Die Zahlen klingen dramatisch. Zwischen 1960 und 2001 haben sich die in Bayern vertretenen Vogelarten halbiert. Auslöser für diese Negativentwicklung waren vor allem Eingriffe des Menschen in die Landschaftsstrukturen. Beispiel Landwirtschaft: Die Intensivierung des Agrarsektors und damit einhergehende Konsequenzen wie die Flurbereinigung, also die Zusammenlegung landwirtschaftlicher Felder, verkleinerten den Lebensraum zahlreicher Arten. Seit den 2000er-Jahren versuchen Umweltschützer und die bayerische Staatsregierung mit Einzelmaßnahmen den Rückgang zu stoppen und die Bestandszahlen zu stabilisieren. Doch haben diese Mittel Erfolg? Und wie geht es den häufigen Brutvogelarten wie Amsel und Kohlmeise?
Ausgewählte Bestandszahlen geben Aufschlüsse über die Situation zahlreicher Vogelarten. Die Daten stammen von Organisationen wie dem Landesbund für Vogel- und Naturschutz (LBV). Hier haben ehrenamtliche Ornithologinnen und Ornithologen einen genauen Blick auf die Bestände einzelner Vogelarten. Bei gefährdeten Arten – deren Populationen sind merklich zurückgegangen oder durch menschliche Einwirkungen in ihrer Existenz bedroht – formen sich kleine Teams von Vogelfreunden, die die Bestandssituation beobachten.
Die Brutplätze des Wiedehopf in Schwaben sind streng geheim
Ein Extremfall ist der Wiedehopf. Der Vogel ist zum einen für sein markantes Erscheinungsbild, orangefarbenes Gefieder mit schwarz-weißer Musterung und einem fächerartigen Kamm auf dem Kopf, zum anderen für seine Seltenheit bekannt. Laut dem Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) ist der Wiedehopf in Bayern vom Aussterben bedroht. Das heißt, dass diese Art aussterben wird, sollten die Gefährdungsursachen fortbestehen. "In Bayern gibt es etwa zehn bis elf Brutpaare, und auch in Schwaben gibt es einzelne Paare. Die Brutplätze sind jedoch streng geheim", sagt Simon Niederbacher vom LBV.
Niederbacher und seine Kollegin Alexandra Fink sind für das "Monitoring häufiger Brutvögel" in Bayern zuständig. Um die Bestandszahlen für den gleichnamigen Bericht zu erfassen, wurde das Bundesland in 450 Probeflächen unterteilt. Etwa die Hälfte dieser Flächen werden seit 2006 viermal im Jahr von Ehrenamtlichen abgelaufen. Dabei notieren die Vogelenthusiasten die Anzahl und Arten, die sie bei ihrem Rundgang gesehen und gehört haben. Anhand dieser Beobachtungen können die Ornithologen des LBV Rückschlüsse zu den Bestandsentwicklungen ziehen. Gemäß des aktuellen Berichts geht es den meisten häufigen Vogelarten in Bayern relativ gut. Eine Übersicht exemplarisch ausgewählter Vogelarten.
Monitoring häufiger Brutvögel: Amsel und Meise auf dem aufsteigenden Ast
- Seit einigen Jahren steigt der Bestand der Amsel in Bayern moderat an. Das liegt laut Niederbacher vor allem daran, dass die Art sehr anpassungsfähig ist. "Amseln haben die Furcht vor den Menschen verloren", sagt der Vogelkundler. So arrangieren sich die Vögel gut mit neuen Gefahrensituationen wie etwa Glasscheiben oder Autos. Neben Amseln haben sich auch die Meisenarten sehr gut an das Leben in bebauten Gebieten angepasst. Da die Vögel in Höhlen brüten, profitieren sie von Nistkästen, die Privatpersonen häufig in ihren Gärten aufstellen. "Meisen können fast überall brüten, sie brauchen nicht viel", sagt Alexandra Fink. Die Winterfütterung hilft ebenfalls vielen Gartenvögeln durch die kalte Jahreszeit. Da die Winter hierzulande mild sind und genügend Futter vorhanden ist, überleben immer mehr Kohlmeisen. Auch deren Bestand steigt moderat an – ähnlich der Amsel.
