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MÜNCHEN
Die CSU auf der Suche nach der eigenen Mitte
Henry Stern       -  Obermeier/ Henry Stern
Henry Stern
 |  aktualisiert: 02.04.2019 11:20 Uhr

Nun will CSU-Chef Horst Seehofer im Landtagswahlkampf auch noch selber twittern. Weil er sonst „manche Wahrheiten nicht unter eine breitere Bevölkerung“ bekommt, wie er in einem oberbayerischen Bierzelt klagte. Doch selbst in der CSU-Spitze dürfte man sich eher sorgen, ob Seehofers Twitter-Wahrheiten der eigenen Partei den Wahlkampf wirklich leichter machen – oder neuen politischen Sprengstoff produzieren.

Mit oder ohne Twitter: Zehn Wochen vor der Landtagswahl kommt die CSU nicht aus der Defensive. Zwar ist es eine Binsenweisheit, dass die Wahl noch nicht entschieden ist. Doch hinter der demonstrativen Gelassenheit der CSU-Wahlkämpfer um Markus Söder wird für den Fall der gefühlten Niederlage längst Vorsorge in Sachen Schuldfrage getroffen: Berlin war's, lautet dabei die von Söder längst platzierte Kernthese. Oder konkreter: Der politisch irrlichternde eigene Parteichef.

Ohne Zweifel hat Seehofer viel zum CSU-Chaos der letzten Wochen beigetragen. Doch im Falle eines Misserfolgs den „alten Silberrücken“ (Seehofer über Seehofer) alleine verantwortlich zu machen, wäre allzu billig. Zwar hat er nun dreimal den gleichen Fehler gemacht – bei der Europawahl 2014, bei der Bundestagswahl 2017 und jetzt wieder in der Flüchtlingsdebatte. Und dreimal ging der Versuch, mit markigen Ansagen abtrünnige Wähler am rechten Rand zurückzugewinnen, gleich doppelt in die Hose: Die rechten Abtrünnigen kehrten nicht zurück, weil die geweckten Erwartungen in der politischen Realität nur enttäuscht werden konnten. Dafür wendeten sich zusätzliche Wähler in der Mitte ab, verschreckt von der rechtspopulistischen Verbal-Aufrüstung der Partei.

Söders Polit-Slalom zwischen Knallhart-Populismus und neuer Milde

Der Fehler ist jedoch nicht nur Seehofer alleine zuzuordnen. So hat Söder seit der bayerischen Regierungsübernahme im März einen schwindelerregenden Polit-Slalom hingelegt: Erst mitfühlender Landesvater mit Herz für die Schwachen. Dann Knallhart-Populist mit Kreuz-Pflicht, Europa-Skepsis und „Asyltourismus“-Schelte. Und jetzt wieder die neu entdeckte Milde – mit sprachlicher Abrüstung und neuer Empathie für Umwelt oder Obdachlose.

Diese Kurswechsel mögen einer politischen Logik folgen. Setzt man sie zu oft ein, nutzen sie sich allerdings schnell ab. Und so leidet die CSU zwar auch unter schwierigen Rahmenbedingungen – der Schwindsucht der Volksparteien, irrationaler Popularität der extremen Rechten oder der veränderten Wählerstruktur in Bayern. Das aktuelle Kernproblem der Partei ist allerdings hausgemacht: Eine bröckelnde Glaubwürdigkeit, die in politisch turbulenten Zeiten an der Wahlurne besonders schmerzt.

Die CSU findet sich in einem Topf mit Orban, Lega und der FPÖ

Für diese Entwicklung eine linke „Anti-CSU-Kampagne“ verantwortlich zu machen – wie nun Seehofer –, ist aber nur Legendenbildung. Ohne Zweifel war nicht immer fair, was gerade dem Bundesinnenminister zuletzt vorgeworfen wurde. Doch für Seehofer wie Söder gilt: So wie man in den Wald hineinruft, so schallt es hinaus. Zumal wohl kaum ein Politiker in Deutschland ähnlich virtuos die Medien für die eigenen Zwecke zu nutzen weiß, wie diese beiden.

Wenn aber der renommierte britische Historiker und Deutschland-Kenner Timothy Garton Ash in der Londoner Zeitung „Guardian“ eine Zweiteilung Europas in liberal-rechtsstaatliche und illiberal-populistische Kräfte feststellt und in die zweite Kategorie neben Orbans Fidesz, der italienischen Lega oder der FPÖ in Wien auch die CSU einordnet, dann könnte das Grundproblem der Partei eher darin liegen, dass sich die christsozialen Großstrategen in München diesmal schlicht verzockt haben.

In einer stürmischen Welt wird die CSU aber nur bestehen können, wenn sie inhaltlich einen klaren Kurs findet. Oder wie es die „FAZ“ kürzlich treffend formulierte: Wenn die CSU eine Kraft der Mitte bleiben wolle, dann „muss sie wissen, wo die Mitte ist – zuvorderst ihre eigene“.

 
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