Herr Stevens, Sie kommen mit zwei verschiedenen Shows in die Region, die wahre Verbrechen behandeln: „True Crime - Tödliche Liebe“ und „Angeklagt - Schuldig oder nicht?“ Worum geht es dabei? ALEXANDER STEVENS: Es handelt sich um reale Fälle aus meiner Kanzlei, die ich mit Bayern 3 Moderatorin Jacqueline Belle beziehungsweise Tagesschau-Sprecher Constantin Schreiber auf die Bühne bringe. In beiden Shows darf das Publikum abstimmen, muss sich also selbst Gedanken machen, wie es entscheiden würde. So erleben die Zuschauer am eigenen Leib, wie schwierig es sein kann, in einem Gerichtsprozess ein Urteil zu fällen - für viele eine ganz neue Erfahrung.
Klingt spannend. Aber gleich zwei True-Crime-Shows. Worin liegt der Unterschied?STEVENS: In „Angeklagt“ geht es ausschließlich um den sogenannten Dreifachmord von Starnberg. Mit Constantin Schreiber und mir stehen hier zwei studierte Juristen auf der Bühne, ich in meiner angestammten Rolle als Strafverteidiger und Constantin in der Rolle des Anklägers, also des Staatsanwalts. Jeder von uns versucht, das Publikum mit einer möglichst stichhaltigen Argumentation auf seine Seite zu ziehen. Wie bei einer amerikanischen Gerichtsverhandlung, in der eine Jury über Schuld und Unschuld entscheidet. In „Tödliche Liebe“ behandeln wir nicht nur einen, sondern drei verschiedene Fälle, zu denen mir Jaci als mein Gegenpart immer wieder kritische Fragen stellt. „Angeklagt“ ist komplexer und auch blutrünstiger. „Tödliche Liebe“ ist weniger hart, vielleicht emotionaler, mehr Show.
Wie entscheiden Sie, welche Fälle Sie dafür auswählen? Was macht einen Fall in Ihren Augen bühnentauglich?STEVENS: Er muss divergent sein, das heißt, alles andere als klar. Damit man Zweifel säen kann. Ich gehe ja nicht nur auf die Bühne, um zu unterhalten. Es geht mir auch darum, das Strafrecht an den Mann zu bringen und aufzuzeigen, wie fragil das System ist, wie schnell man in einem Gerichtsverfahren den Überblick und das Augenmaß verlieren und es so zu Fehlurteilen kommen kann. Natürlich muss der Fall auch einigermaßen komplex und ein Stück weit unterhaltsam sein - und einen gewissen Gruselfaktor mitbringen. Er muss die Urangst des Menschen triggern, selbst Opfer oder Täter werden zu können.
Was ist mit den Tätern, Opfern und Angehörigen? Haben sie ein Mitspracherecht?STEVENS: Meine Mandanten müssen einverstanden sein, deshalb spreche ich mit ihnen und zeige ihnen die Vor- und Nachteile auf. Beim „Dreifachmord von Starnberg“ sind die Opfer alle tot und die Hinterbliebenen werden nicht thematisiert. Die Kurzfälle werden so stark anonymisiert, dass die Leute sich nicht wiedererkennen.
Was bewegt Ihre Mandanten dazu, zuzustimmen, dass Sie ihren Fall auf die Bühne bringen dürfen?STEVENS: Sie sind verurteilte Mörder und hoffen auf ein Wiederaufnahmeverfahren. Ein Antrag auf Wiederaufnahme hat nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn sich die Menschen dafür interessieren und es Druck durch die Öffentlichkeit und die Politik gibt.
