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ALTÖTTING
Die Jagd zwischen Lust und Frust
Landesjägertag: Die Grünröcke sind unter Beschuss geraten. Sie bringen die Schwarzkittel nicht unter Kontrolle.
Die Jagd zwischen Lust und Frust
Tilmann Toepfer
Tilman Toepfer
 |  aktualisiert: 25.03.2014 18:27 Uhr

Seit 1994 ist Jürgen Vocke (70) Präsident des Bayerischen Jagdverbandes (BJV). Er tritt Ende März beim Landesjägertag im oberbayerischen Altötting erneut zur Wahl an.

Frage: Wir haben hier auf dem Verlagsgelände seit einiger Zeit Wildschweine, Herr Vocke. Sie haben nicht zufällig ein Gewehr dabei und schießen da hinten schnell mal eine Sau?

Jürgen Vocke (lacht herzlich): Natürlich bin ich unbewaffnet gekommen. Selbst wenn es anders wäre: Ihr Verlagsgelände ist juristisch gesehen befriedeter Bereich, da darf man nicht schießen. Auf großen Friedhöfen einiger Städte gibt es dieses Thema auch. Dort gibt es spezielle Jäger, sogenannte Stadtjäger, top ausgebildete Leute mit einer Ausnahmegenehmigung. Die Jagd unter den Augen der Bevölkerung ist hoch sensibel. Stellen Sie sich vor, der Jäger trifft nicht richtig und der Frischling rennt trotzdem noch davon – in München stünde Sekunden später der Klatschreporter auf der Matte. Vorher sagt jeder, die Sau muss weg, später heißt es dann, oje oje, der arme Frischling.

Beim Landesjägertag in Altötting am letzten Märzwochenende kandidieren Sie wieder. Weil Sie unentbehrlich sind oder weil sich kein Jüngerer traut, gegen Sie anzutreten?

Vocke: Unentbehrlich – das wäre arrogant. Jeder ist entbehrlich. Aber wie Sie wissen, war ich Landtagsabgeordneter, und die Politik ist meine Leidenschaft geblieben, insbesondere die Jagdpolitik. Außerdem bin ich gerne mit Menschen zusammen. Auch wenn es ein Fulltime-Job ist, den ich ehrenamtlich ausübe. Wie es derzeit aussieht, tritt niemand gegen mich an.

Obwohl man hört: Der Vocke polarisiert, das Verhältnis zur Politik und den Bauern ist nicht gerade optimal.

Vocke: Der Vorwurf ist mir bekannt, ich werde mich trotzdem nicht ändern. Bei der Vertretung der Jagd und deren Interessen kann man es nicht immer allen recht machen. Dazu stehe ich. Fakt ist nun mal, dass man von verschiedenen Seiten versucht, uns Jäger in eine dienende Rolle zu drängen, uns vorzuschreiben, dass wir dies und das unbedingt tun müssen. Wir zahlen aber nicht 40 Millionen Euro Jagdpacht fürs Dienen. Für die Summe erwarten wir einen gewissen Gegenwert. Man darf uns die Freude an der Jagd nicht nehmen.

Sie sind Chef eines Verbandes, bei dem das Durchschnittsalter bei 60 Jahren liegt . . .

Vocke: Ein bisschen darunter. Das hohe Durchschnittsalter liegt auch darin begründet, dass unsere Mitglieder meist zeitlebens beim Verband bleiben. Unsere Mitglieder bleiben uns – im Gegensatz zu anderen Verbänden – treu bis zum Grab. Das zeigt, wie stark die Bindung an den Verband ist. Es kommen viele junge Jäger nach, aber auch die bleiben wieder ein Leben lang im Verband. Deshalb wird sich an der Altersstruktur auf absehbare Zeit nicht viel ändern.

Trotzdem stellt sich die Frage, wie es um die Zukunft der Jagd bestellt ist.

Vocke: Führungspersonal wird in vielen Vereinen und Verbänden knapp. Das liegt zum einen an unserer Arbeitswelt, die die Menschen stark beansprucht, zum anderen daran, dass wir in unserer Gesellschaft zu sehr zum Konsumieren erziehen, weniger dazu, sich einzubringen.

Gibt es womöglich bald kein Interesse mehr an Jagdrevieren?

Vocke: Wenn der Jagdpächter immer und unter allen Umständen für Wildschäden haftet und zahlen muss, auch wenn er keine Möglichkeit zur Schadensabwehr hat, dann fühlt er sich ohnmächtig und ausgeliefert. Dann resigniert er. Daran ändert dann auch ein niedriger Pachtzins nichts mehr. Ich versuche unseren Jagdgenossen und den Grundeigentümern klarzumachen: Ihr müsst daran denken, dass ihr auch morgen noch Jäger braucht.

