Es trifft Altenpfleger, Lehrerinnen und Handwerker. Ärztinnen, Friseure und Tankstellenbetreiber. Freunde aus dem Sportverein, Nachbarinnen, Schrebergartenbesitzer. Menschen, die wissen, was sie an einer Demokratie haben. Es trifft Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben – und es scheint egal, wie lange diese zurückreicht, wie lange die Einbürgerung schon zurückliegt oder wie gut integriert das Leben hier in Deutschland ist. Die Rede ist von den jüngst bekannt gewordenen Plänen teils ranghoher AfD-Politiker und bekannter Rechtsextremer, Millionen Menschen aus Deutschland zu vertreiben. Darüber berichtet hat das Recherche-Kollektiv Correctiv.
Seit Tagen gehen deshalb Menschen auf die Straßen, um gegen Rechtsextremismus zu demonstrieren. Auch für das Wochenende sind in zahlreichen Städten Proteste angemeldet, in München etwa rechnet man mit bis zu 30.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Zugleich berichtet der Spiegel von einer Umfrage, wonach immer noch gut 20 Prozent der Befragten für die AfD stimmen würden, wenn am kommenden Sonntag Bundestagswahl wäre. Zahlen, die womöglich noch mehr Menschen auf die Straße treiben. Wie aber geht es jenen, die von den Plänen der AfD betroffen wären? Deutschland, das lässt sich sagen, stünde schlechter da.
Er sei stolzer Besitzer eines Schrebergartens. "Mehr deutsche Tugend geht nicht, oder?", witzelt Igor Dordevic. Der Augsburger wird schnell ernst. Zu besorgniserregend sind die Pläne, die AfD-Politiker gemeinsam mit Rechtsextremen geschmiedet haben sollen. Igor Dordevic stammt aus einer Migrantenfamilie.
Der 45-Jährige ist in Augsburg geboren, seine Eltern kamen Ende der 60er- Jahre als serbische Gastarbeiter in die damalige Textilstadt. "Das Ziel meines Vaters war ein Opel Rekord." Seine Eltern erreichten viel mehr, sie bauten sich eine Existenz auf und blieben. "Durch ihren Fleiß hat unsere Familie einen besseren Lebensstandard als vielleicht eine Durchschnittsfamilie", sagt Dordevic, Vater von drei Kindern. "Von meinen Eltern lernte ich, dass man sich etwas erarbeiten muss." Dordevic, ausgebildeter Zerspanungsmechaniker, hat sich mit Anfang 20 als Dienstleister für Sicherheit selbstständig gemacht.
Seine Firma Sektor Sicherheitsdienst mit 35 Mitarbeitern feiere dieses Jahr 25-jähriges Bestehen. "Darauf bin ich stolz." Er hoffe, sagt Dordevic, dass die rechtsextremen Remigrationspläne bloße Hirngespinste blieben. Sie bereiteten ihm Angst. Angst um seine Eltern.
"Sie wären angreifbarer, weil sie nicht so integriert sind. Mein Vater hat nie richtig Deutsch gelernt." Igor Dordevic setzt sich für die Stadt ehrenamtlich ein. Er ist Mitglied im Integrationsbeirat und im Behindertenbeirat. Für die IHK nimmt er Prüfungen für Sicherheitsdienste ab. Seit Kurzem engagiert er sich als Schöffe am Gericht. "Es ist wichtig, der Gesellschaft etwas zu geben und mitzugestalten", findet er. (Ina Marks)
Hady Jako ist einer, der den Dialog sucht. Dafür wagt er sich auch mal in eine AfD-Gruppe auf Facebook und bemüht sich um Austausch. Die Reaktionen? Irgendwas zwischen negativen Kommentaren und Schweigen, erzählt der 38-Jährige. Dass er 2006 im Irak nur mit unglaublichem Glück und schwerstverletzt einen Bombenanschlag überlebt hat? Scheint niemanden zu interessieren. Dass er als Jeside einer verfolgten Minderheit angehört und sich auch jetzt seines Lebens nicht sicher sein könnte? Ebenso wenig.
Seit vielen Jahren lebt Hady Jako schon in Neu-Ulm, seit 2018 mit deutschem Pass. "Ich zahle meine Steuern, bekomme keine Hilfe vom Staat und leiste meinen Beitrag", betont er. Sowieso wird er dringend gebraucht. Er arbeitet im Altenheim, in einer Branche also, in der bis 2030 womöglich bis zu einer halben Million Pflegekräfte fehlen werden. Der Großteil seiner Kolleginnen und Kollegen hat eine Migrationsgeschichte – und müsste nach den Vorstellungen mancher AfD-Anhänger das Land verlassen.
