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KLEVE
Die miesen Geschäfte der Schlüsseldienst-Mafia
Schlüsseldienst muss kommen       -  Die Tür ist zu, der Schlüssel steckt drinnen: Wer einen Schlüsseldienst rufen muss, sollte ortsansässige Firmen vorziehen. Das spart Anfahrtskosten. Foto: Kai Remmers/dpa-tmn
| Die Tür ist zu, der Schlüssel steckt drinnen: Wer einen Schlüsseldienst rufen muss, sollte ortsansässige Firmen vorziehen. Das spart Anfahrtskosten. Foto: Kai Remmers/dpa-tmn
Holger Sabinsky-Wolf
 |  aktualisiert: 26.01.2018 03:02 Uhr

Gertrud M.* schämte sich so, dass sie erst Wochen später einer Nachbarin von dem Vorfall erzählte. Die 86-Jährige hatte ihren Wohnungsschlüssel verloren. In ihrer Not schaute sie in den Gelben Seiten nach und fand dort einen Schlüsseldienst. Der Monteur kam an jenem Wochentag im Frühjahr 2015 zu dem Mehrfamilienhaus in Augsburg und arbeitete eine knappe halbe Stunde. Dann präsentierte er die Rechnung: 703,29 Euro. Da die alte Dame nicht so viel Bargeld zu Hause hatte, fuhr der Monteur sie freundlicherweise auch noch zum nächstgelegenen Geldautomaten.

Seit vielen Jahren warnen Polizei und Verbraucherschützer vor Abzocke durch unseriöse Schlüsseldienste. Und doch werden täglich unbedarfte Kunden abkassiert. Regelmäßig melden sich bei der Polizei Opfer. Das meiste Geld wird mit überzogenen Sonn- und Feiertagszuschlägen, der angeblichen Verwendung von Spezialwerkzeugen, überteuertem Material und langen Anfahrten gemacht.

Die unseriösen Firmen kommen mit ihrer Masche oft durch. Denn die Menschen werden geradezu überrumpelt und sind einfach nur froh, wieder in ihrem Haus oder ihrer Wohnung zu sein. Häufig unterschreiben die Kunden ein Dokument, das „Inhalt und Preis der Rechnung“ anerkennt. So wie Gertrud M.

Der Prozess beginnt in Kleve

Ein bundesweites Netzwerk einer solchen „Schlüsseldienst-Mafia“ ist zuletzt aufgeflogen. Die „Deutsche Schlüsseldienst Zentrale“ (DSZ) soll ein Firmengeflecht von fast 300 Monteuren aufgebaut haben. Drahtzieher sollen die Geschäftsleute Karl-Leo S. (57) und Christian S. (37) sein. Beide sitzen seit einer bundesweiten Razzia am 3. August 2016 wegen bandenmäßigen Betrugs und Wucher in Nordrhein-Westfalen in U-Haft. Laut Anklage haben sie ein ausgeklügeltes System geschaffen, um über zehn Jahre hinweg Menschen abzuzocken. Die Staatsanwaltschaft hat 1009 Fälle aufgelistet. Das Verfahren ist bis Juli terminiert, mehr als 100 Zeugen sind geladen – viele davon Opfer. An diesem Dienstag beginnt der Prozess am Landgericht Kleve.

Sitz der Firma DSZ ist Geldern am Niederrhein und Düsseldorf. Die Opfer kommen aber aus dem gesamten Bundesgebiet. „Von Augsburg, Landshut und München im Süden bis Bremen im Norden, von Görlitz im Osten bis Köln und Düsseldorf im Westen“, berichtet der Sprecher des Landgerichts Kleve, Alexander Lembke. Die fragwürdige Geschäftsidee hinter der DSZ ist ein verzweigtes Gebilde aus lokalen Scheinfirmen. Das Unternehmen warb kräftig in den Gelben Seiten und im Internet. Der Trick: Den Kunden wurde vorgegaukelt, die Schlüsseldienst-Betriebe lägen ganz in der Nähe. Das verhieß kurze Anfahrtswege und somit niedrige Kosten.

