Thomas Thieme (66) wurde in Weimar geboren. Seine Schauspielausbildung absolvierte er in der DDR. 1984 durfte er in den Westen ausreisen, wo er zunächst am Schauspiel Frankfurt ein Engagement fand. Vor allem ab den 90er Jahren wurde Thomas Thieme vom Fernsehen entdeckt, er spielte zahlreiche Rollen zunächst in Serien wie „Tatort“ oder „Ein Fall für zwei“.
Im mit einem Oscar prämierten Film „Das Leben der Anderen“ spielte Thieme die Rolle des Ministers Bruno Hempf. Für eine ZDF-Produktion schlüpfte er auch schon in die Rolle des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Kohl. Im TV-Dokudrama „Uli Hoeneß – der Patriarch“ (ZDF, heute, 20.15 Uhr) spielt Thieme nun den ehemaligen Bayern-Präsidenten. Im Interview mit dieser Zeitung vergleicht Thieme den Fall Hoeneß mit Shakespeare-Dramen: „Der König stirbt hier, indem er drei Jahre und sechs Monate Gefängnis bekommt.“
Thomas Thieme: Für mich gab es eigentlich gar keinen Zweifel, diese Rolle zu übernehmen. Hoeneß ist im Moment eine der umstrittensten Figuren, die es in Deutschland gibt. Er wird geliebt und gehasst. Solche Rollen muss man spielen. Aber Bedenken gibt es bei solchen Filmen natürlich immer. Ich habe auch schon mal Helmut Kohl gespielt, da hatte ich diese Bedenken auch. In dem Fall war es im Nachhinein auch eher unerfreulich zu erleben, wie mit dem Film umgegangen wurde. Aber gut: das scheint der Obolus zu sein, den man entrichten muss, wenn man solche Rollen annimmt.
Thieme: Nein, wir wollen doch mal die Kirche im Dorf lassen! Als schurkenhaft würde ich das, was er getan hat, niemals bezeichnen. Wenn Sie sich das Spektrum der möglichen Straftaten angucken, gibt es da viel schwerwiegendere Delikte. Im Vergleich zu Hoeneß haben die Figuren, die ich sonst häufig spiele, ganz andere Sachen auf dem Kerbholz als er.
Thieme: Mir wäre lieb, man würde manche Dinge etwas sachlicher betrachten. Heute rufen sie „Hosianna!“ und morgen „Kreuzige ihn!“. Auf der einen Seite die Bayern-Fans, die statt einer Verurteilung seine Heiligsprechung wollen. Auf der anderen Seite Hoeneß' Gegner, die sagen, man müsse diesen Mann enteignen und ihn lebenslänglich einsperren. Was soll man mit so viel horrender Unvernunft – man will es fast Blödheit nennen – anfangen? Für mich als Schauspieler ist die Frage, ob das Urteil gerecht ist, auch gar nicht wichtig. Ich kann eh nur spielen, wie dieses Urteil auf Herrn Hoeneß wirkt – und das habe ich getan.
Thieme: Wir haben ihn ja alle in der Öffentlichkeit immer als einen sehr offensiven, extrovertierten Menschen erlebt. Ich fand im Vergleich dazu die Seite spannend, die zutage tritt, wenn man diese Extrovertiertheit aus irgendeinem Grunde verliert. Bei ihm war es nun diese unglückliche Geschichte mit den Steuern. Und plötzlich stand er ganz anders im Zentrum der Öffentlichkeit als zuvor. Vorher war er einfach der große Hoeneß, bei dem man die Ohren gespitzt hat, wenn er sich zu irgendeinem Thema geäußert hat. Und plötzlich war er der Angeklagte Hoeneß – eine gewaltige Veränderung. Mir ging es schon darum, einen Hoeneß zu zeigen, der biblisch gestrauchelt ist, nun vor seinem Richter steht und zusehen muss, dass er da einigermaßen vernünftig rauskommt. Den Lautsprecher Hoeneß kennt ja jeder, den muss man nicht spielen, der ist dokumentiert in vielen Situationen seines Lebens.
Thieme: Ich habe den Eindruck, dass diese ganze Geschichte kein Ruhmesblatt für ihn war. Und dass er das, was er da als Reue deklariert, schon sehr ernst meint. Für die dramatische Figur, den Hoeneß, so wie ich ihn spiele, ist das auch sehr wichtig.
Thieme: Zumindest ist dieser Vergleich nicht blöde. Ich wundere mich, dass er aufgekommen ist, weil die Kenntnis der griechischen Tragödie in unserer Gesellschaft eigentlich ja gar nicht mehr sehr verbreitet ist. Natürlich ist es so: „Der König ist tot – es lebe der König!“ Diesen Schlüsselsatz aus den griechischen Tragödien und den Königsdramen von Shakespeare kann man auf Hoeneß übertragen. Der König stirbt hier, indem er drei Jahre und sechs Monate Gefängnis bekommt. Und er kehrt zurück, indem er gleich darauf ins Mikrofon brüllt: „Das war's noch nicht“.
Thieme: Genau. Diese recht profane Ebene des Fußballs kriegt somit Dimensionen, die sich emotional durchaus mit Shakespeare und der griechischen Tragödie vergleichen lassen – wenn auch nicht in ihrem intellektuellen Format.
