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Augsburg
So wirkt sich der Klimawandel auf die Insekten aus
Seit Jahren nimmt die Zahl an Bienen, Schmetterlingen und anderen Insekten dramatisch ab. Verschärfen die steigenden Temperaturen die Lage zusätzlich?
dpa_1496A6008329F2AC.jpg       -  Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten verschwinden immer mehr von der Bildfläche der Natur.
Foto: Matthias Balk, dpa | Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten verschwinden immer mehr von der Bildfläche der Natur.
Stephanie Sartor
 |  aktualisiert: 11.03.2024 10:55 Uhr

Das Surren wird weniger. Seit Jahren. Jahrzehnten. Bienen, Schmetterlinge und andere Insekten verschwinden immer mehr von der Bildfläche der Natur – Expertinnen und Experten sprechen längst vom größten Artensterben seit dem Ende der Dinosaurier. Dass das Insektensterben ungeheure Ausmaße angenommen hat, weiß auch Klaus Mandery, Artenschutzexperte beim Bund Naturschutz in Bayern, der, um die Tragödie in Zahlen zu fassen, auf die "Krefelder Studie" aus dem Jahr 2017 verweist. 

"Diese Langzeitstudieüber mehr als 27 Jahre zur Biomasse der flugaktiven Insekten belegte einen unglaublichen Rückgang auf ein Viertel des ursprünglichen Wertes", sagt Mandery. Das bedeutet: Allein in diesem Zeitraum ist die Zahl der Insekten um 75 Prozent gesunken. Und jetzt kommt auch noch der immer deutlicher zu spürende Klimawandel dazu. Welche Rolle werden die steigenden Temperaturen wohl spielen?

"Der Klimawandel ist ein Treiber von vielen für das Artensterben. Aber ein sehr wichtiger", sagt Andreas Segerer, Schmetterlingsexperte an der Zoologischen StaatssammlungMünchen. Vor allem in den polaren Regionen, Hochgebirgen und in den Tropen wirke sich der Klimawandel negativ auf die Insekten aus. In den gemäßigten Breiten, also etwa in Deutschland, sei das indes nicht so sehr der Fall. "In den Tropen sind die Insekten zwar an höhere Temperaturen gewöhnt, aber nicht an so rasch ansteigende", sagt Segerer. "Das können sie nicht tolerieren. Und in den Kältegebieten sind die Tiere eben eigentlich an die Kälte angepasst und können nicht mehr weiter nach Norden oder nach oben ausweichen, wenn es wärmer wird." 

Chemisch wirksame Mittel haben verheerende Auswirkungen

Die Mehrzahl der Insekten in unseren Breiten könnte eine Erwärmung hingegen gut verkraften – manche seien sogar extrem wärmeliebend. "Die meisten Insekten in Deutschland würden theoretisch von der Klimaerwärmung profitieren. Sie tun es aber nicht. Ganz im Gegenteil.“ Der Grund dafür: Es gebe für das Artensterben eben noch andere Haupttreiber. In Industrienationen seien das hauptsächlich die intensivierte Landwirtschaft, die zu hohe Siedlungsdichte und der Flächenverbrauch. Vor allem chemisch wirksame Stoffe wie Düngemittel und Pestizide seien allgegenwärtig – sogar in Naturschutzgebieten, wo sie der Wind hintrage. 

"Diese Mittel haben eine verheerende Wirkung und betreffen die Insekten viel stärker als die Klimaerwärmung." Durch die steigenden Temperaturen werde es aber zu einer Veränderung des Artenspektrums kommen. Das heißt: Es werden mehr wärmeliebende Arten bei uns heimisch werden. Die Arten, die kältere Temperaturen bevorzugen, weichen hingegen in den Norden oder in höhere Lagen aus. "Generell wird der Klimawandel nur bei vergleichsweise wenigen Arten zum vollständigen Verschwinden aus Deutschland führen", sagt Segerer.

Sein Blick in die Zukunft ist dennoch düster: 50 Prozent der Schmetterlingsarten in Bayern stehen dem Biologen zufolge derzeit auf der Roten Liste und gelten als im Bestand gefährdet oder schon ausgestorben. Weitere 30 Prozent seien ebenfalls rückläufig, stünden aber noch nicht auf der Roten Liste. "Das ist schon dramatisch. Schmetterlinge sind die viertgrößte Tiergruppe der Welt. Sie sind Bioindikatoren, eine Art Fieberthermometer, die den Zustand der Umwelt sehr sensibel anzeigen. Das sagt schon was, wenn die Hälfte der Schmetterlinge auf der Roten Liste steht."

"Es stimmt leider nicht, dass wir die Welt retten können, wenn wir uns allein auf den Klimawandel fokussieren."

Um noch die Kurve zu kriegen, müsse ein ganzes Netzwerk an Faktoren bekämpft werden – darunter der Klimawandel, der zwar für das Artensterben in Deutschland nicht der Hauptgrund sei, in anderen Regionen der Welt aber eben schon. "Deswegen ist es natürlich gut und wichtig, die globale Erwärmung zu bekämpfen. In meiner Wahrnehmung ist das aber ein sehr monolithisches Thema geworden. Es stimmt leider nicht, dass wir die Welt retten können, wenn wir uns allein auf den Klimawandel fokussieren." Es müsse vor allem eine tiefgreifende Landwirtschaftsreform hin zu ökologischem Landbau geben, um die Verbreitung von Pestiziden und Stickstoff einzudämmen, sagt Segerer und verweist auf das Prinzip der planetaren Belastbarkeitsgrenzen. 

"Man hat in der Wissenschaft verschiedene Umweltprozesse identifiziert, von deren Stabilität unser aller Wohlergehen – wirtschaftlich, soziologisch und ökologisch – abhängig ist. Das Klima ist einer dieser Faktoren. Es gibt aber noch acht weitere. Und insgesamt sind von diesen neun Prozessen bereits sechs gestört." Besonders massiv aus dem Gleichgewicht geraten seien die Unversehrtheit der Biosphäre – darin spiegelt sich das Artensterben wider –, biogeochemische Kreisläufe wie die vermehrten Stickstoffemissionen und das Einbringen neuer Substanzen wie eben Pestizide.

Auch Artenschutzexperte Mandery vom Bund Naturschutz sieht eine Lösung nur in einer veränderten Landwirtschaft: "Wir sind überzeugt, dass die Naturschutzgebiete alleine nicht ausreichen, die Gefährdung der Arten zu mindern." Diese Schutzgebiete in erheblichem Maße zu vermehren, wäre ein erster Schritt. "Ein zweiter Schritt muss in der Agrarlandschaft stattfinden", sagt Mandery. Diese müsse eine "Strukturanreicherung in wirklich relevantem Ausmaß erfahren".

Artenschutz beginnt im Kleinen, auch im eigenen Garten

Aber auch im Kleinen könne etwas getan werden: "Wenn die Bürgerinnen und Bürger in ihren Gärten anfangen, auf Vielfalt zu achten, wenn die Kommunen beginnen, die Wegränder nicht mehr zu mulchen und überall dort Blumen in die kommunalen Grünflächen einbringen, wo das möglich ist, wenn auf kommunalen Flächen, zum Beispiel auch auf Friedhöfen, der Gifteinsatz unterlassen wird, ist ein guter Anfang gemacht." 

Auch das Volksbegehren "Rettet die Bienen" habe einen positiven Effekt gehabt, meint Mandery: "Man kann diesen sicher nicht mit Individuenzahlen einer Population belegen, aber die Sensibilisierung der Bevölkerung und der Zugzwang der Politik haben das Thema auf ein ganz anderes Niveau gehoben." 

 
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