Die Anfahrtswege waren extrem lang

In Wirklichkeit landeten die Anrufer in einer Telefonzentrale am Niederrhein. Und die schickte per SMS einen Monteur los. Die Anfahrtswege waren oft sehr weit. Einer der Beschuldigten gab bei der Vernehmung an, er habe einen Radius von 170 Kilometern abdecken müssen, berichtet der „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Einer der Fälle aus den Ermittlungsakten verdeutlicht, wie getrickst wurde und wahrscheinlich in vielen Fällen noch heute wird: Georg L.* aus Pöcking am Starnberger See schloss sich aus seiner Wohnung aus. Im Büro seiner Frau recherchierte er einen Schlüsseldienst, der mit einer Anschrift in Pöcking warb. Am Telefon wurde versprochen, man könne in einer halben Stunde da sein. Tatsächlich musste L. anderthalb Stunden warten. Es stellte sich heraus, dass der Firmensitz im rund 90 Kilometer entfernten Augsburg liegt. Dementsprechend wurde eine Fahrtkostenpauschale von 150 Euro kassiert, die Gesamtrechnung für zwei Minuten Arbeit stieg auf mehr als 200 Euro. L. erstattete Anzeige. Dabei ist er noch relativ günstig davongekommen.

Nach den jahrelangen und aufwendigen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Kleve verlangten die Monteure der DSZ teils bis zu 1500 Euro für Noteinsätze. Im Durchschnitt sollen die Preise der mutmaßlichen Betrüger 200 bis 600 Euro höher als die ortsüblichen Kosten gewesen sein. Die Angeklagten sollen auf diese Weise zwischen 2007 und 2016 fast 77 Millionen Euro umgesetzt und mindestens eine halbe Million Euro erbeutet haben.

Der Haupttäter ist eine schillernde Figur

Laut Staatsanwaltschaft liegt der Gesamtschaden inklusive hinterzogener Steuern und Sozialversicherungsbeiträge – die Monteure sollen scheinselbstständig gewesen sein – bei 15 Millionen Euro. Die Anwälte der Angeklagten bestreiten eine Schuld ihrer Mandanten.

Der mutmaßliche Haupttäter Karl-Leo S. ist eine schillernde Figur. Mit seinen Geschäftemachereien – er ist auch in der Immobilienbranche tätig – hat er offenbar gutes Geld verdient. An der Algarve in Portugal soll er ein prächtiges Anwesen besitzen. Auf seinen verschiedenen Facebook-Profilen sind immer wieder Porsches zu sehen. Kurz vor seiner Verhaftung hatte er Ärger mit den Behörden im Kreis Kleve. Auf dem weitläufigen Grundstück bei seinem Elternhaus hatte er eine Teichlandschaft angelegt. Die Form der Tümpel war aber nicht gerade naturnah. Vielmehr hatte er die Gewässer in Form von Buchstaben und Zahlen ausbaggern lassen. Aus der Luft betrachtet ergibt das den Schriftzug „K-L 210“, wobei K-L natürlich für Karl-Leo steht und 210 für die Hausnummer des erweiterten Anwesens. Doch die Behörden hielten die Anlage nicht für ein Biotop, sondern für eine nicht genehmigte Umweltsünde.

Fantasienamen in Branchenbüchern

Karl-Leo S. machte aber nicht nur mit solchen Extravaganzen Schlagzeilen. Im Jahr 2004 war er wegen ähnlicher Verbrechen, wie sie jetzt von der Justiz überprüft werden, schon einmal zu vier Jahren Gefängnis verurteilt worden. Kurz nach der Freilassung muss er sein betrügerisches System aber rasch wieder aufgebaut haben. Die unzähligen Schlüsseldienste, die sich hinter der „Deutschen Schlüsseldienst Zentrale“, der „Kripoberatungsstelle“ oder dem „Einbruchschutz“ und anderen Fantasienamen verbergen, haben alle Branchenbücher mit ihren Anzeigen überflutet.

Häufig bedienen sie sich eines billigen Tricks, um dort ganz oben zu stehen. Sie verwenden einen Firmennamen, in dem möglichst häufig der Anfangsbuchstabe „A“ vorkommt. Einer der beiden Angeklagten nannte seinen Schlüsseldienst zum Beispiel „A.A.A. Absicherungen aller Art“. Damit war ihm ein Eintrag an erster Stelle in den Gelben Seiten sicher.

Seriös arbeitende Schlüsseldienste sind stinksauer über diese Masche, die häufig vorkommt. Sie raten Betroffenen, sich möglichst an Unternehmen zu wenden, die direkt vor Ort einen Betrieb haben. Nach einer bundesweiten Umfrage der Verbraucherzentrale Bundesverband liegen normale Durchschnittspreise für eine sogenannte Türnotöffnung inklusive Anfahrt aus der näheren Umgebung zwischen knapp 60 und gut 80 Euro an Werktagen, nachts, sonn- oder feiertags zwischen etwa 85 und knapp 150 Euro. „Erheblich darüber oder darunter sollte ein seriöses Angebot eines Schlüsseldienstes nicht liegen“, so die Verbraucherschützer.