Aber untergraben Sie mit der Methode, abgeschlossene Fälle, mit deren Urteil Sie nicht zufrieden sind, auf der Bühne erneut zu verhandeln, nicht die Justiz? Schließlich gibt es im deutschen Rechtssystem extra mehrere Instanzen, man kann Rechtsmittel gegen ein Urteil einlegen. Außerdem urteilt bei Straftaten, bei denen eine hohe Strafe im Raum steht, kein Einzelner, sondern eine Kammer mit bis zu fünf Mitgliedern.STEVENS: Die Möglichkeit mehrerer Instanzen existiert nur in der Theorie. In der Praxis können Sie am Landgericht nur noch bei Rechtsfehlern in Revision gehen. Eine Berufung, in der der Sachverhalt an sich noch einmal überprüft wird, ist nicht mehr vorgesehen. Und auch bei der Gerichtsbesetzung funktioniert das System nicht so, wie es sich der Gesetzgeber vorgestellt hat. Laienrichter werden sich nicht gegen einen Berufsrichter auflehnen, die Beisitzer nicht gegen ihren Chef. Und so fällt das Urteil am Ende doch eine Einzelperson, der Vorsitzende Richter. Im Studium habe ich das amerikanische Rechtssystem noch abgelehnt, aber inzwischen hat sich meine Meinung um 180 Grad gedreht und ich halte ein Jury-System mit zwölf Geschworenen für gerechter. Mordprozesse sind sehr häufig Indizienprozesse. In Deutschland reicht es, wenn der Richter zu einer Überzeugung gelangt, während im Zivilrecht harte Beweise gefordert sind. Ich hätte nie gedacht, dass Strafrecht so ungerecht sein kann.
Sie klingen wie ein Idealist, der an der Realität zerbrochen ist... Ihre Kritiker, die Ihnen vorwerfen, nur im Rampenlicht stehen zu wollen und das System für Ihre Zwecke zu missbrauchen, werden das kaum glauben können.STEVENS: Doch, ein Stück weit kann man das durchaus so sagen.
Ihre Partner in den Shows arbeiten beide für öffentlich-rechtliche Sendeanstalten. Wollten Sie durch Constantin Schreibers Verbindung zur renommierten Tagesschau Ihre Show legitimieren und Ihren Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen? STEVENS: Nein. Ich habe Constantin kontaktiert, weil er nicht nur Journalist ist, sondern auch Jura studiert hat. Er ist also vom Fach und ich kann ihm nicht einfach einen Bären aufbinden. So soll die Ausgewogenheit gewährleistet werden. Und er ist sehr musikalisch und kann unfassbar gut Klavier spielen - was wir in der Show ja auch machen. Es gab also gleich mehrere gemeinsame Nenner, die ihn mir sympathisch machten.
Kritiker des Bayern 3 True Crime Podcasts, der der Bühnenshow mit Jacquline Belle zugrunde liegt, werfen Ihnen vor, Sie würden ihn als Teil Ihrer Verteidigungsstrategie nutzen, insbesondere wenn Sie laufende Verfahren thematisieren wie den Doppelgängerinnen-Mordprozess, in dem Sie die Angeklagte Schahraban K. verteidigen. STEVENS: Auch die Staatsanwaltschaft betreibt Öffentlichkeitsarbeit und bedient sich eigener Pressesprecher, um ihr Narrativ in die Welt zu bringen. Die Kritik ist daher sehr unausgegoren. Im Übrigen bin ursprünglich nicht ich auf Bayern 3 zugegangen, sondern Bayern 3 auf mich und hat angefragt, ob ich einige meiner Fälle in einem Podcast besprechen möchte. Das war im Herbst 2020. Aber wir werden das Konzept demnächst ohnehin ändern und ich werde keine eigenen Fälle mehr besprechen. Die Redaktion wird dann Fälle auswählen und recherchieren und ich werde mich einarbeiten und in der Rolle als Experte Fragen beantworten.
Wenn Sie in Ingolstadt auftreten, ist es in gewisser Weise ein kleines Heimspiel. Welche Verbindung haben Sie in die Region?STEVENS: Ich bin mit 19 Jahren der Liebe wegen nach Eichstätt gekommen, später, als die Beziehung in die Brüche ging, in ein Schwesternwohnheim in Kösching umgezogen. Da ich ursprünglich Arzt werden wollte, habe ich in der Region eine Ausbildung zum Rettungssanitäter gemacht und bin in Eichstätt, Kösching und Beilngries Rettungsdienst gefahren - auch dann noch, als ich in Regensburg Jura studiert habe. Am Eichstätter Stadttheater hatte ich meine ersten Musical-Auftritte. 2007 habe ich dann mein Referendariat am Landgericht Ingolstadt gemacht.
