"O‘zapft is!" heißt es am 22. September wieder – aber nicht auf der Münchner Theresienwiese (da fließt die erste Maß Bier heuer nämlich schon am 16. September), sondern im Festzelt am Albersloher Weg in Münster. Dort beginnt das Münsteraner Oktoberfest, eine der größten und Bewertungen zufolge gelungensten Oktoberfestkopien nördlich der Donau. Bei den im Zelt gesprochenen Dialekten werden sich Münchner und Münsteraner Oktoberfest sicherlich unterscheiden, in einem anderen Punkt aber kaum: Wer in Nordrhein-Westfalen auf den Bänken schunkelt, trägt meistens ebenso bayerische Trachten – und damit hat Mechthild Bettmer-Liebermann ziemlich viel zu tun.
In ihrem Laden in der Bahnhofstraße von Ahaus hängen die farbenfrohen Dirndl zu Dutzenden an den Kleiderstangen. Die 40.000-Einwohner-Stadt liegt im westlichen Münsterland unweit der Grenze zu den Niederlanden. Dennoch kann man sich hier vorkommen wie im bayerischen Oberland, zumindest was die Auswahl an Trachten angeht. Die aktuellen Dirndl-Modelle der Saison gibt es ebenso wie klassische Muster, Schürzen in verschiedenen Farben und Längen, Blusen, Lederhosen, Hemden, Samtwesten, Strümpfe und Haferlschuhe, dazu Kindertrachten, ausgewählte Accessoires und Trachtenschmuck, das meiste neu, einige Stücke aus zweiter Hand. "Alles individuell kombinierbar", präsentiert Bettmer-Liebermann stolz ihr Sortiment.
Mit Dirndl hatte sie selbst gar nichts am Hut
Als die 70-Jährige vor 43 Jahren ihren Secondhandladen für Alltagsmode eröffnete, hätte sie sich nicht träumen lassen, dass sie einmal als Trachten-Spezialistin gefragt sein würde, und das über die Landesgrenze hinaus. Auch aus Holland kommen regelmäßig Kunden, um original Dirndl und Lederhosen zu erstehen. Jüngst, erzählt Bettmer-Liebermann, sei sogar ein Paar aus Südafrika auf seiner Urlaubsreise durch Norddeutschland extra bei ihr vorbeigefahren – sie wollten den Enkelinnen als Souvenir ein echtes Dirndl mitbringen.
Selbst hatte Mechthild Bettmer-Liebermann lange gar nichts mit Trachten am Hut, obwohl ihr Mann aus München stammt und sie einige Zeit lang dort lebten. Doch erst als sie längst nach Ahaus gezogen waren, kam das Thema auf. "Vor 15 Jahren etwa hat der Trend angefangen", erinnert sich die Ladeninhaberin. Bayerische Trachten kamen zunehmend auch im Norden in Mode. "Es gab hier Themenpartys und immer mehr Oktoberfeste, außerdem fahren viele Leute in Gruppen nach München auf die Wiesn oder auf ein anderes großes Volksfest im Süden", sagt Bettmer-Liebermann. Noch dazu entdeckten viele Norddeutsche die Tracht als Festgewand für sich. "Wir kleiden heute manchmal ganze Hochzeitsgesellschaften ein."
Bettmer-Liebermann erkannte damals die Nachfrage. Heute ist sie mit ihrer Auswahl einzigartig in der Region. Doch wenn es schon bayerische Trachten sein sollten, "dann bitte gescheite", sagt sie. Also machte sie sich 2010 auf an ihren einstigen Wohnort München zur Recherche vor Ort. "Ich habe alle Secondhandläden und Trachtengeschäfte in München abgeklappert", erinnert sie sich mit einem Lachen. Beim Trachtengeschäft Steindl fand sie schließlich, was sie suchte: bayerische Trachten in guter Qualität, gleichwohl so preiswert, dass sie sie auch im Norden verkaufen konnte. Ihr Geschäftsgeheimnis: "Ich muss eine Preisklasse präsentieren, die mit dem Internet konkurrieren kann." Mit Steindl-Geschäftsführerin Patricia Hohloch verstand sie sich gleich gut, sodass der Partnerschaft nichts mehr im Wege stand. "Sie hat mich sehr unterstützt, ich hatte ja anfangs keine Ahnung von Dirndln", sagt die Nordrhein-Westfälin. Heute hat sich das freilich geändert.
Im Frühjahr muss sie Trachten nachbestellen
Seit 13 Jahren fährt Bettmer-Liebermann nun jedes Frühjahr nach München, um die neuesten Modelle zu sichten. Zurück kommt sie meist mit einem Auto voller Blusen und Lederhosen und einer langen Bestellliste. "Im nächsten Frühjahr muss ich eine Riesenmenge nachbestellen", sagt sie. Im Frühjahr kommen die Hochzeitsgesellschaften. Beobachtet sie denn beim Geschmack Unterschiede zwischen Nord- und Süddeutschland? Durchaus, sagt Bettmer-Liebermann: "Manche Modelle verkaufen sich bei uns zum Beispiel erst ein, zwei Saisons später als in München." Dann, wenn Prominente mit diesen Modellen auf Fotos zu sehen waren. "Darauf achten die Leute."
Und ist sie selbst inzwischen mit den Trachten warm geworden? "Seit ich mich näher damit befasst habe, ist es mir auch ein Herzensthema geworden", sagt Bettmer-Liebermann und lächelt. Auch ihre Familie kleidet sie mit Freude ein. Die beiden Enkelinnen und ihre Schwiegertochter, die in Südkorea leben, wurden dort sogar schon einmal auf einem Ball für ihre ausgefallenen, hübschen Kleider ausgezeichnet.