Beerdigungen sind teuer, aber wer Geld hat und seinen verstorbenen Familienangehörigen die letzte Ehre erweisen will, nimmt die Kosten meist gerne auf sich. Was aber, wenn man nur wenig Geld hat und für die Beerdigung eines verstorbenen Verwandten zahlen soll, den man gar nicht kennt? Dann muss man trotzdem zahlen, sagt das Gesetz.
Bestattungskosten für den Halbbruder? Anna H. fiel aus allen Wolken
Anna H. (Name geändert) fiel aus allen Wolken, als sie Mitte März dieses Jahres das Schreiben der Städtischen Friedhöfe München in Händen hielt. Die 75-jährige Rentnerin aus Augsburg müsse, so wurde ihr mitgeteilt, für die Bestattungkosten ihres Halbbruders haften. Anna H. allerdings wusste bis zu diesem Moment gar nicht, dass sie einen Halbbruder hatte.
Das Schreiben der Behörde war höflich im Ton: Man habe eine traurige Mitteilung zu machen und man bitte darum, „die sehr verspätete Sachbearbeitung“ zu entschuldigen. Aber das Schreiben war auch bestimmt in der Sache: Anna H. wurde mitgeteilt, dass ihr Halbbruder im Dezember vergangenen Jahres tot in seiner Münchner Wohnung aufgefunden worden war und dass „innerhalb der gesetzlichen Bestattungsfrist keine bestattungspflichtigen Angehörigen zu ermitteln waren“. Deshalb habe ihr Bruder von Amts wegen bestattet werden müssen. Da er kein Geld hinterlassen habe, müsse sie einen Teil der Kosten, die mit 4283,93 Euro angegeben wurden, übernehmen: 3691,96 Euro, wenn sie bis zum 13. April, noch vor Erlass eines kostenpflichtigen Bescheids, zahle. Sie sei zur Zahlung verpflichtet. Ob sie ihren Halbbruder gekannt habe oder nicht, sei laut Gesetz unerheblich.
„Mir hat es den Boden unter den Füßen weggezogen“, berichtet die 75-Jährige im Gespräch mit unserer Redaktion – und das nicht nur wegen der hohen Rechnung, sondern auch, weil es wie ein Stich ins Herz war. „Ich wusste gar nicht, dass meine Mutter noch gelebt und einen Sohn bekommen hat“, sagt Anna H. Sie sei bei ihrem Vater aufgewachsen und der habe ihr als Kind gesagt, dass die Mutter gestorben sei. In Wahrheit war, wie sie erst viel später erfuhr, die Ehe ihrer Eltern geschieden worden. Dass die Mutter noch lebte, wusste sie allerdings ihr ganzes Leben lang nicht – und somit auch nicht, dass sie einen Halbbruder hatte. Als ihr das alles klar wurde, so sagt sie, habe sie „einen Blutdruck von 200 gehabt“.
Anna H. wurde schon mit 40 Jahren Witwe und zog zwei Kinder groß
Der Ärger über die hohe Rechnung kam hinzu. Anna H. hat nicht viel Geld. Sie wurde schon im Alter von 40 Jahren Witwe, zog ihre beiden Kinder alleine groß und lebt heute von einer kleinen Rente. Dennoch beugte sie sich der Behörde. Sie verzichtete, damit es nicht noch teurer wird, auf einen kostenpflichtigen Bescheid und bezahlte noch vor Ablauf der Frist die Rechnung von ihrem Ersparten. Ihr Notgroschen sei damit weg. „Jetzt kann ich wieder von null anfangen“, sagt sie.
Mit den rechtlichen Feinheiten des Vorgangs war Anna H. nicht vertraut. Zwar hatte die Friedhofsbehörde darauf hingewiesen, dass sie sich an den zuständigen Sozialhilfeträger bei der Stadt München wenden könne, um vielleicht zumindest einen Teil der Kosten erstattet zu bekommen. Doch Anna H. ging davon aus, dass das sinnlos sei, weil ihre Rente zwar niedrig sei, aber eben nicht niedrig genug, um einen Anspruch auf Sozialhilfe zu begründen. Dass sie dennoch einen Antrag hätte stellen können, sei ihr nicht klar gewesen. Nun ist es dafür möglicherweise schon zu spät, weil die Voraussetzung für den Antrag just der kostenpflichtige Bescheid ist, auf den Anna H. verzichtet hat.
Landtag fordert Prüfung einer Teilkostenübernahme durch Stadt München
„Da wiehert der Amtsschimmel gewaltig“, sagt der Landtagsabgeordnete der Grünen, Johannes Becher. Er betreute im Innenausschuss des Landtags die Petition, welche die Tochter der Rentnerin eingereicht hatte, um vielleicht doch noch Hilfe zu bekommen. Die Abgeordneten aller Fraktionen, so berichtet Becher, seien einhellig der Auffassung gewesen, dass man – selbst wenn es nach Recht und Gesetz gelaufen sei – mit der Rentnerin so nicht hätte umgehen sollen. „Zumindest ein Teil der Kosten sollte der Frau erlassen werden“, sagt Becher. Es widerspreche jedem Gerechtigkeitsgefühl, dass in so einem Fall „angesichts der menschlich-tragischen Umstände“ keine Billigkeitslösung möglich sein sollte.
Als erledigt sieht der Landtag den Fall noch nicht an, auch wenn er amtlich mit Bezahlung der Rechnung praktisch abgeschlossen ist. Per einstimmigen Beschluss bitten die Abgeordneten die Stadt München, nachträglich eine „mögliche Kosten- oder Teilkostenübernahme“ zu prüfen. Völlig aussichtslos ist das offenbar nicht, wie eine Nachfrage unserer Redaktion beim Sozialreferat in München ergab. Die Rentnerin, so sagt eine Sprecherin, solle sich auf jeden Fall melden. Man werde prüfen, ob man ihr helfen kann.