In jenen Tagen vor 100 Jahren geht das Deutsche Reich zum Teufel. Der Krieg wird verloren und auch die Sache mit der bayerischen Monarchie ist rum. Der bayerische König Ludwig III. geht als Erster. Kaiser Wilhelm II. wird schon bald sein Volk eine „Schweinebande“ heißen. Aber aus seinen Untertanen werden Bürger werden. Die Revolution ist endlich da. Wohl selten danach wird so leidenschaftlich eine Zukunft, die Demokratie, erprobt werden wie damals in München. Als Bayern Freistaat wird und für eine kleine Weile auch die Dichter regieren, wird wild geträumt, dann böse erwacht, aber: dazwischen wird sich was getraut.
Kurt Eisner ist einer dieser Dichter und Träumer. Ihn hat es 1910 nach München verschlagen. Publizist, Theaterkritiker, Sozialdemokrat, bald schon Kriegsgegner, deshalb im Konflikt mit seiner Partei und folgerichtig seit 1917 bei der USPD (Unabhängige Sozialdemokratische Partei). 1867 als Sohn eines jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren. Ja, der Mann, der den Freistaat Bayern ausrief und dessen erster Ministerpräsident wird, war ein Revolutionär, ein Linker und Preuße. Auch das noch. Mit üppigem Wildwuchs im Gesicht, in schönem Kontrast zu des Kaisers akkurat gezwirbeltem Schnauzer. Wegen Majestätsbeleidigung hat Eisner auch schon mal gesessen. Allerdings lange bevor sich die Ereignisse auch in München zuspitzen.
Kriegsmüde, hungrig - und bereit, etwas zu riskieren
Vor hundert Jahren beginnt wieder eine Streikwelle, die das Ende mit herbeiführen wird. Und Eisner ist in München der „geistige Leiter und Organisator der Ausstandsbewegung“ gewesen, wie die Staatsanwaltschaft das danach formulierte. Der Streikführer, der die Arbeiter der Münchener Rüstungsbetriebe dazu bringt – wie in vielen Städten im Deutschen Reich auch – die Arbeit niederzulegen. Kriegsmüde, hungrig, verzehrt waren sie auch in Bayern, und bereit, etwas zu riskieren.
Es ist noch eine Zeit bis zum 7. November, aber ein Anfang, der ist Ende Januar 1918 schon geschafft. Eisner muss allerdings zunächst wieder in den Bau. Erst ins Gerichtsgefängnis am Neudeck. Dann Stadelheim. Und was treibt ihn um?
Auf der ersten Seite seines Gefängnistagebuchs schreibt er über diese alles mit in Gang setzenden Januartage: „Es waren die schönsten (...) meines Daseins, die Tage der Erhebung, des Kampfes. Ich sah wieder Menschenseelen, nicht nur Tiermägen. Und ich konnte an all dem Großen mithelfen. (...) Das deutsche Proletariat ist wieder aus hoffnungsloser Starre erwacht. Die Bewegung, einmal bewusst geworden, kann nicht mehr aufhören. Sie muss wachsen, sich steigern, endlich siegen.“ Er ist überzeugt, hätte man ihm nur zwei Tage mehr gelassen, „mit geistigen Waffen vor den Massen die Wahrheit zu erkämpfen, das ganze Proletariat wäre gewonnen geworden“.
Noch zehn Monate. Bis er wieder draußen ist, werden im Mathäser, im damals größten Bierausschank der Welt, noch viele Maß gehoben, um den Wahnsinn des Kriegsalltags aus den Köpfen zu spülen. Bis es endlich so weit ist.
Am Eingang des Mathäser, also dort, wo früher das Hauptquartier der Revolutionäre war, zwischen Stachus und Hauptbahnhof, geht es heute nur noch auf der Leinwand ums Ganze. Früher wurde hier das Weißbier mit Zitronenlimo gestreckt, damit die Revolutionäre und Rotarmisten einen klaren Kopf behielten (Russnmaß genannt!). Heute blickt einen vom Eingang her Bruce Willis mit seiner typisch nachsichtigen Unerbittlichkeit an. „Death Wish“ heißt der Film. Das Mathäser heute ist ein „Multifunktionsgebäude“, das Mietern und Besuchern „Entertainment, Shopping und Office in Top-City-Lage“ bieten soll. Dazu gehören 14 Kinosäle.
An den historischen Ort erinnert fast nichts
An damals, an Revolution, an den historischen Ort erinnert zunächst: nichts. Fast nichts. Die Kurt-Eisner-Stele ist ein bisschen eingequetscht zwischen Plakaten und Zeug, aber es gibt sie. Auf einer dicken Glasplatte sein Bild und auf weiß-blauem Grund folgende Zeilen: „Im ehemaligen Mathäser-Bräu übernahm am Abend des 7. November 1918 der Arbeiter- und Soldatenrat unter der Leitung von Kurt Eisner die Regierungsgewalt in München und schuf damit die Voraussetzung für die wenige Stunden später erfolgte Proklamation Bayerns zur Republik.“
Im Restaurant „35 millimeter“ gegenüber ist Schnitzeltag. Da wird man satt. Die politische Zukunft ist 2018 eine realpolitische Notlösung namens Groko. Früher – als natürlich nicht alles besser war: mehr Risiko, mehr „mit geistigen Waffen die Wahrheit erkämpfen“.
