Die Raumpflegerin gab einen ersten Hinweis, dass im Olympischen Dorf etwas geschehen sein musste. Das war am Morgen des 5. September 1972. Acht Mitglieder der palästinensischen Terrororganisation „Schwarzer September“ waren in das kaum gesicherte Olympische Dorf in München eingedrungen und hatten Sportler der israelischen Olympiamannschaft in ihre Gewalt gebracht.
Franz Sußmann hatte zu diesem Zeitpunkt frei. Der Gerolzhöfer (Lkr. Schweinfurt) war an diesem 5. September bereits seit zehn Tagen als Mitglied der GSG 2 (Grenzschutzgruppe) in München. Seine Aufgabe: die Fernmeldestelle des Bundespresseamts im Hotel Bayerischer Hof bedienen. Dazu gehörte es für den damals 23-Jährigen auch, per Fernschreiber Mitteilungen des Presse- und Informationsamts über den Stand der Dinge bei den Olympischen Spielen aus München an die Bundesregierung in Bonn zu senden.
Als sich die Nachricht vom Terroranschlag verdichtete, eilte Franz Sußmann an seinen Arbeitsplatz. Als er im Bayerischen Hof ankam, herrschten dort Bestürzung und Fassungslosigkeit. Und Ratlosigkeit. Niemand hatte mit einem Anschlag gerechnet – von Oberbürgermeister Georg Kronawitter bis zum Polizeipräsidenten Manfred Schreiber.
Das Bundespresseamt wurde ab dem Vormittag des 5. September mit Meldungen überschüttet, keiner wusste, wer was machen sollte. Franz Sußmanns oberster Dienstherr war damals Regierungssprecher Conrad Ahlers, der auch Chef des Presse- und Informationsamts der Bundesregierung unter Kanzler Willy Brandt war. Sußmann gab in den nächsten Tagen viele Nachrichten über das damals schnellste Medium Fernschreiber weiter. Einer besonderen Geheimhaltungspflicht unterlag er dabei nicht. „Es war alles im Fernsehen zu sehen, warum sollten wir da etwas geheim halten.“ Trotzdem kann er nach 40 Jahren kaum mehr etwas über die Inhalte seiner Fernschreiben sagen. Darum ging es für ihn auch nicht, es kam vor allem auf schnelles und korrektes Erfassen der Texte an.
Als alles vorbei war, besuchte Sußmann den Ort des Geschehens in der Connollystraße 31 im Olympischen Dorf. „Es war schon erstaunlich, wie wenig gesichert das alles war. Da konnte jeder ein- und ausgehen. Die Palästinenser müssen problemlos in das Dorf gekommen sein.“ In der Tat: Die schwache Sicherung gehörte zum Programm. Deutschland wollte sich bei den Olympischen Spielen 27 Jahre nach dem Nationalsozialismus als offenes und freies Land mit möglichst wenigen Uniformen präsentieren. Auch Franz Sußmann war in München ausschließlich ohne Uniform unterwegs. „Das war schon ungewöhnlich, nachdem wir sonst immer Uniform tragen mussten, sogar bei internen Schulungen, bei denen uns niemand gesehen hat.“ Nach dem Anschlag legte Olympia einen Tag Pause ein, dann gingen die Spiele weiter. Eine Lösung, die Sußmann in Ordnung fand.
Dennoch: Der Anschlag war wie eine Zäsur. Während vom 26. August bis zum 5. September eine heitere und gelöste Stimmung herrschte, lag nach diesem Tag bis zum Ende am 11. September Beklemmung über den Spielen. „Das Wetter blieb zwar die ganzen 14 Tage schön, aber es war nichts mehr wie vorher“, erinnert sich der GSG-Mann. Auch auf ihn selbst schlug sich diese Stimmung nieder. Als er vor der Olympiade wegen seiner guten Schreibmaschinenkenntnisse gefragt wurde, ob er nicht den Dienst des Fernmelders bei dem Ereignis übernehmen wollte, hatte er freudig zugestimmt. Mit seinem VW-Käfer war er gut gelaunt nach München gefahren. Die Arbeit war nicht allzu anstrengend, Verkehrsmittel und Eintrittskarten waren für den GSG 2-Mann frei. Das nutzte er in seiner Freizeit mit dem Besuch von Fußballspielen und Leichtathletik-Wettkämpfen. Ab dem 5. September wurde aber alles ein bisschen anders. Das gilt auch für die Sicherheitskräfte. Denn Konsequenz des Terrors von München war am 26. September 1972 die Bildung der GSG 9 – einer Spezialtruppe für den Antiterrorkampf und zum Einsatz bei schwerster Gewaltkriminalität. Franz Sußmann selbst war gut sechs Jahre als Gruppenführer und Ausbilder beim Bundesgrenzschutz. Foto: Finster