In einem offenen Brief an Horst Seehofer haben sich 45 katholische Orden in Bayern, von den Elisabethinerinnen in Bad Kissingen über die Benediktiner in Münsterschwarzach (Lkr. Kitzingen) bis hin zu den Franziskusschwestern in Vierzehnheiligen (Lkr. Lichtenfels), massiv über die Asyl- und Flüchtlingspolitik der Staatsregierung und der CSU beklagt.
Erstunterzeichnerin ist Mirjam Schambeck (49), Oberin der Franziskanerinnen (Societas francisci) in Würzburg und Professorin für Religionspädagogin an der Universität Freiburg.
Bei einem Treffen der Ordensoberinnen und -oberen in Würzburg sei man sich einig gewesen, „laut und hörbar für die Öffentlichkeit“ Stellung gegen Seehofer zu beziehen. Sich allein im Stillen für die Geflüchteten zu engagieren, wie es viele Klöster seit Monaten tun, reiche nicht mehr.
Es habe sie „erschüttert und nachdenklich gemacht“, sagt Schambeck, wie vor allem CSU-Politiker zum einen bei der Wortwahl („Asylbewerberschwemme“, „Lawine“, „Flut“, „Notwehr“) den rechten Rand bedienten. Flüchtlinge würden so pauschal „kriminalisiert“.
Zum anderen widersprächen die politischen Beschlüsse dem Geist des Grundgesetzes, das geflüchteten Menschen Asyl „ermöglichen und nicht verunmöglichen“ sollte. Neue Grenzen und die Errichtung von Lagern dienten allein der Abschottung, da dürften Christen nicht schweigen.
Statt Ängste zu bedienen, habe die Politik die Verantwortung, verunsicherte Menschen aufzuklären und die vielen Ehrenamtlichen, die sich in der Flüchtlingsarbeit engagieren, in ihrem Tun zu bestärken.
Mirjam Schambeck betont, sie spreche für mehrere hundert Ordensangehörige in Bayern. Der offene Brief sei kein Alleingang, auch die bayerischen Bischöfe seien informiert gewesen.
Horst Seehofer hat die Kritik der katholischen Orden derweil zurückgewiesen. Die CSU-Politik sei weder unmenschlich noch unchristlich, hieß es im Landtag. Ein Sprecher der Staatskanzlei ergänzte auf Nachfrage, der Ministerpräsident nehme die geäußerten Anliegen ernst, er werde den Brief auch beantworten.
An einzelnen Stellen gebe es jedoch „Konkretisierungsbedarf“. So wolle er Beispiele hören für „zwielichtige Rhetorik“ oder den Vorwurf, die Zustände in den Unterkünften seien „oft menschenunwürdig“.
Darauf angesprochen sagte Schambeck, in einer Würzburger Unterkunft seien „nicht deutsch sprechende Security-Leute“ nachts durch einen Schlafraum gezogen und hätten unter den Bettdecken nachgesehen, ob die Flüchtlinge anwesend sind. „Das ist erniedrigend“, so die Ordensfrau.
Im Folgenden dokumentieren wir weite Teile des Schreibens:
„Nichts bewegt die Menschen in unserem Land in den letzten Monaten so sehr wie die Situation der vielen Geflüchteten, die bei uns Zuflucht suchen. Sie kommen zu uns, weil sie vor Krieg, Verfolgung und Hunger flüchten. Bei uns hoffen sie, auf ein Land zu treffen, in dem sie geachtet werden unabhängig davon, welcher Religion und Nation sie angehören, welche politisch-demokratische Gesinnung sie vertreten und ob sie arm oder krank sind.
Weil in ihren Heimatländern jede Perspektive fehlt, ihre Familien durch redliche Arbeit zu ernähren, wollen sie ihre Arbeitskraft bei uns einsetzen und damit ihr tägliches Brot verdienen. Als Ordensleute kennen wir nicht nur viele Geflüchtete und setzen uns für sie ein. Wir sehen uns auch gedrängt, unsere Stimme für sie zu erheben. (...)