Und deshalb beginnt die Zukunft für Eisner am 7. November 1918. Er ist wieder in Freiheit und als Spitzenkandidat der USPD für die in München anstehende Ersatzwahl zum Deutschen Reichstag aufgestellt. Auf der Theresienwiese ist eine Friedensdemo angesetzt. Zehntausende Soldaten, Gewerkschafter, Munitionsarbeiter und Matrosen sind gekommen. Wenige Tage zuvor, Ende Oktober, haben in Wilhelmshaven die Besatzungen der Hochseeflotte gemeutert. Ihre Bereitschaft zur Ehre des Kaisers im letzten Gefecht gegen Großbritannien ruhmreich zu ersaufen, war begrenzt. Der Aufstand im hohen Norden war das bis München reichende Fanal. Von dem, was folgte, würden sich die 22 Souveräne, die mit ihren größeren und kleineren Ländern das Deutsche Reich bildeten, nicht mehr erholen.
In Bayern regieren die Wittelsbacher. König Ludwig III. war am Morgen des alles entscheidenden Tages noch im Englischen Garten gesehen worden. Beim Spazierengehen. Eisner dagegen ist auf der Theresienwiese. Natürlich. Wie auch sein Gegenspieler von den Mehrheitssozialdemokraten Erhard Auer. Der oben bei der Bavaria. Eisner weiter unten. Er redet für die Revolution. Und man folgt ihm. Ein Zug setzt sich in Bewegung. Es geht durch die Stadt, vorbei an den Kasernen. Es gibt keinen nennenswerten Widerstand. Selbst die Garnisonssoldaten, was erst mal nicht zu erwarten gewesen war, folgen Eisner und hissen nach und nach die rote Fahne. Tote wird es nicht geben. Noch. Es geht dann – natürlich – ins Mathäser. Ein Arbeiter, Soldaten- und Bauernrat wird gewählt. Die Revolution hat – zunächst – gesiegt. Freistaat! Die königliche Familie schleicht sich derweil aus dem Palais, verlässt mit einem Wagen die Stadt und erreicht, nachdem man unterwegs wirklich unschön in einem Kartoffelacker stecken geblieben war, Schloss Wildenwart beim Chiemsee. Unterdessen wirbeln Eisner und Co vom Mathäser-Bräu zum Landtag in der Prannerstraße. Die Revolution muss amtlich werden. Quasi. Aufbruch!
Kurt Eisner genügt ein Sofa in einem Fraktionszimmer
Wo der alte Landtag war, als alles neu wurde, da beim Bayerischen Hof, ist heute das sogenannte Pranner Plenum. Gesamtanmutung im Kontext der nicht sehr proletarischen Gegend: nobel und geldorientiert. Das Gebäude von früher hat den Zweiten Weltkrieg nicht überstanden. In dem Neubau haben Anwälte, Vermögensverwalter und Anlageberater ihre Büros. Kameras überwachen den Eingangsbereich. Parterre, zur Straße hin, wird mit Münzen, antiker Kunst und so gehandelt. Auf einem Screen die aktuellen Goldpreise. Etwas über 1330 US-Dollar pro Unze. In dem wirklich sehr sauberen Eingangsbereich sind ein paar historische Schaukästen, die daran erinnern, was hier früher geschah. Gegenüber bei Carpe Diem (Beds of Sweden) gibts zum Sonderpreis das Continentalbett „Härmanö“ für 4900 Euro.
Kurt Eisner wird später ein Sofa in einem der Fraktionszimmer genügen. Er ist inzwischen etwas müde vom Revolution machen. Man darf sich das alles nicht zu generalstabsmäßig vorstellen, „als die Dichter die Macht übernahmen“.
Der Literaturkritiker Volker Weidermann hat diese irren ersten Wochen und Monate der bayerischen Republik in einer Art literarischen Revolutionsreportage mit dem Titel „Träumer“ verdichtet.
