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MÜNCHEN
Das sozialdemokratische Gewissen
Hans-Jochen Vogel wird 90       -  Hans-Jochen Vogel, der 90 Jahre alt wird, lebt in einer Münchner Seniorenresidenz.
Foto: Lukas Barth, epd | Hans-Jochen Vogel, der 90 Jahre alt wird, lebt in einer Münchner Seniorenresidenz.
Uli Bachmeier
Uli Bachmeier
 |  aktualisiert: 10.02.2016 03:45 Uhr

Es ist schon 44 Jahre her, dass er dieses Amt niedergelegt hat. Trotzdem kann es heute noch passieren, dass ältere Münchner Bürger ihn in der U-Bahn hochachtungsvoll mit „Grüß Gott, Herr Oberbürgermeister“ anreden. Es ist schon 25 Jahre her, dass er den Bundesvorsitz der SPD einem Jüngeren überließ. Dennoch ist er bis heute bekannter als manche seiner Nachfolger. Und weil das so ist, und weil es noch viel mehr zu sagen gibt, hat sich die SPD etwas ganz Besonderes ausgedacht: Hans-Jochen Vogel, der an diesem Mittwoch seinen 90. Geburtstag feiert, wird am morgigen Donnerstag bei einem Festakt im Münchner Rathaus gleich von zehn Rednern gewürdigt.

Darunter sind namhafte Politiker, die Ämter bekleiden oder bekleidet haben, die auch Vogel in seiner aktiven Zeit innehatte: SPD-Chef Sigmar Gabriel, SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, die Bundesminister Barbara Hendricks (Bau) und Heiko Maas (Justiz), der frühere und der aktuelle Münchner Oberbürgermeister, Christian Ude und Dieter Reiter, sowie der Berliner Regierende Oberbürgermeister Michael Müller.

Prominente Polit-Gäste

Außerdem kommen der österreichische Bundespräsident Heinz Fischer, der frühere Bundestagspräsident Wolfgang Thierse und, als einziger CDU-Politiker, Bernhard Vogel, der Bruder des Jubilars und frühere Ministerpräsident in Rheinland-Pfalz und Thüringen. Hans-Jochen Vogel freut es. „Das ist eine originelle und neuartige Idee“, sagt er und fügt dann noch lakonisch hinzu: „Ich darf dann auch noch sechs Minuten danken.“

Dass alles gesagt werden wird, was gesagt werden könnte, ist nicht zu erwarten. Zehn mal sechs Minuten sind wenig für rund sechs Jahrzehnte aktiven politischen Lebens. Vogel (geboren 1926 in Göttingen) gehört zu jener Generation bundesdeutscher Politiker, die die Zeit des Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg noch bewusst erlebt haben. Nach dem Krieg studierte er Rechtswissenschaft, trat 1950 in die SPD ein, arbeitete als Jurist in der bayerischen Staatsverwaltung und als Rechtsreferent bei der Stadt München. 1960 wurde er zum damals jüngsten Oberbürgermeister einer europäischen Großstadt gewählt. Sein souveräner Wahlsieg gegen den prominenten CSU-Politiker Josef Müller („Ochsensepp“) gehört bis heute zu den größten SPD-Erfolgen im Freistaat.

Dass ihn die Münchner bis heute nicht vergessen haben, liegt vor allem daran, dass er sich erfolgreich dafür eingesetzt hatte, die Olympischen Spiele 1972 nach München zu holen. Die „heiteren Spiele“ haben der Stadt, obwohl sie am Ende von einem Terrorakt überschattet waren, einen Entwicklungsschub und ein Ansehen in der Welt gebracht, das bis heute nachwirkt. In der SPD gilt Vogels Einsatz für die Partei bis heute als vorbildlich. Er gab 1972 das Amt des Oberbürgermeisters in München ab, wurde SPD-Landesvorsitzender in Bayern, war Bundesminister für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau unter SPD-Kanzler Willy Brandt und für Justiz im Kabinett von SPD-Kanzler Helmut Schmidt und für kurze Zeit „Nothelfer“ seiner Partei als Regierender Bürgermeister in Berlin.

Dass er sich 1983 nach dem Zerfall der sozialliberalen Koalition in Bonn als SPD-Kanzlerkandidat zur Verfügung stellte, wurde ihm von Kommentatoren als „neuer Opfergang für die Partei“ gutgeschrieben. Den Aufwärtstrend der Unionsparteien unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) konnte er trotz eines engagierten Wahlkampfs nicht stoppen.

Es war eine schwierige Zeit für die SPD. Vogel aber machte pflichtbewusst weiter und brachte als Fraktionschef – in der Nachfolge des SPD-Urgesteins Herbert Wehner – die sozialdemokratischen Abgeordneten im Bundestag wieder in die Spur. Sein Parteifreund Hans Apel attestierte ihm damals: „Er hat die Fraktion in bewundernswerter Weise zum Arbeiten gebracht.“

Vogel selbst fasste einige Jahre später seine politische Grundeinstellung so zusammen: „Ich bin ein Sozialdemokrat, der ein Stück Vision mit der ziemlich strengen und unerbittlichen Erkenntnis übereinbringen möchte, dass Politik nicht mit Wortwolken, sondern mit solider handwerklicher Arbeit betrieben werden kann.“

Verzicht gehört dazu

Zu seiner politischen Karriere gehörte auch der Verzicht. 1987 übernahm Vogel zwar den Parteivorsitz in der Nachfolge Willy Brandts, aber er überließ dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Johannes Rau die Kanzlerkandidatur und ersparte der SPD damit einen Führungskampf. Vier Jahre später, nach der SPD-Wahlniederlage 1990, stellte er erst den Partei- dann den Fraktionsvorsitz zur Verfügung. 1994 trat er nicht mehr für den Bundestag an.

Ein Ende seines politischen Engagements bedeutete das noch lange nicht. Vogel blieb aktiv, schrieb Bücher und war unter anderem Mitglied des Nationalen Ethikrats und Gründungsvorsitzender der überparteilichen Initiative „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, die sich gegen politischen Extremismus stellt und die Erinnerung an die Verbrechen der NS-Diktatur wach hält. In Bayern half er mit, die NS-Dokumentationszentren in Nürnberg und München aufzubauen.

Seit 2006 lebt Vogel mit seiner Frau Liselotte in einem Münchner Seniorenstift. Termine wahrzunehmen, fällt ihm zusehends schwer. „Ich spüre mein Alter. Es gibt da eine ganze Reihe von Baustellen, die größte Baustelle ist die Parkinson-Krankheit“, sagt er. Weiterreden mag er darüber aber nicht. „Solange der Kopf noch funktioniert, will ich mich nicht beklagen.“

 
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