Der Schwarzspecht erholt sich – mit einem netten Nebeneffekt
- Ein Vogel, der einen rasanten Aufstieg erlebt, ist der Buntspecht. Gefährdet war dieser zwar auch vor zehn oder fünfzehn Jahren nicht, trotzdem: Der LBV stuft den Bestand des Waldvogels, der vor allem für seine klopfenden Laute bekannt ist, als stark steigend ein. Doch woran liegt das? "Der Buntspecht ist sehr anpassungsfähig. Es werden immer mehr Schäden auch an Haus- und Holzwänden gemeldet, die der Specht verursacht", so Niederbacher. "Vögel mit geringen Ansprüchen haben es in der stark veränderten Umwelt einfacher."
- Auch die Bestände des Schwarzspechts, eine Art mit pechschwarzem Gefieder und unverwechselbarer roter Haube, haben sich in den vergangenen Jahren stabilisiert. Das liegt laut dem Vogelkundler vor allem an großen Fortschritten im Waldnaturschutz und sogenannten Habitat- oder Biotopbäumen. Diese Bäume werden nicht gefällt, um Tiere wie dem Schwarzspecht einen Lebensraum bieten zu können. Und der nette Nebeneffekt: Auch die Population der Hohltaube steigt, denn sie übernimmt die verlassenen Höhlen der Spechtart.
- Die Feldlerche hingegen hatte es über Jahrzehnte nicht leicht: Nachdem deren Population in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgrund intensiver landwirtschaftlicher Nutzung drastisch zurückgegangen war, ist deren Bestand mittlerweile stabil. "Das können erste Erfolge im Naturschutz sein", schätzt Niederbacher die aktuelle Lage ein. Vor allem Ehrenamtliche setzen sich für diese Vogelart ein, durchforsten Felder und kennzeichnen mit Stöcken Brutplätze, damit der Landwirt oder die Landwirtin diese Stelle umfährt. Auch sogenannte Lerchenfenster schützen die Vögel. Hierbei wird eine Fläche von etwa 20 Quadratmetern von der landwirtschaftlichen Nutzung ausgespart, dafür erhalten die zuständigen Bauern und Bäuerinnen entsprechende Ausgleichszahlungen. Aber auch die Zunahme der biologischen Landwirtschaft könne bei der Stabilisierung des Bestands eine Rolle spielen.
- Etwas schlechter steht es um die Stockente. Noch ist sie omnipräsent, bei Spaziergängen am Wasser erfreuen sich viele ihrer Anwesenheit. Doch in ganz Europa sinkt ihre Population leicht – aus noch nicht ganz geklärten Gründen. Alexandra Fink schätzt, dass durch Renaturierungen weniger Futter für die Vögel vorhanden ist. Auch die Qualität der Nahrung ist entscheidend. Fink appelliert an alle, die Tiere nicht mehr mit Brot zu füttern. Denn dadurch empfänden die Enten zwar ein Völlegefühl, das Brot enthalte aber keine Nährstoffe für sie.
Wiesenbrüter-Bestände sind in Deutschland seit 1980 stark rückläufig
Einen starken Rückgang in Deutschland und Europa erfuhren in den vergangenen 30 Jahren die Bestände der Wiesenbrüter. Zur Arterhaltung benötigen diese feuchte, weitläufige Felder und Weiden. Hier können die Vögel ausreichend Nahrung finden und sich vor Fressfeinden schützen. Wegen der Intensivierung der Landwirtschaft, Entwässerung von Feuchtflächen und der zunehmenden Trockenheit aufgrund des Klimawandels hatten sie es zuletzt jedoch besonders schwer. Die Zahlen sind eindeutig: Die deutschlandweiten Bestände der Wiesenbrüter sind laut LBV seit 1980 um 78 Prozent zurückgegangen.
Eine traurige Entwicklung, findet auch Alexander Klose. Klose ist Vorstandsmitglied in der LBV Kreisgruppe Landsberg am Lech. Zusammen mit seinem Mitstreiter Johnny Fritzsche ist er seit Jahren als Wiesenbrüterberater in den Landkreisen Ostallgäu und Augsburg Land unterwegs. Ihr Fokus liegt auf dem in Schwaben noch recht verbreiteten Kiebitz. Mithilfe des "Wiesenbrüter-Brutplatzmanagements" der Regierung von Schwaben wollen die Ornithologen den Rückgang der Kiebitz-Bestände aufhalten. Sie kartieren die Brutpaare, markieren Gelegestandorte und sind während der Brutzeit in Kontakt mit den Landwirten.