Man folgt ihm fasziniert mit Eisner und später vor allem mit Ernst Toller durch diese Wirrnisse. Wie getrieben sie sind, von ihrer Leidenschaft, die Welt zu verbessern. Mit dabei Oskar Maria Graf (trinkend), Erich Mühsam, eher auf dem Beobachterposten: Rilke. In seiner Villa am Herzogpark, mit Distanz, Thomas Mann, dessen frühreifer Sohn Klaus ein Theaterstück über Eisner und das Attentat schreiben wird. Victor Klemperer ist vor Ort. Erstaunt von dem, was mit Eisner in München groß wird. Die nicht dokumentierten, erst später der Erinnerung nach niedergeschriebenen, historischen Worte: „Die Bayerische Revolution hat gesiegt. Sie hat den alten Plunder der Wittelsbacher Könige hinweggefegt. (...) Der in diesem Augenblick zu Ihnen spricht, setzt Ihr Einverständnis voraus, daß er als provisorischer Ministerpräsident fungiert.“
Weidermann schreibt weiter: „Als er geendet hatte, lässt er sich auf den Präsidentenstuhl fallen. Dann winkt er Herzog (Mitstreiter Eisners) heran und flüstert ihm ins Ohr: ,Wir haben ja das Wichtigste vergessen. Die Proklamation. Entwerfen Sie bitte den Text. Aber schnell.‘“ In den „Münchener Neuesten Nachrichten“ steht am nächsten Morgen: „Das furchtbare Schicksal, das über das deutsche Volk hereingebrochen, hat zu einer elementaren Bewegung der Münchener Arbeiter und Soldaten geführt (...) Bayern ist fortan Freistaat. (...) Arbeiter, Bürger Münchens! Vertraut dem Großen und Gewaltigen, das in diesen schicksalschweren Tagen sich vorbereitet.“
In der Staatskanzlei hängt kein Bild von Eisner
In der derzeit von der CSU besetzten Staatskanzlei hängt übrigens kein Bild von Eisner. Zu viel Rot in weiß-blauer Herrlichkeit? Auf Anfrage heißt es, die Porträt-Reihe dort beginne mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Wilhelm Hoegner (SPD) inklusive. Einen – wie von der SPD gefordert – gesetzlichen Feiertag wird es künftig am 8. November nicht geben. Dafür aber einen Staatsakt in dem die „herausragende historische Leistung“ Eisners gewürdigt werden soll. Die SPD freut es. Und weist recht regelmäßig darauf hin, dass das zuletzt ja nicht immer so gewesen sei.
Die Tage des ersten Ministerpräsidenten des Freistaates werden wenige bleiben. Eisner und den Seinen ist zunächst zwar ein friedlicher Umsturz geglückt. Noch in der Revolutionsnacht kündigt er die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung an. Es gibt ein Regierungsprogramm (mit Frauenwahlrecht, Acht-Stunden-Tag, Abschaffung der kirchlichen Schulaufsicht). Anfang Januar hat man das „vorläufige Staatsgrundgesetz für den Volksstaat Bayern“ erlassen. Es ist höchst umstritten. Von geordneten Verhältnissen, von einer Etablierung des Erreichten, ist man weit entfernt. Und schon bald wird gewählt. Ein Fehler. Denn das Ergebnis für Eisners USPD beträgt zweieinhalb Prozent.
Seine Zeit ist schon abgelaufen, als sie noch gar nicht richtig begonnen hat. Weidermann schreibt: „Natürlich war es ein Märchen gewesen, nichts als ein Märchen, das für ein paar Wochen Wirklichkeit geworden war. Und jetzt war es eben vorbei. Es wäre lächerlich, sich noch an die Macht zu klammern. (...) Zweieinhalb Prozent, das war ja ein Witz, ein grauenvoller, schlechter Witz. Seitdem war er in der Presse nicht nur diesem wahnsinnigen Hass, sondern auch Hohn und Spott ausgeliefert. Ein Volkskönig ohne Volk, ein Narr auf dem Königsthron, unbayerischer Spinner, Jude von irgendwo.“
Er hat viele Feinde. Von links und von rechts. Er weiß das. Am 21. Februar 1919 lauert ihm Anton Graf von Arco auf Valley auf. Antisemit, Nationalist. Er drückt zweimal ab.
München wird eine Pilgerstätte für Beseelte
Was Eisner nicht mehr erlebt, ist die Radikalisierung, die Ausrufung der Räterepublik, wie alles noch komplizierter wird. Wie Ernst Toller sich in seinem Badezimmerbüro müht, den Laden zusammenzuhalten, wie Silvio Gesell mit seiner Theorie vom verfaulenden Geld versucht, den Kapitalismus zu besiegen, wie der Volksbeauftragte für Volksaufklärung, Gustav Landauer, die Hausaufgaben abschafft und sich in seinem Ministerium mit lauten „Hier kommt Landauer“-Rufen anzukündigen pflegt. München wird in diesen Tagen eine Pilgerstätte für Beseelte, mit einer sehr eigenen Stimmung. Klemperer schreibt später dazu: „Man möchte immer weinen und lachen in einem.“
Am Ende wird alles zusammengeschossen. Eisner stirbt in der später nach Kardinal Faulhaber benannten Straße. Ausgerechnet. Hatte der doch Eisners Regierung, die für die Trennung von Kirche und Staat war, in der Silvesterpredigt 1918 als „Regierung von Jehovas Zorn“ bezeichnet. Vor einem Modegeschäft ist eine Gedenkplatte in den Boden gelassen. Dazwischen klemmen Kieselsteine und Papierfetzen. Ein Erinnerungsort, den man leicht übersieht.
Ganz anders am Oberanger. Da ist die SPD-Zentrale, daneben der Friseursalon „love is in the hair“, davor eine Glasskulptur mit einem Einschussloch und einer Inschrift. Dieser Satz Eisners: „Jedes Menschenleben soll heilig sein.“ Stammt aus der Proklamation. Leuchtet im Dunkeln.
Literatur-Tipps
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