„Ich mag es gar nicht, wenn sich die Dinge morgens so dynamisch entwickeln.“ Sagt der verträumte Amateurphilosoph Martin alias Werner Enke gern. Klar, wenn einer in Schwabing wohnt und nichts Gescheites zu tun hat, warum soll er aufstehen? Lieber markiert er an der Wand jeden Tag, der ihn noch von seinem 50. Lebensjahr trennt. Paul McCartney war da anspruchsvoller. Der hatte 64 als wünschenswertes Alter angegeben. Heute ist der Ex-Beatle 74, Enke mit seinen 75 Jahren sogar noch älter.
Von dem Weltstar McCartney trennen den Martin-Werner Welten. Um diesen Sprücheklopfer kennenzulernen, bedarf es des mehrfachen Anschauens des Kinofilms „Zur Sache Schätzchen“, der im Januar 1968 in die Kinos kam – zum Vergnügen von 6,5 Millionen Zuschauern.
Und das mitten in der Studenten-Revolution! Eigentlich ein Anti-Stück zu den Protesten gegen Uni-Strukturen, Vietnam und bürgerliches Sexualverhalten.
Unsereiner hat das nie begriffen, dass Unbekümmertheit, Sprücheklopfen, Anmache und Hippie-Kultur unvereinbar waren mit dem, was wir im Audimax der Ludwig-Maximilians-Universität von der Linken zu hören bekamen, wo wir ganze Nachmittage als eingeschlichene Gymnasiasten verbrachten – die Mathe-Fans in den von Mama ausgesuchten Hosen ausgeschlossen.
Ausstellung in Pasinger Fabrik
Die verdienstvolle Ausstellung „Zur Sache Schätzchen“ in der Pasinger Fabrik hält sich sehr zurück bei den Studenten-Demos. So hat das berühmte Nacktfoto von Promis der Szene (von hinten) im Boulevardstil natürlich seinen Platz. Aber es ist rund um 1967 bis 1969 so viel passiert in München, dass man nicht nur aufs Komödiantische reflektieren darf. So gab es im April 1968 zwei Tote.
Antiautoritäre Bewegungen kamen und gingen. Martin hätte da überhaupt nicht reingepasst. Ende 1969 propagierte im Münchner Audimax eine kampfeslustige Studentin unentwegt die Zeitung der „Lotta Continua“, einer kurzlebigen außerparlamentarischen italienischen Gruppe. Was ihr von den Rängen der damals unterlegenen Mitglieder des „Rings Christlich-Demokratischer Studenten“ (RCDS) den Vorwurf „Flintenweib“ einbrachte.
Den Regisseur Klaus Lemke etwa, der die Münchner Alltagsgeschichten zehn Jahre später fortsetzte, hätte das niemals interessiert.
München hat Ende der 1960er Jahre nicht geleuchtet, aber gelebt. Was auch mit Werner Enke, Uschi Glas und der Regisseurin May Spils zu tun hatte. Und natürlich dem Stadtteil Schwabing, in dem Maler, Schriftsteller und Satiriker von jeher zu Hause waren. Es trafen sich auch in der Maxvorstadt die Existenzen, die im „Türkendolch“ und im „Leopold“ die US-Kino-Klassiker von Howard Hawks und vor allem die französische „Nouvelle Vague“ sahen und schätzten. Wenn Enke und sein Schauspielkollege Henry van Lyck durch München rennen, fühlt man sich an „Jules und Jim“ von François Truffaut erinnert. An Schwabing sowie all die großartigen Kneipen, an das „Occam Pils“, das heute „NiroNiro“ heißt.
Opas Bauernhof als Sicherheit
Die Ausstellung ist entsprechend dem Titel dem Schwarz-Weiß-Hit „Zur Sache Schätzchen“ gewidmet. May Spils hat ihn gedreht, die zur Finanzierung Opas Bauernhof als Sicherheit einsetzte. Eine junge, hübsche Frau als Regisseurin, das war damals ungewöhnlich. Die heute 75-Jährige ist seit ihren frühen Kinozeiten mit Werner Enke liiert. Dessen Gag-Buch half dem Schätzchen auch auf die Sprünge. Wobei die Ausstellung die Damen Spils und Glas auf großen Fotos in den Vordergrund rückt. May Spils dreht die Szenen im Ungererbad im Bikini, Uschi Glas streckt dem Betrachter die Zunge raus und fährt dekorativ im Cabrio vor. Zwischendrin Henry van Lyck, der seinen Freund Martin unbedingt zum Schreiben seichter Schlagertexte überreden will.
Der ist misstrauisch und murmelt ständig: „Es wird noch böse enden.“ Heute würde einen jungen Enke, um den es still geworden ist, vermutlich Til Schweiger für eine Comedy-Klamotte verpflichten.
Insgesamt ist „Zur Sache Schätzchen“ ein merkwürdiges Konstrukt. Aus heutiger Sicht ist die Geschichte zu langsam erzählt, lässt sich die Dramaturgie Zeit, bis sie in die Gänge kommt. Da hilft auch der lädierte, mit Gummiband zusammengehaltene Tipp-Kick-Spieler mit Namen Uwe Seeler nicht.
Zum Glück motzen zehn internationale Künstler/innen die Ausstellung auf, indem sie auf die Ästhetik und Ikonografie des Filmes setzen. Wie Kota Ezawa aus San Francisco mit seinem Leuchtbild einer rauchenden Uschi.
Einen „intergenerationellen und bildästhetischen Diskurs“ erwartet sich der Kurator der Ausstellung, Stefan-Maria Mittendorf. Soll wohl heißen: Wie sehen junge Leute den Klassiker, und kann er auch in einer zeitgemäßen Betrachtung bestehen?
Im Café „Capri“ fing alles an
Ungeachtet der Diskussion sind einige Szenen unvergessen: Das legendäre Daumenkino und wie Enke der Uschi die Kunst des Fummelns in der Straßenbahn erklärt (nicht zu verwechseln mit dem Nachfolger „Nicht fummeln, Liebling“, in dem Enke an Gila von Weitershausen rummacht). Oder wenn sich Schätzchen Glas, das sich nicht ganz ausziehen will, vor der Polizei in Korsage präsentiert. Etwas Ungeheures abseits eines Villenschlafzimmers, wenn die Banker-Frau ihren älteren Gatten aufs Laken bringen will.
Das leichte, verspielte München spielt samt Nachbarschaft auch zehn Jahre später eine Rolle. Der Regisseur Klaus Lemke, der unter anderem mit Spils und Enke im legendären Café „Capri“ herumhing, holte sich mit Erfolg Amateure vor die Kamera, darunter Cleo Kretschmer und Wolfgang Fierek. Schade, dass es Filme wie „Sweethearts“, „Amore“ und „Ein komischer Heiliger“ nicht mehr gibt. Von dem unabhängigen Lemke, 76, gibt es übrigens ein T-Shirt mit der Aufschrift „Fuck Ju, Staatskino“. Filme macht er trotzdem.
Aber wie sieht München aus, finanziert von der ARD? So wie „München 7“. So gesehen müssen wir alle einen Tag auf Martins Wand als vergangen werten.
Die Ausstellung „Zur Sache Schätzchen“, Pasinger Fabrik, August-Exter-Straße 1, bis 29. Januar, Di.-So. 16-20 Uhr. Eintritt 4 Euro, ermäßigt 2 Euro.