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Justizskandal
Beschuldigte im Misshandlungsskandal dürfen JVA Gablingen nicht mehr betreten
Das Justizministerium zieht nach den schweren Vorwürfen gegen die JVA Augsburg-Gablingen erste Konsequenzen. Die Vizechefin wehrt sich, doch interne Abläufe werfen Fragen auf.
MMA_66080007385345_sta.jpg       -  Gegen mehrere Bedienstete der JVA Augsburg-Gablingen laufen Ermittlungen.
Foto: Marcus Merk | Gegen mehrere Bedienstete der JVA Augsburg-Gablingen laufen Ermittlungen.
Ina Marks,Maximilian Kramer,Holger Sabinsky-Wolf
 |  aktualisiert: 02.11.2024 02:35 Uhr

Die Sicherheitsvorkehrungen in einem Gefängnis sind streng. Egal, ob Angehörige oder Strafverteidiger die Häftlinge besuchen, es wird genauestens überprüft, dass sie nichts in eine Justizvollzugsanstalt hinein- oder hinausbringen. Die Kontrolle über die Situation vor Ort mussten Bedienstete der JVA Gablingen am vergangenen Donnerstag allerdings aufgeben: Die Staatsanwaltschaft rückte mit zahlreichen Polizeibeamten an und stellte haufenweise Akten sicher. Gegen fast ein Dutzend Bedienstete wird wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt gegenüber Häftlingen ermittelt. Im Fokus der Ermittlungen steht die stellvertretende Gefängnisleiterin. Nun, wenige Tage nach Bekanntwerden der Vorwürfe, hat der drohende Misshandlungsskandal bereits erste Konsequenzen.

Wie das Bayerische Justizministerium auf Anfrage unserer Redaktion mitteilt, wurde gegenüber den betroffenen Bediensteten ein Betretungsverbot der JVA Gablingen verhängt – also auch gegen die stellvertretende Leiterin. „Darüber hinaus wurde ein vorläufiges Verbot der Führung der Dienstgeschäfte veranlasst“, so eine Ministeriumssprecherin. Neben den strafrechtlichen Ermittlungen liefen auch Disziplinarverfahren. Ohnehin nimmt das Ministerium die Abläufe in Gefängnissen nun offenbar genauer ins Visier, vor allem in Gablingen. „Wir werden insbesondere die Unterbringung in besonders gesicherten Hafträumen auf den Prüfstand stellen“, so die Sprecherin. In der JVA Augsburg-Gablingen sei „bis auf weiteres jede Unterbringung in einem besonders gesicherten Haftraum ab dem ersten Tag der Anordnung berichtspflichtig.“ Normalerweise gilt diese Pflicht erst ab 72 Stunden.

Der Vorwurf: In der JVA Augsburg-Gablingen wurden Gefangene misshandelt

An die Öffentlichkeit waren die Vorwürfe unter anderem durch Alexandra Gutmeyr gekommen. Die Augsburger Strafverteidigerin hatte am Wochenende gemeinsam mit einer ehemaligen Gefängnisärztin der JVA Gablingen von teils schockierenden Zuständen in dem Gefängnis berichtet. Vor allem geht es dabei um die Unterbringung von Häftlingen in den sogenannten „besonders gesicherten Hafträumen“ (BgH). Sie befinden sich im Keller der JVA Gablingen, die zu den modernsten Gefängnissen Bayerns zählt. Häftlinge können in diesen Einzelzellen untergebracht werden, wenn erhöhte Fluchtgefahr, die Gefahr von Gewalttätigkeit oder des Suizids besteht.

Den Schilderungen der früheren Anstaltsärztin zufolge mussten 80 Prozent der Gefangenen in diesen Spezialzellen nackt ohne eine Matratze auf dem Betonboden schlafen, und das teilweise über mehrere Tage bis Wochen. Sie erzählt von Schmerzen und Hämatomen der Gefangenen. Auch von Juckreiz und Hautausschlägen, weil sie sich nicht waschen durften. In zwei Fällen seien Häftlinge aus purer Verzweiflung gegen die Wände gerannt und hätten sich selbst verletzt. Das mögliche Beweismaterial, das die Ermittler jetzt zusammengetragen haben, muss umfangreich sein. Es wird wohl einige Zeit dauern, bis es ausgewertet ist und Beschuldigte sowie Zeugen dazu vernommen werden. Die Gefängnisärztin hatte bereits im Oktober vergangenen Jahres Anzeige erstattet, das Justizministerium und die Nationale Stelle zur Verhütung von Folter informiert. Doch Ermittlungen dazu wurden zunächst eingestellt, offenbar, weil ihre Vorwürfe zu wenige konkrete Angaben enthielten. Inzwischen liegen der Staatsanwaltschaft Augsburg mehrere Hinweise vor, wie Sprecher Andreas Dobler mitteilt. „In einer Gesamtschau begründen sie einen Anfangsverdacht und haben zur Einleitung des Ermittlungsverfahrens geführt“, sagt der Sprecher.