Kiebitzbestand im Wertachtal zwischen Kaufbeuren und Schwabmünchen macht Hoffnung
Natürliche Faktoren begünstigen das Unterfangen der Ornithologen. "Der Kiebitzbestand zwischen Kaufbeuren und Schwabmünchen ist noch recht gut", sagt Klose. "Das liegt zum einen daran, dass die Wertachtalebene einen moorigen Boden hat." Außerdem gebe es – verglichen mit anderen Landkreisen in Bayern– noch ausreichend Niederschlag. "Deshalb kann sich der Kiebitz hier gut halten, mit Schutzmaßnahmen und wenn die Niederschlagswerte zur Brutzeit passen", fährt Klose fort. Trotzdem lassen sich anhand der Daten Schwankungen erkennen. In den besonders heißen und trockenen Jahren 2018 und 2022 war der Bruterfolg der Kiebitze geringer. Dies kann sich in den folgenden Jahren auch auf die gesamten Bestandszahlen auswirken.
Im Wiesenbrütergebiet Wertachtal, welches das Ostallgäu und den Landkreis Augsburg umfasst, konnten die Ornithologen im vergangenen Jahr 105 Brutpaare des Vogels mit dem glänzend schwarzen Gefieder und abstehender Federholle am Hinterkopf ermitteln. Das sind rund viermal so viele wie 2014, was laut Klose aber nicht auf eine Bestandszunahme sondern auf eine genauere Erfassung zurückzuführen ist. Der Brutbestand dürfte dennoch sehr stabil einzuschätzen sein und stelle eines der Schwerpunktgebiete in Schwaben mit zehn bis 20 Prozent des Gesamtbestandes dar. Eine erfreuliche Situation für Klose. "Gleichzeitig tragen wir aber eine immense Verantwortung für den Bestand des Kiebitz", so der Vogelschützer.
Der Landkreis Landsberg am Lech ist ebenso prädestiniert für den Uhu. Hier finden sich rund sechs bis sieben Prozent des gesamten bayerischen Bestandes. Entlang des "Mittleren Lechs" gibt es mit 23 Revierpaaren auf 68 Flusskilometer gar die höchste Siedlungsdichte von ganz Bayern. Die Gegend bietet dem zu den Eulen gehörenden Vogel hervorragende Bedingungen. Sie sei eine "reichstrukturierte Landschaft mit Felsen, Steilwänden und -hängen, Wäldern, Freiflächen und Gewässern", erklärt Ornithologe Klose. "Zum Brüten gibt es zahlreiche Felsennischen in den teils abgerutschten Nagelfluhhängen und zudem Bodenmulden." Für die Nahrungssuche sei das Lechtal wegen der weitläufigen Grünflächen und der Stauseen mit den Wasservögeln ebenfalls ideal, so Klose.
Weniger erfreulich sieht die Entwicklung der Vogelarten im Landkreis Dillingen aus. Der Ornithologen Harald Böck weiß, dass im Niedermoorgebiet Wittislinger Ried zwei Vogelarten mittlerweile ausgestorben sind. Darunter befindet sich die Bekassine, in den 80er-Jahren brüteten dort noch acht bis neun Vogelpaare. Und auch der Baumpieper ist dort von der Bildfläche verschwunden, von ihm gab es in den 80ern noch 15 bis 17 Brutpaare. Laut Anne Vogel, Leiterin der LBV-Kreisgruppe Dillingen, haben ganz allgemein die Bestände der Vogelarten im Landkreis abgenommen. "Feldsperling, Goldammer, Waldlaubsänger und Gelbspötter waren früher noch in großer Anzahl vorhanden", so Vogel. Doch auch im Kreis Dillingen gibt es Lichtblicke. Der Bestand der Dorngrasmücke hat laut Vogel zugenommen. Ebenfalls positiv entwickelt sich der Bienenfresser. Diesem Vogel komme der Klimawandel, im Gegensatz zu vielen anderen Arten, entgegen, da er sehr wärmeliebend sei.
Aus den gesammelten Daten geht kein eindeutiger Trend hervor, der die aktuelle Lage "des Brutvogels" in der Region und Bayern beschreibt. An die Bestandssituationen der Vögel sind viele unterschiedliche Faktoren geknüpft, die so verschieden sind wie die Vögel selbst. Dennoch werden es in Zukunft die Vogelarten einfacher haben, die sich gut an die veränderte Umwelt anpassen können. "Doch auch die weniger anpassungsfähigen Arten können sich erholen, wenn man ihnen unter die Flügel greift", sagt Simon Niederbacher.