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Augsburg
Lehrerpräsident zum Zustand der Schulen: "Das ist nicht länger hinnehmbar"
Stefan Düll, Schulleiter in Neusäß, ist jetzt Präsident des einflussreichen Deutschen Lehrerverbands. Beim Bildungssystem sieht er vier große Baustellen.
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Foto: Marcus Merk | Stefan Düll, neuer Präsident des Deutschen Lehrerverbands, sieht vier große Herausforderungen im Schulsystem.
Sarah Ritschel
 |  aktualisiert: 11.03.2024 11:02 Uhr

Herr Düll, Sie sind Schulleiter, haben Erfahrung in der Kommunalpolitik und Verbandsarbeit. Als Präsident des Deutschen Lehrerverbands sprechen Sie nun für 170.000 Lehrkräfte in ganz Deutschland. Wie bereitet man sich auf so viel öffentliche Aufmerksamkeit vor?

Stefan Düll: Da habe ich eine gewisse Vorerfahrung. Zum einen, weil ich hier als Schulleiter für Interviews zur Verfügung stand. Ich habe den bisherigen Vorsitzenden Heinz-Peter Meidinger wiederholt vertreten. Insofern war ich es gewohnt, Rede und Antwort zu stehen, auch vor der Kamera. Ich habe das Gefühl, dass auch Lehrkräfte sich von uns vertreten fühlen, die keine Mitglieder im Verband sind. Ich sehe mich ein wenig so wie jemand, der eine demokratische Partei vertritt – und damit auch für Menschen spricht, die keine Mitglieder sind, aber die Ansichten teilen.

Welche sind für Sie die drei großen Baustellen im Bildungssystem?

Düll: Die erste liegt auf der Hand: Lehrkräftegewinnung – und ich formuliere das bewusst positiv. Lehrermangel klingt immer so, als würde man den Mangel als etwas Unveränderliches hinnehmen. Aber ich denke, man kann etwas dagegen tun. Dann haben wir die Digitalisierung. Man kann sich darüber streiten, ob wir künstliche Intelligenz an Schulen bewusst nutzen müssen. Aber die Digitalisierung an sich ist unabwendbar. Der dritte Bereich ist die Integration. Das will ich nicht nur bezogen wissen auf Menschen mit Migrationshintergrund. Wir werden zunehmend mehr Schüler haben, die Deutsch als Bildungssprache unvollkommen beherrschen. Wir werden schon in der Grundschule mehr Erstklässler haben, denen Vorkenntnisse fehlen, um gut mitzukommen. Daran muss man arbeiten. Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg. Bevor man in jeder Grundschule etwa Englisch aufs Programm setzt, sollte man erst mal Deutsch vernünftig hinbekommen. 

Bayern will ab dem Schuljahr 2024/2025 verpflichtende Sprachtests einführen und Kinder mit unzureichenden Kenntnissen fördern. Wie müssen diese Tests gestaltet sein?

Düll: Die Tests flächendeckend mit allen Kita-Kindern durchzuführen, würde einen immensen Aufwand bedeuten. Man sollte auf die Expertise der Erzieherinnen in den Kitas – und später der Lehrkräfte an den Grundschulen - setzen. Sie merken, wenn bei einem Kind Schwierigkeiten vorhanden sind, und ob man einen solchen Test anwenden muss. Ergänzend zum Sprachtest sollte also die persönliche Einschätzung der Fachkräfte einbezogen werden. Und, wenn wir schon über Baustellen reden, ich habe noch einen vierten Punkt, an dem man arbeiten muss.

Welchen?

Düll: Schulbau und Schulsanierung. Wir haben zum Teil zu wenige Schulen oder sie sind zu klein. Die Unterrichtsräume sind zu klein, die Verwaltungsräume sind zu klein. Die Gesamtzahl der Räume ist zu gering. Viele Gebäude sind in einem Zustand, in dem sie dringendst saniert gehören. Der Standard, den unser Land eigentlich vertritt, ist bei vielen Schulen nicht mehr gegeben. Das ist nicht länger hinnehmbar. Das ist in der Corona-Pandemie aus dem Fokus geraten.

