Seit er zehn Jahre alt ist, geht Florian Schürbesmann aus Schwandorf regelmäßig ins Gericht. Unzählige Verhandlungen hat der heute 27-Jährige, der seit seiner Geburt blind ist, von der Zuhörerbank aus verfolgt. An diesem Freitag (13. Oktober) wird er zum ersten Mal am Richtertisch Platz nehmen - im Sozialgericht Regensburg und als erster blinder Laienrichter in Bayern. Auf diesen Tag hat er sich sehr gefreut. „Nervös bin ich nicht“, sagte er im Vorfeld. „Vorfreude ist das richtige Wort.“ Für Schürbesmann wird ein Traum wahr.
Den Eid, den er vor seiner ersten Verhandlung ablegen wird, hat er fleißig geübt: Er wird unter anderem schwören, „nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen“. Da muss Schürbesmann lachen. „In meinem Fall kann man sagen, dass ich den Eid wohl sehr genau erfüllen werde: Ich werde mir mein Urteil auf jeden Fall ohne Ansehen der Person bilden.“
Keine Äußerlichkeiten, Gestik oder Mimik
Ob sich jemand für die Gerichtsverhandlung herausgeputzt hat oder einen schlechten ersten Eindruck abgibt: Schürbesmann kann man mit Äußerlichkeiten nicht beeinflussen. Aber er kann auch keine Gestik oder Mimik wahrnehmen, die oftmals ein Anhaltspunkt sein können. „Mir hilft mein Gehör: In der Stimme hört man so viel, zum Beispiel, ob jemand ganz leicht aufgeregt ist oder ob ihn etwas zögern lässt, ob er in Verlegenheit gerät.“ Er hört Nuancen, die Sehende vielleicht nicht wahrnähmen, aber die ihn hellhörig werden ließen. „Ich kenne es nicht anders“, sagt er. Seit seiner Geburt ist die Welt um ihn herum schwarz.
Als „Geburtsblinder“ gehört Schürbesmann einer Minderheit an. Laut Elke Runte vom Bayerischen Blinden- und Sehbehindertenbund (BBSB) verlieren die meisten Betroffenen erst im Laufe ihres Lebens ihr Augenlicht, zum Beispiel durch Erkrankungen oder Unfälle. In Bayern leben etwa 80 000 blinde und sehbehinderte Menschen, so die Einschätzung des BBSB. Auch Adolf Bauer, Präsident des Sozialverbands Deutschland (SoVD), kann nur vage Zahlen nennen: 2002 sollen es Schätzungen zufolge 1,2 Millionen Betroffene in Deutschland gewesen sein. „Es gibt leider kaum belastbare Zahlen. Und das kritisieren wir entschieden. Denn um Teilhabe und Inklusion zu ermöglichen, ist empirisches Zahlenmaterial erforderlich.“
Einer von 4000 ehrenamtlichen Richtern
Sowohl BBSB als auch SoVD ist es ein großes Anliegen, die Situation der Blinden und Sehbehinderten zu verbessern. Der SoVD hat Schürbesmann als ehrenamtlichen Richter vorgeschlagen. Er ist nun einer von mehr als 4000 ehrenamtlichen Sozialrichtern in Bayern.
Trotz seiner Blindheit trägt der 27-Jährige eine Brille. Keine Sonnenbrille, sondern eine mit Fensterglas. „Eine mit Sehstärke würde auch keinen Sinn machen.“ Warum er sie dennoch trägt? „Als Schutz“, sagt er. „Damit nichts in die Augen kommt.“ Zum Beispiel Hindernisse auf Augenhöhe wie etwa Sträucher oder Äste. Zuhause bei seiner Familie findet er sich gut zurecht. Hier lauern keine unerwarteten Hindernisse auf ihn. Schwierig werde es nur, wenn er unbekannte Wege gehe oder an fremden Orten sei. Ins Gericht wird ihn zu jeder Verhandlung ein Taxi bringen. Das Gerichtsgebäude kennt er bereits gut. „Ich war hier selbst Zuschauer und auch Kläger.“ Sein Recht zu bekommen, sei nicht immer einfach, besonders gegenüber Krankenkassen. „Hier ist oft der Gang vor das Sozialgericht erforderlich“, sagt Schürbesmann.
Schürbesmann fragt genau nach
Als ehrenamtlicher Sozialrichter hofft er, dazu beitragen zu können, die Welt ein Stück gerechter werden zu lassen. Er wird vor allem Verhandlungen im Schwerbehindertenrecht beiwohnen. Auch die Opferentschädigung fällt in seinen Zuständigkeitsbereich und mit einem solchen Fall beginnt auch seine Laufbahn. Die mündliche Verhandlung wird eine gute Stunde dauern. „Vielleicht auch länger, denn ich bin einer, der ganz genau nachfragt.“ Telefonisch wurde er durch den Vorsitzenden Richter vorinformiert.
Schürbesmann nimmt seine Aufgabe sehr ernst. Seine Stimme hat auch Gewicht. „Theoretisch könnten ich und der zweite ehrenamtliche Richter - in jeder Verhandlung sind zwei ehrenamtliche Beisitzer dabei - den Berufsrichter überstimmen.“ Aber Schürbesmann will nicht falsch verstanden werden: „Wer einen berechtigten Anspruch hat, soll Recht bekommen, aber wer zu viel verlangt, der nicht.“ Ihm gehe es darum, dass „Unrecht dem Recht weicht und das Recht sich durchsetzt“.
Dieses Bedürfnis ist so tief in ihm verwurzelt, dass er in wenigen Tagen sein Jurastudium beginnen möchte. Damit kommt er seinem großen Ziel ein großes Stück näher: Seit er sieben Jahre alt ist, weiß er, was er beruflich werden möchte: Strafrichter.