Bayerisches Justizministerium zieht erste Konsequenzen gegenüber Vize-Leiterin

Mit den Anschuldigungen konfrontiert, lässt die Vizechefin der JVA Gablingen, eine 37-jährige Juristin, inzwischen ihre Anwälte sprechen. Die Strafverteidiger Holm Putzke, Strafrechtsprofessor an der Universität Passau, Alexander Stevens und Thomas Krimmel, nehmen die erhobenen Vorwürfe gegen ihre Mandantin, wie sie schriftlich mitteilen, „sehr ernst“ und weisen diese „entschieden zurück“. „Die Anschuldigungen, wonach Inhaftierte durch die Umstände der Unterbringung unter menschenunwürdigen Bedingungen behandelt worden seien, entbehren auf Basis der vorliegenden Informationen jeglicher Grundlage.“ Ihre Mandantin werde die vollständige Aufklärung der Sachverhalte unterstützen, sagen die Anwälte und betonen weiter: Entsprechend der vorgeschriebenen Regularien seien alle Entscheidungen stets zusammen mit ärztlichen oder psychologischen Fachkräften abgestimmt gewesen. Bei längerer Dauer der Unterbringung sei das Justizministerium über jeden einzelnen Fall ausführlich informiert worden.

Tatsächlich kann eine JVA eine Unterbringung in so einer speziellen Zelle „nur“ für maximal 72 Stunden anordnen . Soll diese länger dauern, muss dies dem Justizministerium gemeldet werden. Strafverteidiger Alexander Stevens zeigt sich gegenüber unserer Redaktion erstaunt. „Als Anwalt bin ich verwundert, warum der Fokus nun auf der stellvertretenden Leiterin der JVA Gablingen liegt, wo es doch eine Leiterin des Gefängnisses und ein zuständiges Ministerium gibt“, sagt er. Chefin des Gefängnisses mit rund 600 Insassen und etwa 300 Bediensteten ist Zoraida Maldonado de Landauer. Bislang nimmt sie zu den Vorwürfen und den laufenden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft keine Stellung. Anfragen unserer Redaktion an die JVA-Chefin blieben unbeantwortet. Dabei dürfte interessant sein, inwieweit Maldonado de Landauer über die Arbeit ihrer rechten Hand informiert war. Wie das Ministerium mitteilt, ist die Leiterin weder von strafrechtlichen noch disziplinarrechtlichen Ermittlungen betroffen. Beteiligte, die Einblick in die Abläufe der JVA haben und hatten, berichten jedoch von einer Arbeitsweise, die Fragen aufwirft.

Gefängnis-Pfarrer berichtet von Abwesenheit der JVA-Leiterin in Gablingen

Einer von ihnen ist der einstige Gefängnispfarrer Peter Trapp. Er bestätigt das, was auch andere ehemalige Beteiligte unserer Redaktion schildern. „Die Leiterin der JVA war selten im Gefängnis zu sehen, sie war höchstens einmal in der Woche da“, sagt der evangelische Geistliche, der dort über vier Jahre gearbeitet hatte. Entweder sei Maldonado de Landauer im Homeoffice gewesen oder es habe geheißen, sie sei auf Reisen. „Ich den vier Jahren bin ich ihr nur dreimal persönlich begegnet“, sagt Trapp. Per Mail sei sie aber immer erreichbar gewesen. „Sie hatte den Laden schon unter Kontrolle, schmiss ihn quasi per Fernbedienung.“ Sein Eindruck war, dass die Leiterin genau darüber informiert war, was ihre Stellvertreterin im operativen Geschäft tat. „Sie stellte sich immer hinter sie.“

Anmerkung: Die Staatsanwaltschaft ermittelt aktuell gegen die Justizvollzugsanstalt Augsburg-Gablingen. Der Vorwurf: Mitarbeitende sollen Gefangene misshandelt haben. Alle Texte zum Fall finden Sie hier.

 
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