Wahrscheinlich hat jeder von uns eine ziemlich gute Vorstellung, wie ein erschossenes Eichhörnchen aussieht. Auf Sie, liebe Jessy Wellmer, würde man dabei eher nicht kommen. Doch genau diesen Vergleich haben Sie kürzlich in einem Interview mit der Deutschen Presseagentur bemüht: Als Sie im September 2014 mit der Moderation der „Sportschau am Sonntag“ anfingen, hätten Sie – der Respekt vor der Aufgabe war groß – „wie ein erschossenes Eichhörnchen“ vor der Kamera gestanden. Eine eher steife Angelegenheit also.
Das ist, wie gesagt, eine Ecke her. Inzwischen schickt sich das einstige Eichhörnchen mit dem wunderbaren Hang zur Selbstkritik an, das neue Gesicht der ARD zu werden. Seit Beginn der laufenden Fußball-Saison moderieren Sie nun – dazu schon mal der erste Glückwunsch – als Ersatz für Reinhold Beckmann mit der samstäglichen Sportschau ein Flaggschiff im Ersten. Zusammen mit Alexander Bommes, Gerhard Delling und Matthias Opdenhövel sind Sie nunmehr im Olymp der Sportmoderatoren angekommen.
Anschnallen, der Steigflug kann beginnen – das Motto beschränkt sich bei Ihnen nicht nur auf die Sportschau. Seit dieser Woche – und damit sind wir auch schon bei Glückwunsch Nummer zwei – haben Sie abwechselnd mit Sascha Hingst das „ARD-Mittagsmagazin“ übernommen. Auch das ein Klassiker, der lange Zeit aus München gesendet wurde und nunmehr aus Berlin kommt.
Besser also angeschnallt bleiben, der Steigflug ist noch nicht beendet. Zumal sich die Ereignisse gerade überschlagen. Sie sind – und damit ist Glückwunsch Nummer drei angebracht – in der Kategorie Sport frisch gekürte „Journalistin des Jahres“. Der seit 2004 von dem Branchen-internen „Medium Magazin“ ausgeschriebene Preis wird Ihnen am 19. Februar in Ihrer Wahlheimat Berlin überreicht. Auch das kommt einem Ritterschlag gleich – mehr geht kaum.
An welchem Rad Sie da gerade drehen, liebe Frau Wellmer, lässt sich auch daran ablesen, dass die prestigeträchtige Samstags-Sportschau zuletzt acht Jahre ohne eine Frau auskommen musste. Nachdem Monica Lierhaus aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden war, blieb die Kult-Sendung in Männerhand. Übrigens so wie in den Anfangsjahren, als vieles vorstellbar war, aber die Kombination Frau/Fußballbundesliga von vorne herein ausschied. Erst Anne Will machte mit dieser scheinbaren Gesetzmäßigkeit Schluss und darf für sich in Anspruch nehmen, die Männerdomäne erfolgreich und vor allem nachhaltig durchbrochen zu haben.
Seither dürfen auch Frauen verkünden, dass Bayern München mal wieder gewonnen hat. Was heute normal klingt, glich vor nicht allzu langer Zeit einer Revolution. Frauen hatten da nichts zu suchen – aber wirklich so gar nichts. Seit der ersten Sportschau-Ausgabe am 4. Juni 1961 gaben Männer den Ton an: Die Stimmen von Addi Furler, Werner Zimmer, Gerd Rubenbauer, Heribert „Guten Abend allerseits“ Faßbender oder auch Waldemar Hartmann haben alle im Ohr, die mit einer Sendung aufwuchsen, die längst so etwas wie Kulturgut ist.
Wobei nicht unerwähnt bleiben soll, dass mich dieses Kulturgut lange Zeit genervt hat: Als Kind war die Sportschau Langeweile pur und nichts anderes als Wartezeit bis zum Sandmännchen. Aber: Wenn auch unfreiwillig, wurde ich ein intimer Kenner des Pferdesports und kannte jeden Galopper des Jahres. Und ich war mir sicher, dass ich Männer, die einem Ball hinterherlaufen, immer doof finden würde.
Es sollte anders kommen: Das mit dem Sandmännchen hatte sich bald erledigt, trabende Pferde wirkten nicht mehr seltsam und wenn Fußball lief, durfte keiner stören. Alleine schon die Melodie zum Start der Sendung, die nunmehr das Rennpferd unter den Sportsendungen war, wurde zum Ereignis. Dazu das unverwüstliche „Tor des Monats“ und die wie ein Hochamt zelebrierten DFB-Pokal-Auslosungen – eine Fernsehsendung als Lebensgefühl.
Heute mit ihren 57 Jahren kommt die Sportschau moderner denn je daher, auf dem Weg in die Zukunft auch als App fürs Smartphone. Dazu, klar, die Start-Melodie, die Topsy heißt und von Werner Müller stammt, als Klingelton. Und jetzt natürlich Sie, liebe Frau Wellmer. Mit 38 Jahren frisch, unverbraucht und – wie es kürzlich treffend zu lesen stand – „im Zweifel erfolgreich“. Sie haben zudem wieder einen journalistischen Ansatz in die Sportschau gebracht, was Ihnen nicht zuletzt zu der Auszeichnung verhalf: „Die Sportschau hat eine Journalistin zurück!“, befand die Jury in ihrer Begründung.
In dem bereits angesprochenen DPA-Interview hatten Sie betont, sich vorstellen zu können, die nächsten 20 Jahre bei der Sportschau zu bleiben. Es gibt nicht wenige, die sich das auch vorstellen können – sehr gut sogar. Die Reiseflughöhe ist erreicht.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Weichhan, Redakteur