Ihre Schule, das Justus-von-Liebig-Gymnasium Neusäß, wird doch derzeit aufwendig saniert …

Düll: Natürlich wird Geld in die Hand genommen, mein Gymnasium ist bald ein völlig saniertes Gebäude. Wir werden viel größere Klassenzimmer haben, Begegnungszonen, also Lernlandschaften außerhalb der klassischen Unterrichtsräume. Da ist zeitgemäßer Unterricht möglich. Aber durch die Folgen des Ukrainekriegs, durch die steigenden Energiepreise geht den Kommunen das Geld aus. Gerade die großen Städte, München, Augsburg, können Sanierungen finanziell nicht stemmen. Der Schlüssel der Verteilung der Gelder muss überdacht werden. Es ergibt keinen Sinn, dass die Kommunen über die Länder Geld beim Bund für Sanierungen oder Digitalisierung beantragen müssen. Hier müssten Steuergelder umgeschichtet werden, direkt an die Kommunen gehen.

Ist in renovierungsbedürftigen Schulgebäuden zeitgemäßer Unterricht also nicht möglich?

Düll: Das Ganze ist eine psychologische Sache. Nehmen Sie das Beispiel Lehrerzimmer. Ein Großteil ist in einer Zeit entstanden, als es vorwiegend Vollzeit-Lehrkräfte gab. Heute arbeitet allein an Gymnasien mehr als die Hälfte in Teilzeit. Wenn alle da sind, sitzen dann nicht 40 Lehrer im Lehrerzimmer, sondern 70 auf den Plätzen von 40. Schulgebäude müssen in einem Zustand sein, der motivierend ist, der Wertschätzung ausdrückt gegenüber den Lehrkräften und den Kindern. Schnelle Änderungen sind im Schulsystem nur schwer möglich, etwa bei der Ausbildung der Lehrkräfte. Aber man kann jetzt ordentlich investieren in Gebäude, in Digitalisierung, in ergänzendes Personal.

Woher soll dieses Personal kommen?

Düll: Auch hier sind Sanierungen, gute Arbeitsbedingungen, ein ganz wichtiger Punkt. Das trägt zur Motivation der Lehrkräfte bei. So kann ich Menschen im System halten und ihnen sagen: Pass mal auf, wir haben da ein Problem in der Versorgung. Könntest du dir vorstellen, deine Stunden aufzustocken? Und es braucht Personal, das die Lehrkräfte bei unterrichtsfremden Aufgaben entlastet. Sozialpädagogen etwa, bei denen man ein Kind in guten Händen weiß, wenn im Unterricht Probleme auftreten.

Wie bekommen Lehrkräfte wieder mehr Zeit zum Unterrichten?

Düll: Als Lehrkraft muss man alles Mögliche dokumentieren. Seit einigen Jahren müssen wir für Exkursionen etwa Gefährdungsbeurteilungen abgeben. Unsere Referendare und Seminarlehrkräfte bekommen Ausbildungsgeräte. Sie können mit diesen Tablets zu Hause nicht drucken und auch hier in der Schule keinen Drucker ansteuern. Um den Drucker daheim nutzen zu können, müsste sich der Systembetreuer, der hauptberuflich Lehrkraft ist, auf das private Netzwerk zu Hause draufschalten und das einrichten. Das ist absurd. Und weiter: Unser Datenschutzbeauftragter muss die Apps kontrollieren und freigeben, die auf den Geräten verwendet werden. Wir müssen Bürokratie abbauen oder Personal einstellen, das sie übernimmt. 

Zur Person: Stefan Düll ist seit 2014 Leiter des Neusässer Justus-von-Liebig-Gymnasiums. Dort hat er rund 75 Lehrkräfte, im Lehrerverband vertritt er jetzt knapp 170.000.

 
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