Die Analyse war schonungslos: „Die Welt ist aus den Fugen geraten“, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer zum Auftakt ihrer groß angekündigten sicherheitspolitischen Grundsatzrede in der Universität der Bundeswehr in München. Zuvor hatte ein Presseoffizier den uniformierten Studenten im Audimax klare Verhaltensregeln für den Empfang der Oberbefehlshaberin gegeben: „Folgen Sie der Ministerin mit ihren Blicken, wenn sie zum Rednerpult geht“, hieß es.
Groß war die Neugier, ob sie ihren Vorstoß, eine internationale Sicherheitszone für Nordsyrien einzurichten, konkretisieren würde. Immerhin hatte die Saarländerin, die als potenzielle Nachfolgerin von Kanzlerin Angela Merkel gilt, eine Diskussion über die Rolle Deutschlands und Europas in der Welt angezettelt. Zu wenig, zu zögerlich, zu unkoordiniert. Dieses schlechte Zeugnis stellte sie – grob zusammengefasst – der deutschen Außenpolitik aus. Das sagte sie in München natürlich eleganter: „Ein Land unserer Größe und mit unserem globalen Interesse kann nicht am Rande stehen und zuschauen.“
Das allerdings sind bekannte Thesen aus sicherheitspolitischen Reden deutscher Politiker. Ob Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier oder Außenminister Heiko Maas (SPD) – der Ruf nach mehr deutscher und europäischer Verantwortung bei internationalen Konflikten gehört zum guten Ton, wenn die strategische Ausrichtung der Bundesrepublik das Thema ist. Doch AKK geht weiter: Wenn nötig, müsse Europa das „Spektrum militärischer Mittel ausschöpfen“, erklärte die Ministerin. Zumal der Machtanspruch Chinas die demokratischen Werte bedrohe und – wie sie zumindest andeutete – die Verlässlichkeit der USA in der Ära Donald Trump ein flüchtiges Gut ist. Mit fatalen Folgen für die Verteidigungsfähigkeit des Westens, wie die Zuhörer weiterdenken konnten und wohl auch sollten.
Der französische Präsident hatte es fast zeitgleich ein wenig drastischer formuliert: Das Verteidigungsbündnis Nato sei „hirntot“, stellte Emmanuel Macron gänzlich uncharmant fest. So etwas würde der Verteidigungsministerin wohl kaum über die Lippen kommen. Und dennoch: Auch Kramp-Karrenbauer beschwor das deutsch-französische Tandem, wenn es darum geht, eine militärische europäische „Ergänzung“ zur Nato auf die Beine zu stellen.
Klar war der Ministerin, dass ihr Publikum – sprich potenzielle Offiziere – ganz genau weiß, dass die Bundeswehr in einer desaströsen Verfassung ist. Unstrittig ist, dass weitere Einsätze im Ausland die Truppe an die Grenze des Machbaren bringen würden. Bis 2031 müsse Deutschland zwei Prozent des Bundeshaushalts für Verteidigung ausgeben, sagte die Ministerin. Und zwar nicht, um Trump einen Gefallen zu tun, sondern aus „eigenem Interesse“.
Also Annegret Kramp-Karrenbauer ganz ministeriell, ganz staatstragend? Nicht ganz. Über Bande wurde es dann schon innen-, oder besser gesagt parteipolitisch. Für jeden im Saal war wohl klar, dass AKK Außenminister Heiko Maas einen Ellbogencheck verpasste, als sie die Rolle der USA bei der Wiedervereinigung Deutschlands in höchsten Tönen lobte. Genau das hatte ihr Landsmann von der Saar in einem Zeitungsbeitrag zum Mauerfall geflissentlich unterlassen. Die Innenpolitik. Ein für AKK zur Zeit wenig erquickliches Thema. Nur ein geringer Teil der Deutschen kann sich AKK als Kanzlerin vorstellen. Diesen Eindruck immerhin vermittelte sie in München nicht. Im Gegenteil: Ihr Vorschlag eines Nationalen Sicherheitsrats dürfte für Gesprächsstoff sorgen. Die Institution solle Instrumente von Diplomatie, Militär, Wirtschaft und Handel, Innerer Sicherheit und Entwicklungszusammenarbeit koordinieren.
Noch wichtiger aber ist der Ministerin: Zwar soll der Bundestag weiter über Auslandseinsätze der Bundeswehr entscheiden. Doch dann kommt das große Aber: Das muss in Zukunft schneller und unkomplizierter gehen. (Mit dpa)