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NÜRNBERG
Der lange Atem des Nazijägers
Christine Jeske
 |  aktualisiert: 09.05.2018 02:40 Uhr

Der Zweite Weltkrieg war gerade zu Ende. In Stockholm meldete sich Fritz Bauer am 9. Mai 1945 in Stockholm zu Wort: „Deutschland ist eine Tabula rasa“, sagte der Jurist, eine abgeschabte Wachstafel, die sich neu beschreiben lässt. Er war überzeugt, dass „ein besseres Deutschland“ aufgebaut werden kann – und von Grund auf neu aufgebaut werden muss.

In der Nachkriegszeit gab es nicht wenige, die eher froh waren, dass ihre Taten von der Tafel wegrasiert worden sind. Sie wollten nicht an ihre Vergangenheit, an ihre Jahre vor 1945 erinnert werden, geschweige denn ihr Leben aufarbeiten und Verantwortung für ihre Taten übernehmen. Eine Ausstellung im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg erinnert an Fritz Bauer, der als Staatsanwalt NS-Verbrechen vor Gericht brachte.

Rückkehr nach Deutschland 1949

Der gebürtige Stuttgarter, Jude und engagierte Sozialdemokrat lebte ab 1943 in Schweden. Dort hat er Willy Brandt kennengelernt und sich mit ihm angefreundet. Davor, 1936, war er vor den Nazis zunächst nach Dänemark geflüchtet, bis er dort wegen Homosexualität observiert und weiter verfolgt wurde. Erst im April 1949 konnte er nach Deutschland zurückkehren.

Vor 1933 war er einer der jüngsten Amtsrichter seiner Heimatstadt, hatte eigentlich eine glänzende Karriere vor sich. Im Exil konnte er seinen Beruf nicht ausüben. In Braunschweig gelang ihm 1949 der Wiedereinstieg. Er wurde Direktor des Landgerichts und kurz darauf Generalstaatsanwalt beim Oberlandesgericht.

1956 kam Fritz Bauer in die Position, in der er in die Geschichte einging. Als hessischer Generalstaatsanwalt spielte er am Zustandekommen des Frankfurter Auschwitz-Prozesses eine entscheidende Rolle. Er war der Initiator. Dass er Jude war, trug mit dazu bei, dass die Zeugen Mut fassten, ins Land der Täter zu fahren und in Frankfurt auszusagen.

Bauer: Wer beteiligt war, ist schuldig

Die Verhandlung über „Strafsache gegen Mulka u. a.“, so der eigentliche Name, begann am 20. Dezember 1963, im August 1965 wurden die Urteile verkündet. Sie waren vergleichsweise milde. Aber die Verurteilung führte zu einer öffentlichen Resonanz – und erneut zu etlichen antisemitischen Schmähungen gegen Bauer.

Seine Argumentation – wer am NS-Mordapparat beteiligt war, ist schuldig – kam allerdings erst viel später zum Tragen: Erstmals im Prozess gegen John Demjanjuk 2011 in München. Der gebürtige Ukrainer und Soldat der Roten Armee diente sich 1942 nach seiner Gefangenschaft den Deutschen im Vernichtungslager Sobibor als Wachmann an. Er wurde ohne konkreten Tatnachweis wegen Beihilfe zum Mord verurteilt. Ebenso der „Buchhalter von Auschwitz“ Oskar Gröning in Lüneburg 2015.

Bereits vor dem Frankfurter Auschwitz-Prozess setzte Fritz Bauer in Braunschweig ein Zeichen und vertrat mit Nachdruck seine Vorstellung von einem besseren und vor allem demokratischen Land, das sich seiner Vergangenheit stellt. Damit machte er sich im Nachkriegsdeutschland nicht nur Freunde. Selbst der erste Bundeskanzler Konrad Adenauer wollte laut seiner Regierungserklärung Vergangenes vergangen sein lassen und machte den Juristen Hans Globke, der am Kommentar zu den „Nürnberger Rassegesetzen“ beteiligt war, zu seinem Staatssekretär.

Prozess gegen Otto Ernst Remer in Braunschweig

Mit dem Prozess im Jahr 1952 gegen den rechtsextremen Otto Ernst Remer trat Fritz Bauer erstmals ins bundesdeutsche Rampenlicht. Es ging ihm um das Recht zum Widerstand gegen einen Unrechtsstaat generell und speziell gegen die NS-Diktatur.

