Wer eine spannende urbane Metamorphose erleben will, muss nicht nach Berlin, Hamburg oder Köln. Ein Ausflug nach Nürnberg genügt: Gostenhof heißt der Schauplatz der Verwandlung, ein Stadtteil südwestlich des Zentrums, nur ein paar Meter von der historischen Altstadt entfernt.
In dem früheren „Glasscherbenviertel“, auf Nürnbergerisch „Glosschermverdel“, mit seinem günstigen Wohnraum und den verwunschenen Hinterhöfen hat Stefan Stretz sein Hauptquartier: 45 Jahre alt, Chef des Schanzenbräus sowie der dazugehörigen Schankwirtschaft in der Adam-Klein-Straße. Er war einer der ersten, der in Gostenhof seine alternativen Ideen auslebte und so dabei half, das Gesicht des Viertels zu verändern. Vom Hinterhof zu Nürnbergs größter Privatbrauerei in zehn Jahren – das ist die Erfolgsgeschichte von Stretz und seinem Schanzenbräu.
Angefangen hat alles als kleine Hinterhofbrauerei an der Nürnberger Bärenschanze. Inzwischen wird in der neuen Fabrik in Nürnberg-Höfen gebraut. Die Nachfrage ist groß, das Unternehmen wächst weiter. „Wir interpretieren Bier neu“, erklärt Stretz. Er ist ein Nürnberger Original und sieht mit seiner Baseball-Kappe ein bisschen aus wie der britische Musiker und Entertainer Robbie Williams. Im Waschkessel seiner Großmutter hat er das erste eigene Bier gebraut. Ein Rotbier. „Rotes Bier und blaue Zipfel, das waren schon immer die Spezialitäten der Region“, sagt Stretz. 2006 hat er seine eigene Brauerei gegründet, heute gibt es kaum eine Szenekneipe in Nürnberg mehr, in der es kein Schanzenbräu gibt. Dabei mache er eigentlich nichts Besonderes, sagt Stretz: „Wir brauen untergärige und etwas stärker gehopfte Biere.“
Seit 2008 hat Stretz eine eigene Schankwirtschaft in Gostenhof, das er so ganz nebenbei auf dem Weg zum In-Viertel „GoHo“ mitgeprägt hat. „Wir brennen für unser Bier, und wir leben Rock'n'Roll“, erklärt der Brauer sein Lebensmotto.
Im Zweiten Weltkrieg war Gostenhof weitgehend unzerstört geblieben. Alte Bausubstanz, innerstädtische Lage ohne Grünflächen – Gostenhof entwickelte sich wie viele andere deutsche Innenstadtbezirke zu einem Stadtteil, in den ärmere und ausländischen Familien zogen. Vor 20 Jahren schon lebten hier Menschen aus über 40 Nationen zusammen.
Gostenhof galt lange Zeit als Nürnberger Bronx oder Gostambul. Und immer noch sind die Fassaden beschmiert. „Einkommen rauf, Mieten runter“, steht da zum Beispiel. „In den 1980er Jahren hat sich der Stadtteil ein alternatives Image zugelegt, was sich in einer großen Anzahl von Kneipen, Initiativen und Künstlerwerkstätten niederschlägt“, erzählt Karola Gärtner von Tourismus Nürnberg. Dort kann man heute Stadtführungen durch das neue Szeneviertel GoHo buchen.
Eines der Zentren des Viertels ist der Petra-Kelly-Platz. Unter Ahornbäumen verweilen im Frühling und Sommer Gäste des Hempels auf Holzbänken und genießen Burger mit selbst gemachten Soßen. Daneben machen es sich Besucher des Grillhaus Nawroz gemütlich, essen Kebabs und trinken Tee. Auf der anderen Straßenseite sitzen sie beim Café Mainheim und genießen Kuchen.
