
Es ist eines der wenigen konkreten Versprechen in der Regierungserklärung von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU): „Bayern wird in zehn Jahren komplett barrierefrei sein“, sagte der Regierungschef am 12. November im Landtag. Und zwar „im gesamten öffentlichen Raum, im gesamten ÖPNV“. Dafür werde er ein Sonderinvestitionsprogramm auflegen, so Seehofer.
Eine Ankündigung, für die Bayerns Behinderte seit Jahrzehnten kämpfen. Deren Umfang und Kosten zunächst aber völlig unklar bleiben: Denn was genau ist der „gesamte öffentliche Raum“? Wie teuer wird solch ein barrierefreier Umbau Bayerns? Und welchen finanziellen Anteil an dem schönen Versprechen kann Seehofer auf Kommunen, Bahn oder Bund abwälzen?
Viele offene Fragen – weshalb wohl auch Bayerns Behindertenbeauftragte Irmgard Badura zurückhaltend reagiert: Zwar sei sie „sehr erfreut über die Nennung des äußerst anspruchsvollen Ziels“, Bayern in zehn Jahren barrierefrei zu machen. „Gleichzeitig frage ich mich, wie das so kurzfristig gehen soll.“ Schließlich gehe es nicht nur um ebenerdigen Einstieg in Bahn und Bus, sondern auch um hörbare Signale an Zigtausend Ampeln oder um „kontrastreiche und gut auffindbare Leitsystemen zur Orientierung“.
Internet zum Vorlesen
In der Tat beschränke sich die versprochene Barrierefreiheit nicht auf Bahn, Bus oder Schwimmbad, bekräftigt die zuständige Sozialministerin Emilia Müller (CSU). Es gehe etwa auch um gut lesbare Anzeigen an Haltestellen, Induktionsschleifen für Hörgeräteträger oder ein „barrierefreies Internet“, etwa mit Vorlesefunktion. Das Zehn-Jahre-Ziel sei in der Tat ehrgeizig, räumt Müller ein: „Aber wir schaffen das, wenn Gemeinden, Städte, Landkreise und Freistaat gemeinsam anpacken.“
Doch wen genau das „Anpacken“ wie viel kosten wird, bleibt vorerst unklar: Die Staatsbauverwaltung sei nur für Einzelplanung und bauliche Umsetzung der Barrierefreiheit zuständig, heißt es im zuständigen Innenministerium. Welche Gebäude konkret umgebaut werden müssten, wisse aber nur das jeweils zuständige Fachministerium. Eine Gesamtaufstellung gibt es offenbar nicht.
Konkret kann das Innenministerium deshalb nur bei den Polizeidienststellen werden: 224 der 375 Dienstgebäude sind demnach derzeit „barrierefrei zugänglich“ – 37 mehr als vor drei Jahren. Die Ausbaukosten für die restlichen Gebäude schätzt das Ministerium auf übersichtliche vier Millionen Euro.
Doch wie groß die Gesamtaufgabe sein könnte, zeigen zwei andere Zahlen der Staatsbauverwaltung: Gut 21 000 staatliche Gebäude in rund 5000 Liegenschaften gibt es demnach im Freistaat: „Ein Anteil der barrierefreien Gebäude lässt sich hierzu allerdings nicht angeben“, räumt die Bauverwaltung ein. Handlungsbedarf bestehe vor allem noch bei älteren und denkmalgeschützten Gebäuden. Kosten? Unbekannt.
Eine stattliche Anzahl, bei der sich die Kosten schnell summieren: Die Stadt Schweinfurt etwa ging im vergangenen Sommer für einen barrierefreien Umbau der 20 Schulgebäude in der Stadt von Gesamtkosten von fünf Millionen Euro aus. Hochgerechnet auf die mehr als 4000 Schulen in ganz Bayern ergäbe dies allein eine Investitionssumme von über einer Milliarde Euro.
Eine Milliarde für Bahnhöfe
Ebenfalls auf eine Milliarde Euro schätzt das Innenministerium die Kosten für den behindertengerechten Umbau der rund 1000 Bahnhöfe in Bayern. Derzeit ist nur gut ein Drittel davon komplett barrierefrei. Doch für die Kosten kommen bisher vor allem Bahn und Bund auf. Der Freistaat beteilige sich „durch ergänzende Finanzierungsbeiträge“ etwa an höheren laufenden Kosten, teilt die Bauverwaltung mit. Nur den Umbau von S-Bahn-Stationen bezahlt der Freistaat bisher komplett.
Dass der Freistaat die Kosten weiterreichen könnte, befürchten die Kommunen, die den Umbau von Schulgebäuden bezahlen müssten: „Wir sind da leider gebrannte Kinder“, sagt Bernd Buckenhofer, Geschäftsführer beim Bayerischen Städtetag. Er verweist auf ernüchternde Erfahrungen mit den Kosten der „Inklusion“ behinderter Kinder in Regelschulen.
Zwar sei Barrierefreiheit „nichts, was der Freistaat alleine schultern kann“, glaubt der Freie-Wähler-MdL Günther Felbinger aus Gemünden (Lkr. Main-Spessart). Doch die Gefahr sei groß, dass am Ende die Kommunen „auf einem Großteil der Kosten von Seehofers Ankündigung sitzen bleiben“. Es sei zudem bezeichnend für Seehofers Regierungsstil, dass offenbar keine konkreten Zahlen vorliegen, kritisiert Felbinger: „Man sollte doch vor so einem Versprechen zumindest eine blasse Ahnung davon haben, was es am Ende kosten könnte.“
Tja. Wer den Wal hat, hat die Qual...
(Aber dass die Kommunen Pflasterzoll dafür ausschließlich von Ausländern erheben dürfen, ist wohl ein - nicht nur politisches - "No-Go".)