Die Vorgeschichte: Der Wehrmachtsoffizier Remer erhielt nach dem gescheiterten Sprengstoffanschlag vom 20. Juli 1944 auf Hitler den Befehl, den Widerstand in Berlin niederzuschlagen. Er befolgte ihn und trug damit endgültig zum Scheitern des von Claus Schenk Graf von Stauffenberg geleiteten Attentats bei. Remer wurde von Hitler als Lohn zum Generalmajor befördert.

Nach 1945 blieb Remer ein überzeugter Nationalsozialist. 1949 war er Mitbegründer der rechtsextremen neonazistischen Sozialistischen Reichspartei SRP. In einer Rede 1951 in Braunschweig im niedersächsischen Wahlkampf bezeichnete er die Widerstandskämpfer vom 20. Juli als Landesverräter, die vom Ausland bezahlt worden seien. Er vertrat damit eine damals verbreitete Ansicht. Fritz Bauer setzte die Anklage wegen übler Nachrede am Landgericht Braunschweig durch. Remer wurde zu drei Monaten Haft verurteilt, entzog sich der Strafe jedoch durch Flucht.

Mit diesem Prozess gelang es Bauer, die am Attentat vom 20. Juli 1944 Beteiligten erstmals zu rehabilitieren. Er formulierte den Widerstand als Menschenrecht – wenn in einem Staat Menschenrechte missachtet werden.

Verhandlung in Schweinfurt

Remer kehrte später nach Deutschland zurück und wurde noch mehrfach angeklagt, zuletzt in Schweinfurt 1992 wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhass. Das Urteil des Landgerichts: 22 Monate. Auch dieses Mal gelang ihm die Flucht. Spanien lieferte ihn nicht aus. Remer starb dort 1997. Seine Frau soll von Bad Kissingen aus die „Remer Depesche“, in der der Holocaust geleugnet wurde, zunächst weiter veröffentlicht haben.

Auch ohne Fritz Bauers flammendes Plädoyer über den legitimen Widerstand gegen den Unrechtsstaat wäre Otto Ernst Remer aufgrund seiner rechtsradikalen Überzeugungen immer wieder mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Aber durch den Braunschweiger Prozess stand der unerschütterliche Alt-Nazi im Fokus – und blieb es.

Fritz Bauers Name ist nicht nur mit diesem sowie dem Frankfurter Auschwitz-Prozess verbunden, sondern auch mit der Ergreifung von Adolf Eichmann in Argentinien. Das war ein lange gehütetes Geheimnis. Bauer informierte die israelischen Behörden direkt – weil er etlichen Vertretern der deutschen Justiz aufgrund personeller Verflechtungen mit dem „Dritten Reich“ misstraut haben soll.

NS-Vergangenheit des Justizministeriums

Die NS-Vergangenheit des Bundesjustizministeriums wurde erst Jahrzehnte später durch das „Rosenburg-Projekt“ aufgearbeitet. Das Ergebnis: „Von den 170 Juristen, die von 1949 bis 1973 in Leitungspositionen des Ministeriums tätig waren, hatten 90 der NSDAP und 34 der SA angehört. Mehr als 15 Prozent waren vor 1945 sogar im Reichsjustizministerium der Nazis tätig“, fasste 2016 der damalige Justizminister Heiko Maas zusammen. „Diese Zahlen machen deutlich, warum die Strafverfolgung der Nazi-Verbrechen so lange hintertrieben, das Leid der Opfer viel zu lange ignoriert und viele Opfergruppen – etwa Homosexuelle oder Sinti und Roma – in der Bundesrepublik erneut diskriminiert wurden.“

Ein gescheiterter Prozess

Ein Prozess scheiterte jedoch. Fritz Bauer beauftragte umfangreiche Ermittlungen gegen den einstigen Direktor der Würzburger Universitätsnervenklinik und medizinischen Leiter sowie Obergutachter des NS-„Euthanasie“-Programms, Werner Heyde. Er galt als einer der Haupttäter der „Aktion Gnadentod“. Eine andere Bezeichnung lautet „Aktion T4“. Sie wurde erst nach 1945 geprägt und steht für die tausendfache Ermordung von Menschen, die von der selbst ernannten „Herrenrasse“ als „lebensunwertes Leben“ abgestempelt wurden.

