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Allgäu
Tödlicher Unfall in Scheidegg: "Wie lange noch müssen Unschuldige sterben?"
Nach dem tödlichen Unfall in Scheidegg fordert ein ehemaliger Oberstaatsanwalt aus Kempten Maßnahmen. Er wählt deutliche Worte – und verzichtet auf sein Auto.
Ulrich Weigel
 |  aktualisiert: 11.03.2024 13:31 Uhr

„Wie lange noch müssen Unschuldige sterben, weil ein uneinsichtiger, seniler und fahruntüchtiger Senior am Steuer sitzen darf?“ Harte Worte wählt Alfred Stoffel aus Kempten mit Blick auf einen tödlichen Unfall in Scheidegg. Dort hatte ein 89-Jähriger mit seinem Auto zwei Frauen und einen Kinderwagen erfasst; eine 64-Jährige starb.

Der 80-jährige Jurist Stoffel bedauert, dass solche Unglücke nach derzeitiger Rechtslage „nicht verhindert werden können“ und fordert eine gesetzliche Regelung: Die Fahrerlaubnis sollte ab einem bestimmten Alter (zum Beispiel ab 70) enden, wenn sie nicht rechtzeitig verlängert wird und ein Arzt die Fahrtüchtigkeit bestätigt.

Stoffel (er verzichtet seit ein paar Jahren aufs Auto) betont, er habe früher als leitender Oberstaatsanwalt wiederholt ähnliche Todesfahrten bearbeiten müssen. Verkehrssachverständige sähen die Fahrtüchtigkeit bei Nässe und Dunkelheit bereits ab etwa 60 Jahren beeinträchtigt, sagt er. Bei Senioren komme häufig eine geringere Reaktionsfähigkeit dazu.

Alfred Stoffel: "Freie Fahrt für freie Bürger: Ja! Aber nicht für senile Senioren!"

Per E-Mail an Bundestagsabgeordneten Stephan Thomae fragt Stoffel nun, „wann endlich“ Bundesjustizminister und Bundestag tätig werden? Hintergrund: Thomae ist Jurist und ein parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion. Und das Justizministerium führt Marco Buschmann (ebenfalls FDP). Thomae sagt, dass es sich wohl nie verhindern lasse, dass Ältere altersbedingte Unfälle verursachen. Genauso wenig ließen sich Unfälle durch jüngere Autofahrer vermeiden.

Bei der Frage, ob Senioren häufiger oder seltener Unfälle verursachen, gibt es verschiedene Einschätzungen. „Fahrleistungsbereinigt sind ältere Autofahrer nicht häufiger in Unfälle mit Personenschaden verwickelt als der jüngere Anteil der Bevölkerung, sagt Dr. Jörg Kubitzki, Sicherheitsforscher im Allianz-Zentrum für Technik. Man sehe Senioren aufgrund ihrer hohen Verletzlichkeit eher als Opfergruppe im Straßenverkehr.

GDV-Sprecher: "Mit dem Alter steigt die Schadenhäufigkeit"

Ganz anders Henning Engelage, Sprecher des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in Berlin: „Mit dem Alter steigt die Schadenhäufigkeit.“ Die Unfallstatistik zeige, dass jüngere und ältere Fahrer häufig Hauptverursacher von Unfällen seien. Die auf etwa 100 Millionen Versicherungsverträgen basierenden Statistiken des GDV bestätigten, dass ältere Fahrer mehr Schäden verursachten als die mittleren Alters. Und vor Ort?

Im Gebiet des Polizeipräsidiums Schwaben Süd/West verursachten laut Sprecherin Isabel Schreck 18- bis 24-jährige Fahrer von Januar bis September 1064 Unfälle, Fahrer ab 65 Jahren 1510 Unfälle. Doch das ist nur bedingt aussagekräftig: Die Polizei hat keine Daten, wie hoch die Verkehrsbeteiligung beider Gruppen tatsächlich ist. Gegenüber dem Zeitraum 2021 stieg die Zahl der Senioren als Unfallverursacher um 15,6 Prozent, während die der Unfallverursacher unter 25 Jahren um gut fünf Prozent sank.

Unfallforscher fordert für Senioren ab 75 eine verpflichtende Fahrt mit externem Begleiter

Sehr konkrete Angaben gibt es bei Siegfried Brockmann, „Leiter Unfallforschung der Versicherer“: Er benennt als wissenschaftlich belegte Problemgruppe Senioren ab 75 Jahren. Sie seien (bezogen auf die gefahrenen Kilometer) bei einer Unfallbeteiligung in 76 Prozent der Fälle schuld. Ähnlich bei jungen Fahrern: Da betrage die Quote 73 Prozent. Brockmann macht bei Senioren nicht medizinische Probleme aus (die lassen sich behandeln), sondern kognitive Defizite: Alte Leute brauchten viel länger, um ein Geschehen zu verstehen und zu reagieren. Ein Reaktionstest sei nicht aussagekräftig, weil man da nichts entscheiden müsse. Selbst eine 45-minütige Untersuchung habe 20 Prozent Fehlerquote.

Brockmann rät für Menschen ab 75 Jahren zu einer verpflichtenden 45-minütigen „Rückmeldefahrt“ mit einem geschulten externen Begleiter. Die Ergebnisse müssten vertraulich und ohne Folgen sein. Ziel sei nur, Senioren zu sagen, was gut und was nicht gut gelaufen ist. Dann könnten sie zum Beispiel auf Fahrten in der Nacht, auf Autobahnen oder in fremder Umgebung verzichten – und von selbst darauf kommen, wann es besser ist, den Autoschlüssel abzugeben. Woran es scheitert? Laut Brockmann am Verkehrsministerium.

 
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