Thieme: Ja, als ich die Rolle annahm, wusste ich allerdings nicht, dass Hoeneß ein Shakespeare-König ist. Die Parallelen habe ich erst entdeckt, als ich damit angefangen habe, an der Rolle zu arbeiten: Dieses Selbstbewusstsein am Anfang. Dass ein König heraustritt vor sein Volk und ihm sagt: „So, hier stehe ich und jetzt bringt vor, was ihr vorzubringen habt.“ Daraufhin dauert es ein paar Tage und am Ende urteilt das Volk in Gestalt des Richters. In dem Moment sieht der König dann natürlich anders aus als in dem Moment, wo er aufgetreten ist. Das war bei Hoeneß sehr eindrucksvoll.
Thieme: Natürlich wünscht man sich die Katharsis! Im Drama wäre die jetzt auch dran. Wir sollten uns den Fall genau ansehen und unsere demütigen Schlüsse daraus ziehen. Im alten Griechenland hat das geklappt – da war die Vernunft ein ganz wesentlicher Bestandteil des Lebens. Da wurden aus dem Fall von König Ödipus, der – wenn man es nicht ganz ernst nimmt – in etwa mit dem Fall von Uli Hoeneß vergleichbar ist, tatsächlich Konsequenzen gezogen. Genauso wie mit der dramatischen Hauptfigur selbst – in diesem Fall Uli Hoeneß – eine Katharsis stattfinden kann.
Thieme: Naja, Hoeneß könnte beispielsweise auf die Idee kommen, dass diese emotionale Bemerkung „Das war's noch nicht!“ vielleicht ein bisschen vorschnell, wenn nicht gar überflüssig war. Möglicherweise fällt sie ihm auf die Füße, wenn er nach drei Jahren ein anderer geworden ist, weil er dann gar nicht unbedingt wieder den Vorzeigechef dieses großen Vereins geben will. Das wäre dann die echte Katharsis.
Thieme: Ja, mich würde schon interessieren, was ihn geritten hat, sich als einer der glücklichsten, erfolgreichsten und beliebtesten Männer dieses Landes in so eine Situation zu begeben. Warst du da Herr des Geschehens? Oder sind die Wogen über dir zusammengeschlagen? War also das Schicksal schuld, das wie die Rachegöttin Nemesis in der griechischen Mythologie über uns schwebt und zuschlägt? Das würde ich ihn schon gerne fragen, vielleicht kommt es ja einmal dazu.
Thieme: Diese Impulsivität in bestimmten Momenten, in denen er an die Grenzen des Kontrollverlustes gerät. Bei mir hat sich das mit dem Alter Gott sei dank etwas reduziert. Aber nehmen wir einmal dieses Interview von Uli Hoeneß, in dem es um den jungen Bayern-Spieler Breno geht, der kurz zuvor wegen Brandstiftung verhaftet wurde. Da kriegt er einen Tobsuchtsanfall und sagt, es sei eine Unverschämtheit, diesen jungen Menschen einfach so einzusperren. Er verliert jede Sachlichkeit, weil er der Meinung ist, dass man das mit einem 22-jährigen Ausländer, der nicht einmal vernünftiges Deutsch spricht, nicht machen kann. Das hat mir gefallen. So etwas hätte mir auch passieren können.
Der Fall Uli Hoeneß
Es war der Prozess des Jahres: Am 13. März 2014 schickte das Landgericht München den früheren Fußball-Weltmeister und langjährigen Manager des FC Bayern München, Uli Hoeneß, wegen Steuerhinterziehung in Höhe von 28,5 Millionen Euro ins Gefängnis. Eine dreieinhalbjährige Haftstrafe brachte ihm das ein, die er im Juni 2014 antrat. Anfang dieses Jahres wurde der 63-Jährige Freigänger und muss inzwischen nur noch zum Schlafen hinter Gitter. Hoeneß arbeitet inzwischen tagsüber in der Nachwuchsabteilung des FC Bayern, Anfang März 2016 könnte er endgültig auf freien Fuß kommen.
In der ZDF-Doku (heute, 20.15 Uhr) wechseln sich im Film nachgedrehte, auf Mitschriften einer Gerichtsreporterin beruhende Szenen ab mit Interviews und Archivaufnahmen aus dem Leben des berühmten Fußball-Funktionärs. Er habe lange mit Hoeneß' Sohn telefoniert, sagte Produzent Walid Nakschbandi. Hoeneß selbst habe er drei Briefe geschrieben, die bislang unbeantwortet geblieben seien. Die Familie kommt im Film nicht zu Wort – dafür aber Sportreporter wie Waldemar Hartmann, Ex-Fußballmanager Reiner Calmund und die Gerichtsreporterin der „Süddeutschen Zeitung“, Annette Ramelsberger.
Uwe Ochsenknecht indes spielt die Hauptrolle in einer Sat.1-Verfilmung, die den Fall Hoeneß als Vorbild hat. „Udo Honig – Kein schlechter Mensch“ heißt die lange Satire, die am 8. September um 20.15 Uhr ausgestrahlt wird.