
Bayerns Schülerinnen und Schüler schwächeln bei den wichtigsten Kompetenzen, die es zum Leben braucht: Lesen, Schreiben und etwas Mathematik. Die neue Kultusministerin Anna Stolz will diese Grundkenntnisse wieder "stärker in den Blick nehmen". Gerade würden Programme erarbeitet, um Schülerinnen und Schülern darin "eine spezielle Förderung zu ermöglichen", sagte die Politikerin der Freien Wähler unserer Redaktion. Denn: "Schülerinnen und Schüler auf den digitalen Wandel vorzubereiten, ist das eine. Das andere ist, ihre Basiskompetenzen in Deutsch und Mathematik zu stärken."
Beim Lesen etwa waren deutsche Schülerinnen und Schüler zuletzt ins europäische Mittelfeld zurückgefallen. Seit 20 Jahren sinken die Leseleistungen in der Grundschule kontinuierlich. Die mittlerweile viel zitierte Iglu-Studie hatte erst im Mai ergeben, dass ein Viertel der Viertklasskinder in Deutschland nicht gut genug lesen kann, um erfolgreich am Unterricht teilzunehmen. Vor allem Kinder aus sozial schlechter gestellten Familien und Familien mit Migrationsgeschichte sind in dieser Hinsicht deutlich benachteiligt. Die Lage in den einzelnen Bundesländern dokumentiert regelmäßig die Bildungstrend-Studie des Berliner Instituts für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB). Demnach schneiden bayerische Schülerinnen und Schüler bei Lesen, Orthografie und Mathematik zwar signifikant besser ab als der Bundesschnitt. Doch auch im Freistaat gingen die Leistungen im Vergleich zu vorangegangenen Tests in allen drei Bereichen messbar zurück.
"Ich glaube, die Vermittlung dieser Kompetenzen wird einfach schwieriger in der digitalisierten Welt, weil die Kinder anders aufwachsen", erklärt Stolz. Schon bisher sind die Grundschulen in Bayern angehalten, Lesetrainings in den Unterricht zu integrieren. Besonders beliebt: ein Programm der Universität Regensburg, bei dem Lehrkräfte pro Schuljahr sechs Wochen lang täglich 20 Minuten in gezieltes Lesen investieren. Ab dem kommenden Schuljahr werden 60 Grundschulen ein Programm zur fächerübergreifenden Schreibförderung erproben.
Die neue Kultusministerin will also keine "Digitalisierung um jeden Preis". Am bereits vor der Wahl bekannten Plan, dass jeder Schüler und jede Schülerin an weiterführenden Schulen bis 2028 ein eigenes Digitalgerät für den Unterricht bekommen soll, will Stolz aber festhalten. Der renommierte bayerische Schulpädagoge Klaus Zierer hatte angesichts dessen vor einem "Digitalisierungswahn" an den Schulen gewarnt.
Der Lehrermangel ist weiter die größte Herausforderung
Bildungsforschende der Technischen Universität Dortmund, die die Iglu-Ergebnisse für Deutschland ausgewertet hatten, fordern gezielte neue Maßnahmen, um der Lese-Defizite bei Grundschulkindern Herr zu werden. Allem voran: mehr Unterrichtszeit in der ganzen Klasse mit Lesen zu verbringen. Hier ist Bayern also auf dem richtigen Weg. Außerdem die Arbeit in kleinen Gruppen mit den Kindern, die Lernprobleme haben, die dem Lesen geschuldet sind – und eine individuelle Unterstützung von Schülerinnen und Schülern, die besonders hohen Förderbedarf haben.
Dass es im Alltag schlicht unmöglich ist, Schüler mit Nachholbedarf gezielt zu fördern, beklagen Lehrkräfte in Bayern seit Jahren. Denn der Personalmangel hat sich mittlerweile über nahezu alle Schularten ausgebreitet. Um Lehrern wieder mehr Zeit fürs Unterrichten zu geben, plant Kultusministerin Stolz unter anderem eine "Entbürokratisierung". Die 41-Jährige möchte nicht nur zusätzliche Stellen in den Sekretariaten und der Schulverwaltung schaffen, sondern auch die Vielzahl an Kontroll- und Dokumentationspflichten an den Schulen überprüfen und unterrichtsfremde Aufgaben digitalisieren, wo es sinnvoll ist.
Ist Bayern wirklich so spitze, wie immer behauptet wird? Dem gehen wir in unserer neuen Podcast-Reihe nach. Dieses Mal zum Thema Bildung – mit Michael Piazolo und Simone Strohmayr.