Selbst die Justiz lässt sich reinlegen

Preis-Transparenz ist es, die vielen Unternehmen in der Schlüsseldienst-Branche fehlt. Es gibt auch keine strengen Vorgaben oder eine Kontrollinstanz. Und selbst Geprellte, die Anzeige erstatten, haben nur selten Erfolg. Sogar Gerichte akzeptieren mitunter Summen von mehreren hundert Euro als angemessen. Und manchmal lässt sich selbst die Justiz von der Schlüsseldienst-Mafia reinlegen, wie ein Fall aus Augsburg zeigt.

Das dortige Amtsgericht hat 2013 einen Monteur vom Vorwurf des Wuchers freigesprochen. 376,26 Euro hatte der Mann für eine recht einfache Türöffnung an einem Samstag verlangt. Die Staatsanwaltschaft hielt dies für eine Straftat. Doch der Rechtsanwalt des Schlüsseldienstes brachte einen vereidigten Sachverständigen des „Verbands Deutscher Schlüsseldienste“ mit. Und der Experte führte aus, dass der hohe Preis in Ordnung gehe. Prompt sprach der Richter den Monteur frei. Der Preis erscheine einem Laien zwar sehr hoch. Aufgrund der Aussage des Sachverständigen könne man aber nicht von einem „krassen Missverhältnis“ sprechen, wie es das Gesetz im Fall von Wucher fordere. Es gebe eben keine gesetzliche Preisbindung für Schlüsseldienste, so der Richter.

Im Lichte der neuen Ermittlungen ist dieses Urteil aber ein Problem. Nach Recherchen dieser Redaktion ist der „Verband Deutscher Schlüsseldienste“ nicht etwa ein seriöser Berufsverband. Vielmehr stecken ebenfalls die dubiosen Geschäftsmänner vom Niederrhein dahinter. Karl-Leo S. ist nach Recherchen dieser Redaktion der Gründer des Verbandes, wenngleich heute im Internet andere Namen stehen und eine Adresse in London angegeben ist.

Der „Experte“ dürfte also bei der Justiz in Augsburg die betrügerischen Geschäfte eigener oder verbandelter Unternehmen gerechtfertigt haben. Und das Gericht ist darauf hereingefallen.

So schützen Sie sich vor Abzockern

Zwischen seriösen Schlüsseldiensten tummeln sich viele Gauner. Das raten Polizei und Verbraucherzentrale Bayern: Eine seriöse Firma am Ort schon vor dem Notfall suchen. Denn wenn die Tür ins Schloss gefallen ist, ist die Panik oft groß. Besser: Sich vorher in Ruhe einen seriösen, ortsbekannten Anbieter suchen, Telefonnummer speichern oder notieren – zum Beispiel auf der Rückseite des Fußabstreifers.

Einen Preis vereinbaren, denn ein seriöser Schlüsseldienst wird auf Ihre Beschreibung am Telefon einen recht exakten Preis nennen, der die Anfahrtskosten enthält. Die Verbraucherzentralen haben sich jüngst einen Überblick verschafft. Eine einfache Türöffnung an einem Werktag kostet im bundesweiten Schnitt rund 70 Euro. Bei der Türöffnung anwesend sein, am besten mit einem Zeugen. So kann der Monteur keine nicht erbrachten Leistungen abrechnen.

Vorsicht bei Zuschlägen, denn an Sonn- und Feiertagen und nachts dürfen Firmen Zuschläge verlangen – aber nicht das Doppelte oder ein Vielfaches. Nicht erlaubt sind nach einem Urteil des Amtsgerichts Frankfurt/Main „Sofortzuschläge“, „Bereitstellungszuschläge“ und „Spezialwerkzeugkosten“. Nur zahlen, was vereinbart ist! Eine detaillierte Rechnung verlangen und vor dem Bezahlen prüfen. Passagen streichen, die nicht vereinbart waren. Haben Sie nicht genug Bargeld bei sich, bestehen Sie auf Zahlung per Rechnung.

Nicht einschüchtern lassen! Falls der Monteur Sie unter Druck setzt, rufen Sie unter Tel. 110 die Polizei. hogs/AZ

 
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