
Die Situation ist dem Stadtberger Kinderarzt Dr. Christian Voigt im Gedächtnis geblieben. Erst ein paar Monate ist sie her. Als im Frühjahr viele Kinder mit Streptokokken-Infektionen zu kämpfen hatten. Und einfach kein Antibiotikum mehr für sie aufzutreiben war. „Da hatte ich eine Mutter, die aus Frankreich kommt. Und die ist nach Bourges gefahren, um für ihr Kind Penicillin zu holen.“ Es folgten Monate mit ausgesprochen vielen Keuchhusten-Fällen und eine starke Mykoplasmenwelle. Ruhiger sei es in den Praxen erst ab Mitte August geworden. Nun rollt schon die nächste Krankheitswelle übers Land. Volle Wartezimmer, in Kitas und Büros wird gehustet und geniest. Und schon wieder beginnen die Medikamente knapp zu werden.
Rund 500 Medikamente seien zu Beginn der Erkältungssaison aktuell von Lieferengpässen betroffen, warnte der Vizepräsident der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände vergangene Woche in einem Interview. Das im vorigen Jahr beschlossene Lieferengpassgesetz bringe bisher leider keine spürbare Entlastung. Eine Einschätzung, die Dr. Christian Voigt, Obmann der Augsburger Kinderärzte, teilt. Deutschland, die einstige Apotheke Europas, rutsche in der Versorgung mit Medikamenten kontinuierlich auf die hinteren Ränge ab. Aktuell seien bereits wieder einige Antibiotika kaum verfügbar. Daneben Salbutamol, ein Präparat, das die Atemwege frei macht. „Allein am Freitag hatte ich sechs Patienten, die das gebraucht haben. Noch ist es vorrätig, aber wenn das in der Geschwindigkeit anhält, dann wird es kritisch. Dann wird es bei manchen nicht mehr gelingen, sie vor einer stationären Aufnahme zu bewahren.“
Der RSV-Impfstoff lässt noch auf sich warten
Was Voigt daneben ärgert, ist die Versorgungslage beim RSV-Impfstoff. Die RSV-Impfung wird inzwischen von der Ständigen Impfkommision empfohlen und könnte in Zukunft vielen Säuglingen einen Krankenhausaufenthalt ersparen, sagt der Mediziner. „Wir sind positiv überrascht von der Nachfrage und werden aktiv darauf angesprochen“, so Voigt. „Aber wir können nicht impfen, weil wir noch keinen Impfstoff haben.“ Für Mitte Oktober sei nun einer in Aussicht gestellt, für einige Babys kommt das möglicherweise zu spät. Vermutlich werde es ein Reimport aus Spanien werden. Denn dort erhalten Kinderärzte laut Voigt 70 Euro für eine Impfung. In Deutschland hätten die Mediziner nach langem Ringen 8,53 Euro ausgehandelt. Dazu noch etwas mehr als drei Euro für die Beratung. So sei die Motivation, viel Impfstoff zu bestellen, bei den Kollegen in Spanien verständlicherweise deutlich höher. Auf der anderen Seite gehe der Impfstoff, wie viele andere Medikamente auch, eben eher in die Länder, die mehr dafür bezahlen.
Viele Patienten telefonieren die Apotheken in Augsburg ab
Und das, sagt Bernhard Koczian, Bezirksvorsitzender des Apothekerverbands, sei zunehmend ein Problem. Beinahe täglich stehen in seiner Apotheke im Sheridan-Park verzweifelt Menschen, die deshalb das Medikament, das der Arzt ihnen verschrieben hat, nicht bekommen. Auf der Warteliste für Diabetesmedikamente, die viele Menschen mittlerweile zum Abnehmen nutzen, stünden mittlerweile 20 Personen. Beständig klingelt das Telefon, am anderen Ende Patienten, die eine Apotheke nach der anderen abklappern. Schließlich, sagt Koczian, setzen sich manche von ihnen dann ins Auto und fahren nach Österreich oder Holland, um es doch noch zu bekommen. Dass Medikamente nicht oder nur mit sehr großem Aufwand zu bekommen sind, sei nichts Neues und seit Jahren ein Problem, erklärt der Apotheker. „Es läuft hier seit geraumer Zeit was schief. Schon vor der Ampel-Koalition.“
Aktuell haben sieben Prozent der Deutschen einen Atemwegsinfekt
Dass die Antibiotika in diesem Herbst und Winter wieder knapp werden, sei absehbar. Schon jetzt sei das Mittel der Wahl für die durch Zeckenbisse verursachte Borreliose kaum zu bekommen. Täglich, sagt Koczian, verbringe man als Apotheker etwa eine Stunde mit dem Versuch, sich die benötigten Medikamente doch noch zusammenzukratzen. Im Großhandel, im Ausland, in anderen Apotheken. Dazu kommt der erhöhte Zeitaufwand, der durch das E-Rezept entsteht. Ist das Medikament, das darüber verordnet wurde, nicht vorrätig, sei das nur mit erhöhtem Aufwand behebbar. Nötig ist dann ein Anruf in der Arztpraxis. „Da hängen wir dann oft ewig in der Warteschlange. So wie die Patienten eben auch.“ Und selbst wenn sie durchkommen und das Rezept auf ein verfügbares Medikament geändert werden kann, ist das oft problematisch.
Wenn die Tabletten anders aussehen, steigt die Gefahr von Fehlern
Denn wenn die Blutdrucktabletten plötzlich eine andere Form und Farbe haben, steigt laut Dr. Markus Beck vom Ärztlichen Bezirksverband Schwaben die Gefahr von Einnahmefehlern. Gerade bei älteren Patienten. Deshalb müssten Kollegen bei einem Wechsel des Präparats auf ein verfügbares Medikament besonders gründlich aufklären. Das kostet Zeit. Zeit, die die Hausärzte eigentlich nicht haben. Gerade in der jetzigen Situation, in der das RKI verglichen mit den vorpandemischen Werten aus den Jahren 2011 bis 2019 eine der höchsten Rate an Atemwegsinfekten für diese Jahreszeit registriert. Knapp sieben Prozent der Menschen schlugen sich zuletzt mit Husten und Schnupfen herum. „Das merkt man in den Praxen. Es ist voll und es geht heiß her“, sagt Beck. „Und die Prognosen sagen, dass es weiter nach oben gehen soll.“