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MÜNCHEN
Alles für Spencer Tunick: Nackt unter Nackten
Rot und Gold auf nackter Haut: Vor der Bayerischen Staatsoper in München dirigiert der Installationskünstler Spencer Tunick 1700 Menschen per Megaphon. Das Happening steht im Zusammenhang mit der Münchner Ring-Inszenierung, mit der die Staatsoper ihre Festspiele startet.
Foto: dpa | Rot und Gold auf nackter Haut: Vor der Bayerischen Staatsoper in München dirigiert der Installationskünstler Spencer Tunick 1700 Menschen per Megaphon.
Von unserer Mitarbeiterin Stephanie Sartor
 |  aktualisiert: 26.06.2012 12:03 Uhr

Es gibt Momente im Leben, bei denen man sich nicht sicher ist, ob sie tatsächlich wahr sind. Nackt über die Münchner Maximilianstraße zu laufen, ist so ein Moment. Zumindest bin ich nicht allein. 1700 Menschen haben in den frühen Stunden des Samstagmorgens im Zeichen der Kunst die Hüllen fallen lassen. Opernintendant Nikolaus Bachler hatte den Installationskünstler Spencer Tunick beauftragt, sich von der Ring-Inszenierung von Andreas Kriegenburg, die in München aufgeführt wird, inspirieren zu lassen und die Themen und Motive öffentlich und körperlich zu machen. Deswegen sind wir hier. Wir alle werden ein Teil des Kunstwerks sein, mit dem die Bayerische Staatsoper ihre Opernfestspiele startet.

Für viele ist es mehr als die Teilnahme an einer Kunstaktion. Es ist ein Happening, ein Erlebnis, von dem er noch seinen Enkelkindern erzählen werde, sagt Student Martin. Es geht um das kollektive Erleben, das Treffen von Menschen mit ähnlichen Interessen. Die Teilnehmer sitzen gemeinsam auf Wolldecken auf dem Boden, singen und lachen. Seit drei Uhr sind wir auf den Beinen. Spencer arbeitet gerne in der Nacht, um bereit zu sein, die ersten Sonnenstrahlen auf seinen Werken einzufangen. „Das hat etwas Apokalyptisches“, sagt er.

Fotoserie

Zwei Stunden warten wir auf dem Marstallplatz, bis die Installation endlich beginnt. Ausziehen, kein angenehmer Gedanke bei 13 Grad. Aber kneifen gilt nicht – auf einmal stecke ich selbst mitten im Strudel der gemeinsamen künstlerischen Partizipation. Niemand hat Hemmungen, keine verschämten Blicke, kein Gekicher, keine Typen, denen man auf den ersten Blick ansieht, dass sie nicht wegen der Kunst hier sind, sondern wegen der einmaligen Chance, viel nackte Haut zu sehen. Als sei es die normalste Sache der Welt, schäle ich mich aus meiner warmen Jogginghose und meinem Fleece-Pullover. Während wir uns entkleiden, macht Tunick bereits seine ersten Aufnahmen auf der Ludwigstraße.

1000 rot bemalte Körper formen dort eine Flamme des Feuer speienden Drachen, mit dem der Sage zufolge Siegfried kämpfte. Ich selbst male mich wie 700 andere Menschen von Kopf bis Fuß golden an. Wir werden später gemeinsam das Gold des Rings der Nibelungen symbolisieren. Die Farbe ist zäh. Jede Körperstelle muss unter der goldenen Paste verschwinden, so will es der Künstler. Alles, die Ohren, die Fußsohlen, die Haare beschmiere ich mit der glänzenden Masse.

Gemeinsam, ein wenig fröstelnd ob der Kühle des anbrechenden Tages, ziehen wir los, wie eine Armee menschlicher Statuen. Die Polizei hat Teile der Innenstadt gesperrt. Tunick wird uns vor der Bayerischen Staatsoper fotografieren. Der Künstler weiß genau, was er will, dirigiert uns mit seinem Megaphon in verschiedene Posen. Auf einmal sind wir mittendrin in der Geschichte, erzählen mit unseren Körpern Aspekte aus Wagners Oper. Die meisten halten bis zum Schluss durch. Am Ende des Vormittags, nach einer kühlen Nacht im Freien, nachdem wir nackt durch die Straßen der Münchner Innenstadt gelaufen sind und unsere Körper zu Szenerien haben verbiegen lassen, ist es vollbracht. Tunick ist zufrieden.

Seit zehn Jahren zieht Tunick Menschen für seine Kunst aus. Er fotografierte Tausende Nackter in Sydney, Caracas, Wien und auf einem Alpengletscher in der Schweiz. Lange muss er meist nicht suchen, bis er Freiwillige findet. Zur Münchner Installation sind ihm sogar Anhänger aus Südamerika und den USA nachgereist. „Wir lieben Spencer. Wir wollen gemeinsam mit ihm Kunst machen“, sagt die 25-jährige Shirley aus New York. Wie ihr geht es den meisten hier. Es geht darum, gemeinsam Teil von etwas Großem zu sein. Nach zwei Stunden ist alles vorbei. München erwacht. Es wird wärmer. Zeit, sich wieder anzuziehen.

 
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