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MÜNCHEN
„Auch mein Vater war in Gefahr“
Der RAF-Terror im „Deutschen Herbst“: Monika Hohlmeier war eine Jugendliche, als die Rote Armee Fraktion zuschlug. Die Tochter von Franz Josef Strauß lernte, mit der Angst vor dem Terror zu leben.
1978 Safety measures for prominents in Bonn FRG intensified Since the last terror attacks in th       -  Hochgefährdet: In den 70er Jahren musste Franz Josef Strauß (rechts) stets von mehreren Sicherheitsleuten geschützt werden. Der CSU-Chef stand weit oben auf der Todesliste der RAF-Terroristen. Das bekam auch seine Familie zu spüren.
Foto: ArchivImago | Hochgefährdet: In den 70er Jahren musste Franz Josef Strauß (rechts) stets von mehreren Sicherheitsleuten geschützt werden. Der CSU-Chef stand weit oben auf der Todesliste der RAF-Terroristen.
Das Gespräch führte Michael Stifter
 |  aktualisiert: 14.09.2017 03:25 Uhr

Vor 40 Jahren, am 5. September 1977, entführte die Rote Armee Fraktion (RAF) den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Damit begannen 44 Tage, die als „Deutscher Herbst“ in die Geschichte eingegangen sind. Als Tochter von CSU-Chef Franz Josef Strauß lebte Monika Hohlmeier während des RAF-Terrors in München in ständiger Gefahr. Ohne schwer bewaffnete Polizisten durfte die damals 15-Jährige, die heute in Bad Staffelstein in Oberfranken lebt, nicht aus dem Haus. Wie aus Angst für sie Alltag wurde.

Frage: Sie waren 15 Jahre alt, als der „Deutsche Herbst“ mit der Entführung von Hanns Martin Schleyer begann. Was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an diese Zeit zurückdenken?

Monika Hohlmeier: Der Moment, als meine Mutter uns eines Morgens erklärte, dass wir Knall auf Fall aus unserer Wohnung in einem Münchner Hochhaus raus müssen. Es ging plötzlich alles ganz schnell. Wir Kinder wurden an drei unterschiedlichen Orten bei Freunden oder Verwandten untergebracht. Es folgten weitere Ausquartierungen, als wir zu Bekannten oder auf Reisen geschickt wurden.

Was war der Auslöser für diese Flucht?

Hohlmeier: Wir waren uns bewusst, dass das Hochhaus sicherheitstechnisch nicht optimal war, obwohl unser Stockwerk mit Stahlstreben und Panzertüren abgeriegelt wurde. Die Polizeibehörden waren schlecht vorbereitet auf eine terroristische Bedrohung. Viel war improvisiert, die Beamten, die uns bewachten, taten das nach ihrer normalen Dienstzeit. Wir haben die völlig übermüdeten und schlafenden Männer immer mit Kaffee und Essen versorgt. Anfang 1977 bemerkte unsere Mutter dann, dass im Hochhaus gegenüber immer wieder Leute mit einem Fernglas oder Fernrohr zu uns rüberschauten. Außerdem hatte sie in einem Auto in der Nähe eine Frau gesehen, die sie später anhand der Fahndungsfotos als die RAF-Terroristin Verena Becker identifizieren konnte.

Im Haus gegenüber hatten sich RAF-Leute einquartiert?

Hohlmeier: Soweit ich weiß, ja. Mein Bruder Max und ich entdeckten unabhängig voneinander auf dem Schreibtisch unseres Vaters Kopien von Schriftstücken, die offensichtlich von Verena Becker stammten. Daraus konnten wir schließen, dass wohl Teile unserer Wohnung ausspioniert worden waren. Wer sich in welchen Räumen aufhielt, wer wann und wie das Haus betrat oder verließ – das alles war in verschlüsselter Form festgehalten worden.

Doch seltsamerweise sind alle Dokumente zu dieser konspirativen Wohnung im Hochhaus gegenüber später verschwunden.

Hatte die RAF einen konkreten Plan?

Hohlmeier: Die Dokumente lassen das vermuten. Unseren Eltern wurde sogar die fast irre Idee übermittelt, dass ein Sprengstoffanschlag mit einem Modellflugzeug auf unsere Wohnung möglich sei. Wir haben das für unrealistisch gehalten.

Wie gingen sie als Jugendliche damit um?