Heyde lebte nach Kriegsende als psychiatrischer Gutachter in Schleswig-Holstein unter dem Pseudonym „Dr. Sawade“. Viele wussten, wer er war. Als seine wahre Identität aufzufliegen drohte, stellt er sich 1959 der Polizei. Er war davon überzeugt, sich weder juristisch noch moralisch schuldig gemacht zu haben. Am 13. Februar 1964 beging er im Gefängnis Butzbach Suizid. Wenige Tage später wollte Fritz Bauer den Prozess gegen ihn wegen 100 000-fachen Mordes eröffnen.

Ausstellung im Nürnberger Dokumentationszentrum

Fritz Bauer ist vor fast genau 50 Jahren gestorben: in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli. Seine Todesumstände seien bis heute nicht restlos geklärt, sagt Erik Riedel vom Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt beim Rundgang durch die Sonderschau im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg; Riedel ist Mitkurator der Wanderausstellung „Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht“.

„Fritz Bauer ist einer der Staatsanwälte gewesen, die Justizgeschichte geschrieben haben“, fasst es der Leiter des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände in Nürnberg, Florian Dierl, zusammen. Er habe klare Kante bezogen.

Fritz Bauer war jedoch nicht nur ein Nazijäger, sondern auch Staatsrechtsreformer und hat den Strafvollzug liberalisiert. Seine vielen Seiten, auch seine Vorliebe für die Moderne, werden in der Ausstellung thematisiert.

„Eigentlich ist Fritz Bauer kein Ausstellungsthema“, meint Kurator Erik Riedel. Deshalb gebe es in der chronologisch aufgebauten und nicht nur für Historiker gedachten Schau Filmausschnitte und O-Töne – oder kurz: „Film, Wort, Papier.“

Richtschnur fürs Leben

In der Ausstellung ist auch ein großformatiges Foto von Fritz Bauers Familie zu sehen. Zu seiner Mutter soll er ein enges Verhältnis gehabt haben. Sie gab ihm eine menschliche Grundregel mit auf seinen Lebensweg: Was du nicht willst, was man dir tu, das füge auch keinem anderen zu. Es war ihre Antwort auf seine Frage: Was ist Gott? Gestellt hatte sie Fritz Bauer als Sechsjähriger, erzählte er in der TV-Dokumentation „Als sie noch jung waren“ (1967).

Seine Biografin Irmtrud Wojak zitiert in ihrem Buch „Fritz Bauer 1903 - 1968“ seine Kindheitserinnerung. Man könne sie, meinte Bauer, psychologisch als eine Art von Urerlebnis bezeichnen. „Dieses Wort hat sich so tief in mich eingeprägt, dass es eigentlich zur Richtschnur meines Lebens geworden ist.“

An Gott geglaubt hat er jedoch nicht. Fritz Bauer war bekennender Atheist und hat sich dennoch mit religionsphilosophischen Fragen beschäftigt. Er verstand sich als Humanist. In Braunschweig und in Frankfurt ließ er an der Fassade der Gerichtsgebäude in den ersten Satz im Artikel 1 des Grundgesetztes für die Bundesrepublik Deutschland anbringen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

Ausstellung in Nürnberg

Bis 3. Juni ist im Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg die Wanderausstellung „Fritz Bauer. Der Staatsanwalt. NS-Verbrechen vor Gericht“ zu sehen. Sie wurde vom Fritz Bauer Institut in Kooperation mit dem Jüdischen Museum Frankfurt konzipiert (geöffnet Montag bis Freitag 9-18 sowie Samstag/Sonntag/Feiertag 10-18 Uhr).

Leben und Werk und Persönlichkeit von Fritz Bauer werden in 17 Themen-Stationen vorgestellt; zum Beispiel seine Jugend in Stuttgart, sein Exil in Dänemark und Schweden, der Eichmann-Prozess oder der Strafrechtsreformer.

Der Film „Mord in Frankfurt“ von Rolf Hädrich aus dem Jahr 1967 wird als Begleitprogramm zur Ausstellung am 3. Mai um 18.30 Uhr im Memorium Nürnberger Prozesse, Bärenschanzstraße 72, präsentiert (mit Gespräch). Anmeldung unter Tel. (0911) 321-79 372; oder per E-Mail: memorium@stadt.nuernberg.de cj

 
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