Was für ein Abend auf der Allgäuer Freilichtbühne in Altusried: 2800 Besucherinnen und Besucher applaudieren begeistert im Stehen einer Truppe, die ihresgleichen sucht. Denn auf der Bühne verneigen sich artig fünf rheinländische Punk-Rocker, drei bayerische Volksmusikanten und ein Satiriker, die zweieinviertel Stunden lang ein anarchisch-satirisches Musik-Feuerwerk abbrannten. „Forever – eine kulturelle Zumutung“ nennen die Toten Hosen, die Well-Brüder und Gerhard Polt ihr aktuelles gemeinsames Programm.
Am Ende geht es wild durcheinander: Es gibt Alphorn- und Dudelsackklänge, Bauchtanz- und Stepptanz-Einlagen, Stubenmusik, rockige und afrikanische Rhythmen, Philosophisches mit Wiener Schmäh („Was ist der Mensch? Wieso, weshalb, warum? Die Antwort lautet: dideldum.“), und der Frontmann der Toten Hosen, Campino, greift zum Schal seiner englischen Lieblings-Fußballmannschaft (FC Liverpool) und stimmt lautstark mit Hilfe der Fans die Hymne „You’ll never walk alone“ an. Klingt irgendwie verrückt, und das ist es auch. Aber es passt irgendwie auch zusammen. Warum, das ist nicht so leicht zu erklären.
Campino lässt seine Lederhose im Schrank
Eigentlich wollten die Toten Hosen, die Well-Brüder und Gerhard Polt ihr Programm ja „kulturelle Aneignung“ nennen. Doch das war ihnen dann doch etwas zu forsch und hätte vielleicht für ungewolltes Missverständnis sorgen können. Gut möglich, denn das Thema ist tatsächlich ein heißes Eisen. „Ohne Aneignung keine Kultur“, hatte Stofferl Well (63) im Interview mit der Süddeutschen Zeitung erklärt. Und wenn er eines seiner Lieblingsstücke („Harfenstück irisch“) spiele, fühle er sich nicht wie ein Dieb. Es gehe um Respekt und Wertschätzung und auch darum, den eigenen Horizont zu erweitern. Ja, und den konnten die 2800 Besucherinnen und Besucher am Mittwochabend auf der idyllischen Allgäuer Freilichtbühne in Altusried tatsächlich.
Campino, der 61-jährige Sänger und Frontmann der Toten Hosen, hatte sich für die Tour extra eine Lederhose in einem Trachtenladen in Schliersee, dem Heimatdorf von Gerhard Polt, besorgt. Doch mit der ließ er sich in Altusried nicht blicken. Stattdessen wählte er Jeans und Kurzarmhemd. Dafür zeigten sich Hosen-Drummer Stephen George Ritchie und Gitarrist Andreas von Holst („Kuddel“) in dem typisch Outfit. Auf der anderen Seite war es Stofferl Well, der auf Tracht machte.
Rock und Stubenmusik gehen bei den Toten Hosen und den Well-Brüdern Hand in Hand
Dafür gab es Erstaunliches auf die Ohren: Campino griff zu Trompete und zeigte auch am Alphorn Qualitäten. Die Toten Hosen präsentierten sich als gewiefte Unplugged-Band und die Well-Brüder Stofferl, Michael und Karl standen ihnen in nichts nach und garnierten Hosen-Hits („Liebeslied“, „Laune der Natur“) mit feinem Bläsersound. Und dazwischen brillierte der Altmeister des bayerischen Kabaretts, Gerhard Polt, mit herrlich schrägen satirischen Nummern. 81 Jahre alt ist er, aber immer noch herrlich kraftvoll und bissig und für jeden Spaß zu haben – auch für ein lockeres Tänzchen.
Beim Anti-WAAhnsinnsfestival 1986 in Wackersdorf nahm die Freundschaft ihren Anfang: Die Toten Hosen spielten Fußball gegen die Biermösl Blosn
Beim legendären Anti-WAAhnsinns-Festival 1986 in Wackersdorf hatten sich die Toten Hosen und die „Biermösl Blosn“ (wie die Well-Brüder damals hießen) kennengelernt. Unter all den etablierten Deutsch-Rockern, darunter BAP, Herbert Grönemeyer, Udo Lindenberg und Wolf Maahn, fühlten sich die „Hosen“ und die „Blosn“ ein wenig als Außenseiter. Aber Gegensätze ziehen sich bekanntlich an. Die freie Zeit zwischen den Auftritten verbrachten die „Hosen“ und die „Blosn“ mit Fußballspielen. So entstand eine Freundschaft fürs Leben, auch, weil die so unterschiedlichen Musiker schnell einen starken gemeinsamen Nenner entdeckten: die anarchische Grundhaltung, das Ansingen gegen Spießertum und . Dazu passte dann auch der genial-infernalische bayerische Grantler Gerhard Polt. So kreuzten sich in all den Jahren immer wieder mal die Wege der Herren aus dem Rheinland und Bayern. Die letzte gemeinsame Tour war 2017.
Vor kleiner Kulisse startete die neue „Forever“-Tour in Gerhard Polts Wohnort Schliersee. 450 Fans im rappelvollen Bauerntheater feierten die ungewöhnliche Altherren-Combo. Und die betritt dieses mal auch Neuland: Denn viele der insgesamt 16 Auftritte finden unter freiem Himmel vor tausenden Fans statt. Wie in Altusried.
In kürzester Zeit war das Konzert in Altusried ausverkauft
Bereits im Vorfeld hatte der „Forever“-Auftritt im Allgäu für viel Wirbel gesorgt: Über 2000 Tickets wurden innerhalb einer Minute online über die Webseite der Toten Hosen verkauft. Das Kartenbüro Altusried wollte danach weitere 500 Tickets vor Ort verkaufen, doch der Andrang der Fans war derart groß, dass die Tickets am Ende verlost wurden. Allein für diese 500 Karten interessierten sich laut Sebastian Heerwart von der Freilichtspiel-GmbH 2900 Menschen. Und sie alle hätten gerne zwei Tickets gewollt.