Machst du noch weiter? Aber meine Freunde haben mich überzeugt: Man läuft nicht davon.

Auch später hat Ihnen Stoiber das Leben nicht leicht gemacht.

Waigel: Ich begrüße es sehr, dass Edmund Stoiber heute ein überzeugter Europäer ist. Ich hätte mir nur gewünscht, dass er dieselbe Einstellung schon vor 20 Jahren gehabt hätte. Damit hätte er mir bei der Einführung des Euro viel Ärger erspart.

Gibt es einen Politiker, mit dem Sie heute kein Bier mehr trinken würden?

Waigel: Nein. Aber wenn sich mir der eine oder andere zu sehr nähert, dann denke ich mir schon: Kamerad, dich hab ich auch anders in Erinnerung.

Wollen Sie Namen nennen?

Waigel: Nein.

Oskar Lafontaine vielleicht, Ihr Nachfolger als Bundesfinanzminister?

Waigel: Gar nicht. Menschlich hatten wir nie Probleme miteinander, obwohl er mich politisch unsäglich geärgert hat.

Wie war das für Sie, als plötzlich ein anderer Ihren Job gemacht hat?

Waigel: Lafontaine hat viel Verwirrung ausgelöst. Und es war köstlich: Als ich ein paar Monate später den amerikanischen Notenbank-Chef Alan Greenspan traf, sagte er nur: „Theo, we really miss you.“ (Theo, wir vermissen dich wirklich)

Was Sie mit Lafontaine gemeinsam haben: Auch er kann über sich selbst lachen.

Waigel: Stimmt, selbst bei den ernstesten Verhandlungen konnte man mit ihm Spaß haben.

Ein Karikaturist hat Sie einmal als „höchst karikabel“ bezeichnet. Dank Ihrer Augenbrauen, die Ihnen sogar eine eigene Ausstellung eingebracht haben. Haben Sie je darüber nachgedacht, die Dinger zu stutzen?

Waigel: Niemals. Mancher Friseur hat mich gefragt. Da habe ich immer nur gesagt: „Unterstehen Sie sich. Da wird nicht ein Haar gekrümmt.“

Für viele Menschen werden Sie immer „Mister Euro“ bleiben. Sie haben ja den Namen für unsere Währung erfunden.

Waigel: Stimmt. Es gab ja diesen Kunstbegriff Ecu (gesprochen: Ekü). Den konnte man den Deutschen, die so sehr an ihrer D-Mark hingen, nicht vermitteln. Dann waren noch Pfund, Taler oder Franken im Spiel. Und überall gab es jemanden, der dagegen war. Die Spanier wollten zum Beispiel keinen Franken. Denn der hätte dort Franco geheißen – wie der frühere Diktator. Da dachte ich mir, es gibt Eurocard, es gibt Eurocopter, warum nicht einfach: Euro.

Sie haben mir mal erzählt, dass Ihnen manchmal noch das Wort Mark herausrutscht, wenn Sie über Geld reden.

Waigel: Das passiert heute nur noch selten. Ich sage höchstens mal versehentlich Pfennig statt Cent.

Was würden Sie Euro-Kritikern wie Bernd Lucke von der Alternative für Deutschland gerne mal sagen?

Waigel: Ich würde sagen: „Sie sind ein Naivling und Ihre Politik ist absolut illusionär.“ Ich hab ihn ja bisher nur als Traumtänzer bezeichnet und dafür wütende E-Mails bekommen. Dabei ist es das Mildeste, was ich über diesen Mann und seine Freunde denke.

Haben Sie je an ein Comeback gedacht? Der amtierende Finanzminister ist nur dreieinhalb Jahre jünger als Sie...

Waigel: 30 Jahre im Bundestag, neuneinhalb Jahre Finanzminister, über zehn Jahre Parteichef - das war wirklich genug.

 
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