In acht Minuten läuft man von dort zur Wundermanufaktur von Stephan Kirschbaum. „Gostenhof ist für mich ein zauberhafter Ort“, sagt Kirschbaum. Der Zauberer ist ebenfalls ein Nürnberger Original. „Zu mir kommt man zum Warmstaunen“, erzählt er. Es gibt fast nichts, was er noch nicht gemacht hat: BWL-Studium, Kellnerjob, Gesangsausbildung, Sprecher beim Bayerischen Rundfunk. Zaubern hat Kirschbaum beim „Workshop Magie“ an der Volkshochschule in Nürnberg gelernt, vor 20 Jahren. Wer heute eine seiner Vorstellungen sehen will, muss bis zu zwei Monate warten.
Cafés und viele Spielmöglichkeiten für Kinder gibt es um den Veit-Stoß-Platz. Hier findet jeder Passant eine schattige Sitzgelegenheit, auf Bänken, Mäuerchen oder liegenden Baumstämmen. Der Platz ist bereits seit 1876 nach dem Bildhauer, Maler und Kupferstecher Veit Stoß benannt. Sein bekanntestes Werk ist der Englische Gruß (oder Engelsgruß), der in der Lorenzkirche hängt.
„Mich inspiriert die Vielfalt. Es ist ein quirliger Stadtteil“, das gefällt auch Hilmar Wölfel, dem „Edelfalter“ von Gostenhof, an seinem Stadtteil. Der Kartonagenmachermeister fertigt im Hinterhof der Hessestraße 15 Stülpschachteln, Faltschachteln, Schiebeschachteln, Schmuckschachteln – alles was man aus Papier machen kann. Aktuell bei ihm zu haben sind Spielhelme aus Karton.
Weiter geht es vorbei an kleinen Boutiquen, Feinkost- und Designläden zur Galerie des Berufsverbands Bildender Künstlerinnen und Künstler in die Hirtengasse. „240 Künstler aus Mittelfranken sind in diesem Berufsverband zusammengeschlossen. Insgesamt gibt es derzeit mehr als 63 Ateliers und Galerien in GoHo.
Der Architekt Florian Karnik hat aus einer alten Eisdiele in der Rothenburger Straße etwas Besonderes gezaubert: ein Design-Café mit Galerie. Neben Waffeln, Sandwiches und einem leckeren selbst gemachten Eis gibt es immer wieder Kunst von Nürnberger Künstlern zu sehen. „Das ist mein Lebenstraum“, sagt Karnik. An der Wand der „Galerie Eisdiele“ hängen große Neon-Leuchtbuchstaben in verschiedenen Größen, denn Karnik sammelt Typografien. Ein alter Eiswagen erinnert an die alte Eisdiele, die früher in den Räumen war. Dass in diesem Objekt viel Herzblut steckt, merkt man nicht nur an der Optik, sondern auch am Service.
Nach dem Stadtbummel geht es zur Schankwirtschaft Schanzenbräu. Dort kann man den Tag gemütlich bei Schäufele, Gulasch, Bratwürsten mit Kraut ausklingen lassen – und natürlich einem Bier. Und wer Glück hat, trifft vielleicht den Chef der Brauerei, Stefan Stretz, der gerne den Tag bei einem roten, hellen oder schwarzen „Schanze“ in seiner eigenen Gaststätte beschließt.
Tipps zum Trip
Gostenhof ist ein Stadtteil von Nürnberg, der südwestlich an die Altstadt grenzt.
Brauereiführung: Wer gerne Stefan Stretz und die Brauerei Schanzenbräu in der Proeslerstraße 3 kennenlernen möchte, kann eine Führung buchen. Eine Besichtigung ist für Gruppen auf Anfrage möglich: E-Mail: prost@schanzenbraeu.de
Mehr über Stefan Stretz und das Schanzenbräu erfahren Sie auf der Website von Bayern Tourismus.
Einkehr: Schäufele, Gulasch und alle Biersorten der Schanzenbräu gibt es in der Schankwirtschaft, Adam-Klein-Straße 27, 90429 Nürnberg. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag von 17 bis 1 Uhr, Samstag/ Sonntag von 11 bis 1 Uhr.
Mehr Infos: Tourist Information in der Nürnberg-Info gegenüber dem Hauptbahnhof, Königstraße 93. Öffnungszeiten: Montag bis Samstag von 9 bis 19 Uhr, Sonn- und Feiertag von 10 bis 16 Uhr.