In welchen Kneipen hat man Sie denn zu dieser Zeit in Eichstätt und Ingolstadt angetroffen?STEVENS: Im Desperados, im Sausalitos, in der Discothek Dasda und ab und zu im Tanzhaus A 9 - wobei ich kein großer Clubgänger war.
Gab es irgendein Erlebnis, das Sie in Eichstätt oder Ingolstadt besonders geprägt hat?STEVENS: Ja. Ich kam als Rettungssanitäter als erster zu einem tragischen Unfall zwischen Lenting und Ingolstadt. Ein Autofahrer hatte einen Fußgänger angefahren, ein Discobesucher, der davor im Tanzhaus A 9 war. Der Mann hatte schwerste Kopfverletzungen und überlebte nicht. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass es ein eiskalter Mord war, jemand hatte ihn wohl absichtlich tot gefahren. Ich wurde damals auch als Zeuge im polizeilichen Ermittlungsverfahren vernommen.
Seit Januar sind Sie regelmäßig im Doppelgängerinnen-Mordverfahren am Landgericht Ingolstadt. Als sie kürzlich den Antrag stellten, die Plädoyers der Staatsanwaltschaft aufzuzeichnen, unterstellte Ihnen der Staatsanwalt, die Aufnahme würde dann am Ende nur in Ihrem Podcast landen. Die Kammer lehnte den Antrag schließlich ab. Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Podcast-Tätigkeit, Ihre TV-Auftritte und die Bücher, die Sie schreiben, für Sie und Ihre Mandanten nicht nur von Vorteil sind? STEVENS: Klar begegnet man mir anfangs mit einer gewissen Skepsis und zweifelt manchmal auch ein Stück weit an meiner Kompetenz, aber das lässt sich im persönlichen Kontakt meist ausräumen. Wäre ein Richter mir gegenüber voreingenommen, könnte ich einen Befangenheitsantrag stellen, aber ich musste noch nie einen Richter deswegen ablehnen.
Wird es eines Tages eine Bühnenshow oder ein Buch von Ihnen über den Ingolstädter Doppelgängerinnen-Mord geben?STEVENS: Für eine Bühnenshow ist der Fall nicht geeignet. Und auch ein Buch ist derzeit nicht geplant.
Alexander Stevens, geboren 1981, arbeitet als Strafverteidiger mit eigener Kanzlei in München. Er vertritt häufig Prominente oder Mandanten in Kapitalverbrechen, bei deren Prozessen ein großes Medieninteresse zu erwarten ist. Als Kind sang er zunächst im Tölzer Knabenchor und wechselte dann zu den Regensburger Domspatzen. Im Fernsehen sah man ihn bereits als Anwalt in der Gerichtsshow „Richter Alexander Hold“, in der Scripted-Reality-Serie „Im Namen der Gerechtigkeit“ und als Moderator der Sendung „Im Namen des Volkes“. Er tritt auch immer wieder als Experte im TV auf. Stevens ist dreifacher Spiegel-Bestseller-Autor. Mit über 65 Millionen Gesamtabrufen laut Sender zählt der Bayern 3 True Crime Podcast zu den erfolgreichsten deutschen Podcasts.
Mit „True Crime - Tödliche Liebe“ ist Stevens am 14. Dezember 2024 zu Gast im Ingolstädter Stadttheater (ausverkauft) und am 27. September 2025 in der Niederscheyernhalle in Pfaffenhofen (Vorverkauf läuft). In „Angeklagt - Schuldig oder nicht?“ ist er am 8. Oktober 2025 in Ingolstadt zu sehen (Vorverkauf läuft). Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Termine im deutschsprachigen Raum, zu finden auf eventim.de.
Für die Show am 14. Dezember verlost die Neuburger Rundschau 5 x 2 Karten. Wer teilnehmen möchte, schickt bis 1. Dezember eine E-Mail mit dem Stichwort „True Crime“ an gewinnen@neuburger-rundschau.de. Bitte unbedingt die Telefonnummer angeben, die Gewinner werden telefonisch benachrichtigt. Bitte beachten Sie die Hinweise zum Datenschutz und die Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO unter augsburger-allgemeine.de/datenschutz oder unter Telefon 0821/777-2355.