Als Ordensleute nehmen wir mit brennender Sorge wahr, wie auch in unserem Land rechtsnationale Kräfte und Meinungen wieder sprach- und öffentlichkeitsfähig werden, die ein Klima der Angst und Bedrohung schüren und gegen Geflüchtete und Menschen anderer Religionen hetzen und inzwischen schon tätlich gegen sie vorgehen. (...)
Weil wir wissen, dass Ihnen, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Seehofer, die Meinung der Bevölkerung wichtig ist, richten wir heute das Wort an Sie, wissend, dass viele Menschen alle Kräfte einsetzen, um den Geflüchteten beizustehen.
• Wir appellieren an Sie, dringend von einer Rhetorik Abstand zu nehmen, die Geflüchtete in ein zwielichtiges Licht stellt. Wir plädieren vielmehr dafür, in den politischen Debatten und Entscheidungen die Geflüchteten zuerst als Mitmenschen zu sehen, die als Schwestern und Brüder zu uns kommen und unsere Solidarität brauchen.
• Wir appellieren an Sie, unbedingt von der Maßnahme Abstand zu nehmen, Transitzonen und Auffanglager einzurichten. Wir plädieren vielmehr dafür, auch die Asylanträge von Geflüchteten aus sog. ,sicheren Herkunftsstaaten' individuell und mit einem wohlwollenden Blick auf die Schicksale dieser Menschen zu prüfen. Denn nur die Einzelfallprüfung entspricht dem Grundgedanken unseres deutschen Asylrechts.
• Wir appellieren an Sie, sich einzusetzen, dass die Erklärung, die Westbalkanstaaten Bosnien, Serbien, Mazedonien, Albanien, den Kosovo und Montenegro als sog. ,sichere Herkunftsstaaten' zu deklarieren, wieder zurückgenommen wird. Wir plädieren vielmehr dafür, die Korruption und damit Willkürherrschaft sowie die Unterdrückung von Minderheiten ernst zu nehmen, die in diesen Ländern nach wie vor herrschen und Menschen Angst machen und zur Flucht drängen, und den Status als ,sicheres Herkunftsland' solange auszusetzen, bis die demokratischen Kräfte in diesen Ländern sichtbar weiter gekommen sind als dies bislang der Fall ist.
• Wir appellieren an Sie, den oft menschenunwürdigen Zuständen in den Flüchtlingsunterkünften Einhalt zu gebieten und die in manchen Unterkünften eingeführten Kontrollen der Geflüchteten abzustellen. Wir plädieren vielmehr dafür, auf allen Ebenen der Politik und Gesellschaft – im Bereich der Schulen, Universitäten, Handwerkskammern u. a. – Regelungen zu finden, die es den Geflüchteten erlauben, möglichst schnell für sich und unser Land an einer menschenwürdigen Zukunft zu bauen.
Als Menschen ist es unsere Pflicht, anderen zu helfen. Als Christinnen und Christen treten wir ein für eine Kultur des Teilens. Als Ordensleute solidarisieren wir uns mit den Geflüchteten in vielfältigen Engagements, Hilfsaktionen und konkreten Initiativen. (...) Diese Hilfsbereitschaft, dieser oftmals ehrenamtliche Einsatz, der auch ungewöhnliche Anstrengungen nicht scheut, ist unseres Erachtens ein Schatz, mit dem es zu wuchern und Gesellschaft zu gestalten gilt.
Wir bitten Sie, sehr geehrter Herr Ministerpräsident Seehofer, deshalb dringend, die Kräfte in unserer Gesellschaft zu stärken, die in der jetzigen Situation eine Pflicht zum Handeln und eine Chance sehen, einen Maßstab von Menschlichkeit aufzurichten, der auf Solidarität und dem Einsatz für Benachteiligte fußt. Dieser kann wegweisend sein nicht nur für heute, sondern auch für die nachkommenden Generationen. (...)“