Wildschweine verursachen große Schäden. Warum bekommen die Grünröcke die Schwarzkittel nicht unter Kontrolle?

Vocke: Das Schwarzwild-Thema ist vielerorts unterschätzt worden. Wobei ich den Unterfranken schon ein großes Kompliment machen muss. Bei der Schwarzwildbejagung ist das mit Abstand der erfolgreichste Regierungsbezirk Bayerns. Mit weitem Abstand. Hier werden im Schnitt 17 000 bis 18 000 Sauen geschossen im Jahr. Die fallen nicht um vor Lachen, das ist Knochenarbeit für die Jäger. Die Unterfranken reagieren professionell, weil sie immer mit Sauen gelebt haben. Die Hilferufe kommen eher aus Landesteilen, in denen es die Wildschwein-Thematik früher nicht gab.

Sagen Sie es doch: Die Wildsau ist einfach zu schlau.

Vocke: Hausschweine wie Wildschweine sind mit die intelligentesten Tiere. Wir Jäger können noch so viel ansitzen – ohne die Unterstützung der Bauern sind wir nicht erfolgreich. Wenn es in großen Maisschlägen keine Schussschneisen gibt, dann sitzt der Jäger auf seiner Kanzel und hört die Sauen schmatzen, bekommt sie aber nicht vor die Büchse. Deswegen sage ich auch zu Herrn (Bernhard) Weiler (unterfränkischer Bauernpräsident): Ihr müsst uns auch die Möglichkeit zum Jagen geben. Oft haftet der Pächter alleine für alle Wildschäden. Eine solche „Vollkaskoversicherung“ fördert nicht gerade die Bereitschaft zur Mitarbeit.

Wenn der Jäger nicht weiß, was er mit der Sau machen soll, schießt er sie nicht. Brauchen wir die Kopfprämie fürs Wildbret?

Vocke: Gute Frage. Jedes erlegte Tier muss einer sinnvollen Verwertung zugeführt werden. Der BJV spricht nicht von einer Kopfprämie für den Abschuss oder gar von einer Belohnung. Wir Jäger gehen doch nicht auf Sauenjagd, weil wir reich werden wollen. Aber vielerorts ist der Kilopreis fürs Wildschweinfleisch unter die Gestehungskosten gesunken. Oft muss der Jäger weit fahren, um das Fleisch auf Trichinen untersuchen zu lassen. Dazu kommt der ganze Aufwand für die Sperrung von Straßen und das Aufstellen von Warnschildern bei Treib- und Drückjagden. Im Landkreis Unterallgäu hat man sich zu einer fairen Geste entschlossen. Hier zahlt man Jägern künftig einen Zuschuss von zehn Euro für jedes erlegte und verwertbare Wildschwein, um die entstehenden Kosten und Gebühren aufzufangen. Das ist ein Anreiz, einerseits die notwendigen Untersuchungen machen zu lassen und andererseits trotz sinkender Fleischpreise den Bestand zu regulieren. Zudem werden wir mit einer Vermarktungskampagne, die wir beim Landesjägertag in Altötting starten, den Jägern helfen, ihr Wildbret für einen fairen Preis an den Verbraucher zu bringen.

Mit Nachtzielgeräten ließe sich leichter treffen.

Vocke: Nachtzielgeräte sind verboten, nur Sondereinsatzkommandos der Polizei und die Bundeswehr dürfen diese Geräte haben. Es gibt in ganz Europa keinen Staat, der sie erlaubt. Die meisten Innenminister der Bundesländer sind dagegen, und jeder verantwortungsvolle Innenpolitiker sagt: Hände weg vom Waffenrecht. Wir führen also eine „Gespenster-Diskussion“. Zudem gibt es dafür keine Akzeptanz in der Bevölkerung.

Vielleicht hilft ja die Afrikanische Schweinepest?

Vocke: Das wünscht sich niemand! Die würde wohl die Wildschweinbestände drastisch dezimieren. Ihre Auswirkungen auf die Hausschweinehaltung aber wären katastrophal.

Wie stark sind eigentlich Hunde durch die Aujetzkysche Krankheit gefährdet?

Vocke: Diese Viruserkrankung wird hauptsächlich über das Schwarzwild verbreitet und verläuft in der Regel für den Hund tödlich. Es gibt keinen Impfstoff. Wenn die Sau den Erreger in sich trägt und der Hund an das Blut der Sau, die Organe oder rohes Fleisch kommt, ist er nach drei Tagen tot. In Teilen Unterfrankens sind 14 Prozent der Wildschweine mit dem Virus infiziert, nur in Niederbayern liegt der Anteil noch höher.

Mehr Wildschweine, aber weniger Hasen, Rebhühner, Fasane. Was muss passieren, um das Niederwild vor dem Niedergang zu bewahren?