Hohlmeier: Es hat ja schon Jahre vorher angefangen. Bereits in der Anfangszeit der Baader-Meinhof-Bande wurden wir zum Teil bewacht. Ich litt unter Angstzuständen und bekam Depressionen. Noch heute bin ich meiner Mutter dankbar, dass sie das erkannt hat und sich um ärztliche Hilfe kümmerte. Als dann der Berliner CDU-Chef Peter Lorenz 1975 von der RAF entführt wurde, fürchteten die Sicherheitsbehörden, dass vor allem mein Vater, aber auch die ganze Familie in Gefahr war.

Was waren die Konsequenzen?

Hohlmeier: Wir wurden nun permanent von Sicherheitsleuten begleitet und um unser Haus standen Bereitschaftspolizisten. Wir waren es gewöhnt, dass immer Beamte um uns herum waren – in der Schule, wenn wir abends unterwegs waren, ja sogar im Urlaub. Die Beamten vom Landeskriminalamt waren sehr gut ausgebildet und nett zu uns Kindern. Sie wurden Teil unseres täglichen Lebens. Mit einigen sind wir heute noch befreundet. Zu diesem Alltag gehörten aber leider auch Waffen. Irgendwann haben wir sogar selber schießen gelernt. Wir hatten enormen Respekt davor, gingen aber auch humorvoll damit um. Wenn wir ins Auto einstiegen, ging das so: Haben wir alles? Maschinenpistole? Alles dabei? In Ordnung, wir können los.

Klingt nach einer bedrückenden Jugend.

Hohlmeier: Für uns war das Unnormale normal. Und es gibt schon auch heitere Geschichten: Als besonders lustig habe ich den VW Käfer in Erinnerung, mit dem wir anfangs zur Schule oder zum Sport gefahren wurden. Der sprang im Winter nie an. Wir drei Kinder saßen hinten drin und haben den Polizeifunk mitgehört. Für uns war das in der ersten Zeit eher ein Abenteuer.

Sie haben aber auch eine Schulung bekommen, wie Sie sich verhalten sollen, falls Sie entführt werden. Malt man sich da nicht automatisch aus, was passieren könnte?

Hohlmeier: Da macht man sich dann schon Gedanken. Aber für uns war immer klar, meine Eltern würden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um uns zu helfen, wenn uns etwas passiert. Wir haben erst später erfahren, dass mein Vater und meine Mutter Briefe aufgesetzt hatten, dass sie selbst im Falle einer Entführung nicht gegen Terroristen ausgetauscht werden wollten.

Hatte Ihr Vater Angst?

Hohlmeier: Nein. Der hatte den Krieg erlebt und dort so viele Nächte in Todesgefahr verbracht. Das hat ihn geprägt. Aber er ist nie ohne eigene Waffe – einen Revolver oder eine Pistole – aus dem Haus gegangen.

Wie hat Ihre Familie die Entführung von Hanns Martin Schleyer erlebt?

Hohlmeier: Das hat bei uns brutal eingeschlagen. Mein Vater kannte ihn gut, und auch wir Kinder hatten ihn schon getroffen. Das Grauen über die Behandlung von Hanns Martin Schleyer hing uns tief in den Knochen. Auch mein Vater stand ja auf den RAF-Listen weit oben. Es hätte auch ihn treffen können.

Wissen Sie noch, wie Ihr Vater reagiert hat?

Hohlmeier: Das Foto des entsetzlich geschundenen, gedemütigten Hanns Martin Schleyer, das die Terroristen veröffentlicht hatten, hat ihn innerlich furchtbar wütend gemacht. Wütend über diese Ohnmacht, über die Pannen bei der Fahndung. Dass der Staat so schlecht vorbereitet war. Und wir wussten: Wer so grauenhaft mit einem Menschen umgeht, ist auch bereit, ihn zu töten. Wir haben diese RAF-Leute wirklich gehasst.

Bis heute sind nicht alle Taten der RAF aufgeklärt. Sie sprachen von verschwundenen Akten. Haben Sie eine Erklärung, wer ein Interesse daran haben könnte, Dokumente zu beseitigen?

Hohlmeier: Es ist schon seltsam, dass die Verena-Becker-Papiere verschwunden sind. Es gibt die Vermutung, dass der Verfassungsschutz sie damals schon als Informantin geschützt hat. Zu einem Zeitpunkt, als sie noch mordend tätig war. Der Verfassungsschutz bestreitet diese Theorie anscheinend vehement. Wenn sie stimmen sollte, wäre das natürlich ein Riesenskandal.

Monika Hohlmeier begann wie ihr Vater Franz Josef Strauß schon in jungen Jahren ihre politische Karriere in der CSU. Die 55-Jährige war von 1998 bis 2005 bayerische Kultusministerin. Heute ist sie Abgeordnete im Europaparlament.

 
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