Wer dieser Tage den Blick schweifen lässt hinüber zur Waltenhofener Bucht, den Wellen dabei zusieht, wie sie sich den Weg zum Ufer bahnen – dem wird es schnell auffallen: Der Forggensee ist heuer voller als sonst um diese Jahreszeit. Im April war Deutschlands größter Stausee zuletzt 1981 so voll wie heuer, erklärt Karl Schindele, Chef des Wasserwirtschaftsamts in Kempten. Überhaupt sei der See erst sechs Mal so früh im Jahr über der Pegelmarke von 779 Metern gewesen.
Auch Staudamm-Betreiber Uniper spricht von einer Art historischem Höchststand. Sprecher Theodorus Reumschüssel führt dafür vor allem zwei Gründe an: Seit vergangenem Jahr werde der Forggensee nicht mehr so weit abgelassen wie früher. Fast sieben Meter höher ist der Wasserstand momentan im Vergleich zu 2021. Begründung des Betreibers: Fische sollen künftig besseren Lebensraum im Stausee vorfinden. Es soll zudem verhindert werden, dass diese massenhaft in den Turbinen zur Stromerzeugung verenden. Deshalb also der hohe Wasserstand.
Forggensee: Deshalb ist so viel Wasser wie selten im See
„Wenn es dann noch viel regnet, wie in den vergangenen Tagen im Allgäu führt das zwangsläufig zu schnellerem Erreichen hoher Staupegel als früher“, sagt Uniper-Sprecher Theodorus Reumschüssel. Zudem seien wegen des niederschlagsarmen und warmen Winters heuer nur geringe Zuflüsse durch die Schneeschmelze in den Bergen zu erwarten. „Daher haben wir früher mit dem Aufstau begonnen“, erklärt der Sprecher.
Dass eine Rolle für den höheren Seepegel im Winter auch eine steigerbare Stromerzeugung spielen könnte, dementiert der Energiekonzern derweil. Auch einen Zusammenhang mit der Abschaltung der verbliebenen deutschen Atomkraftwerke am Wochenende gebe es nicht, betont Uniper, das im Dezember vom Bund verstaatlicht wurde. Pro Jahr werden durch das Kraftwerk am Forggensee 150 Millionen Kilowattstunden Strom produziert. Das entspricht dem durchschnittlichen Verbrauch von 37.500 Einfamilienhäusern.
Welche Konsequenzen aber sind mit dem höheren Wasserstand im Winter und Frühjahr verbunden? Segler etwa interessiert die Frage, ob sie künftig früher in die Saison starten können. Bauunternehmer dagegen befürchten, dass sie künftig kein Kies mehr am Seegrund abbauen können. Und Touristiker bewegt, ob sie künftig noch Führungen anbieten können zur versunkenen Römerstraße Via Claudia, die im Forggensee verläuft.
Pegelstände im Forggensee seien "Momentaufnahmen"
Konzern-Sprecher Reumschüssel hat darauf keine endgültige Antwort: „Die Pegelstände in den Phasen des Auf- oder Abstaus sind immer Momentaufnahmen“, sagt er. Abhängig sei alles von meteorologischen Erwägungen. So könne etwa bei drohendem Hochwasser der Seepegel wieder drastisch heruntergefahren werden. Auch jetzt noch.
Es lasse sich daher nicht einmal sicher prognostizieren, dass der Forggensee heuer früher voll wird als sonst. Geschweige denn, wie die Situation im kommenden Jahr aussehe.
Behördliche Vorgaben zwingen Uniper lediglich dazu, den See zwischen 1. Juni und 15. Oktober auf einem Pegel von 780,5 Metern zu halten. Dabei ist vom sogenannten Stauziel die Rede. Also einem vollen Forggensee. Außerhalb dieses Zeitraums hat der Energiekonzern aber weitgehend freie Hand, um zu bestimmen, wie hoch der Wasserpegel des Forggensees ist.
Die „Momentaufnahme“ eines vollen Sees im April hat zumindest optisch und akustisch ihre Reize. Etwa bei Ehrwang, wo früher die Kieslaster aus dem See donnerten, kann man derzeit dem Rauschen des Sees zuhören und zusehen, wie sich die schneebedeckten Ammergauer Alpen im türkisfarbenen Wasser spiegeln.