Vocke: Die Zahlen sprechen ja für sich, die Niederwildarten sind auf dem Tiefststand. Von den zwölf Junghasen, die eine Häsin pro Jahr setzen kann, wird ein Großteil Opfer von Beutegreifern, Landmaschinen, ungünstigen Witterungsverhältnissen und Krankheiten oder kommt im Straßenverkehr um. Vielerorts wurden Jagden abgesagt, um die Bestände zu schonen. Auch hier brauchen wir die Hilfe der Bauern. In allen Feldrevieren sollten Flächen angelegt werden, die den Wildtieren Deckung und Äsung bieten. Wir brauchen wieder mehr Hecken und Blühflächen, also neuen wertvollen Lebensraum für die Wildtiere. Davon profitieren auch Insekten und Singvögel. Früher wuchsen auf unzähligen Ackerrandstreifen Kräuter. Wilde Kamille ist aus der Sicht des Landwirts Unkraut, aber für die kleinen Hasen heilsam. Diese Kräuter sind Teil der sogenannten Hasenapotheke, die der Hase dringend braucht, weil auch er im Frühjahr Schnupfen bekommen kann, wenn es feucht und kalt ist. In diesem Jahr ist das Wetter bisher Gott sei Dank gut für die Jungtiere.

Es gibt laute Stimmen, die Jagd sei nicht mehr zeitgemäß. Nennen Sie drei gewichtige Gründe gegen diese These.

Vocke: Erstens: Gerade in unserer heutigen Zeit brauchen wir die Jäger mehr denn je. Gäbe es keine Jagd, würden sich die Wildtierpopulationen immer weiter ausbreiten, vom Schwarzwild über das Reh bis zur Wildgans. Natürliche Feinde gibt es nicht mehr. Die Schäden in Land- und Forstwirtschaft würden immer größer werden. Zweitens: Jäger erbringen ehrenamtlich und damit unentgeltlich Naturschutzleistungen. Drittens: Jäger gehen Tag und Nacht raus und klauben überfahrene Wildtiere von der Straße oder suchen angefahrene Stücke. Es gibt noch viele weitere Gründe. Ohne die private Jägerschaft müssten die Jagdgenossenschaften oder der Staat 3000 bis 4000 Berufsjäger beschäftigen – wenn das überhaupt reicht. Und für alle Schäden müssten die Bauern selbst aufkommen. Was meinen Sie, was dann los wäre.

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BJV-Präsident Jürgen Vocke
Foto: Obermeier | BJV-Präsident Jürgen Vocke
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  • hans-martin.hoffmann@t-online.de
    für mich ist es eine absolute Unsitte, wenn jemand schreibt "x behauptet dass..." und lässt das einfach so stehen.

    Um die Sache beurteilen zu können, würde ich jeweils schon gerne wissen, wer was möglicherweise in wessen Auftrag herausgefunden hat und womit das belegt werden soll.

    Ich z. B. als "deutscher Chemiker" gebe Ihnen Brief und Siegel, dass das, was wir hierzulande "Natur" nennen, bestenfalls(!) ein labiles Gleichgewicht mit sich (auch nur in entwicklungsgeschichtlichen Zeiträumen betrachtet) extrem schnell ändernden Randbedingungen ist (w. z. B. die rasende Zunahme der Maisanbauflächen wg. Biogas oder die fortschreitende Flächenversiegelung). Wenn die "französische Biologin" aber tatsächlich behauptet, auf die Dauer(!)/ ohne menschlichen Einfluss würde sich das natürliche Gleichgewicht von selber (wieder) einpendeln, wäre es schwer zu widersprechen (da bestände - u. a. - D in ein paar Jahrhunderten wieder aus dichtem Waldland incl. allen möglichen Tieren).
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  • DMA
    Servanty et alii, Journal of Animal Ecology, 2009

    Viel Spaß in der Bibliothek.
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  • DMA
    "Gerade in unserer heutigen Zeit brauchen wir die Jäger mehr denn je. Gäbe es keine Jagd, würden sich die Wildtierpopulationen immer weiter ausbreiten" Falsch. Das Gegenteil ist der Fall. Es gibt eine Studie einer französischen Biologin, die genau das beweist. Aber da dies zunächst unlogisch klingt, will das keiner glauben und alle fragen sich, warum die Population immer weiter wächst, obwohl mehr und mehr geschossen wird.

    "Jäger erbringen ehrenamtlich und damit unentgeltlich Naturschutzleistungen": Die Sau fühlt sich eher nicht so geschützt.

    Drittens: Ok, aber entsprechend ausgebildete Polizisten könnten das theoretisch auch. die sind eh meistens vor Ort, nur leider wissen viele von denen nicht, wo sie hinschießen müssen (selbst schon erlebt. Ein Polizist pumpt zwei Magazine in die Sau. Sie lebt immer noch. Der Jäger schießt nur einmal und die Sau war tot)
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