Im Alltag hat Jako keine Angst. Aber der bloße Gedanke, dass diese Partei bei einer nächsten Wahl an die Regierung kommen könnte, bereitet ihm Sorgen. Würde er zurück in den Irak geschickt werden, wäre das sein Todesurteil, davon ist der 38-Jährige überzeugt. Seine Hoffnung: Gute Deutsche setzen sich gegen diese rechten Fantasien ein. Als guter Deutscher leistet Jako schon lange seinen Beitrag. (Ingrid Fuchs)
Für Khadija Alkhatib ist die Teilnahme am Neujahrsempfang der Stadt Dillingen ein emotionaler Termin. "Wenn ich die deutsche Nationalhymne höre, dann fühle ich, dass das hier mein Land ist und ich dazugehöre", sagt die 36-Jährige nach dem jüngsten Festakt. Vor acht Jahren ist die Mutter mit drei Kindern von Syrien über die Balkanroute nach Deutschland geflohen. Die Familie geriet wegen der Proteste gegen das Assad-Regime in Schwierigkeiten. "Unser Leben war bedroht, unser Haus wurde zerstört", erklärt Khadija Alkhatib, "ich wollte mit meinen Kindern in Sicherheit und Frieden leben."
Der Anfang sei schwer gewesen, inzwischen ist die Englischlehrerin aber durchgestartet. Sie absolviert ein duales Studium Sozialpädagogik und ist die Hälfte der Zeit im Dillinger Jugendamt beschäftigt. Die ehrenamtliche Vorsitzende des Integrationsbeirats des Landkreises Dillingen engagiert sich vielfach, sie wurde unter anderem als Sprecherin gegen Diskriminierung von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann ausgezeichnet. "Ich studiere, weil ich hier etwas von der Hilfe, die ich erhalten habe, zurückgeben möchte und Menschen professionell helfen will", sagt die Dozentin für Kultur. Sie hofft, im März die deutsche Staatsbürgerschaft zu erhalten.
Finanziell komme sie über die Runden, teilt die inzwischen vierfache Mutter mit. Die Vertreibungspläne rechtsextremer Politiker hat Alkhatib mitbekommen. In Panik versetze sie dies nicht, "in unserem Land darf jeder seine Meinung äußern". Khadija Alkhatib bleibt optimistisch. "Viele Menschen sagen auch, dass Migranten dazu beigetragen haben, dass es Deutschland gut geht." (Berthold Veh)
Die Pläne der AfD haben Kasim Kocakaplan nicht überrascht: "Solche Geheimtreffen gibt es doch ständig." Dass aber Mitglieder der Werteunion daran teilgenommen haben, hat den 52-Jährigen erschreckt. Er vertraue auf Demokratie und Rechtsstaat, sagt er. Sorgen hat er dennoch: "Wenn die AfD in eine Regierung gewählt wird, kann sie Gesetze ändern. Das hatten wir schon einmal, 1933." Dass nun so viele Menschen auf die Straße gehen, wertet Kocakaplan als wichtiges Zeichen. Er selbst will an diesem Samstag an einer Kundgebung in Ulm teilnehmen.
Der gebürtige Türke ist 1978 als Kind von Gastarbeitern nach Illertissen gekommen, bis heute lebt er in der Stadt. In Illertissen führt er den SPD-Ortsverein an und sitzt im Stadtrat, in Ulm vertritt er die alevitische Gemeinde im Rat der Religionen. "Mit meinem Engagement will ich der Gesellschaft etwas zurückgeben", sagt er. Er sei dankbar für die Möglichkeiten, die ihm Deutschland geboten hat – und für die Sicherheit sowie die Freiheiten, die die Menschen hier haben. "Das sind Güter, die es woanders nicht gibt", betont er.
Um für kommunalpolitische Ämter kandidieren zu dürfen, gab der Maschinenbautechniker in den 90er-Jahren seine türkische Staatsbürgerschaft auf. Dafür musste er 10.000 Mark bezahlen und in seinem Geburtsland einen Monat Wehrdienst ableisten. "Das war damals geltendes Recht in der Türkei", erinnert sich Kocakaplan. Über seine Stadt sagt er: "Illertissen ist bunt." Menschen, die Wurzeln in anderen Ländern haben, seien eine Bereicherung. "Auch die Gastarbeiter haben Deutschland mit aufgebaut." (Sebastian Mayr)
Mohammad Luqman Shahid ist seit fünf Jahren Imam der Ahmadiyya-Gemeinde in Augsburg-Oberhausen. Ursprünglich kommt er aus Pakistan. Dort wurde er verfolgt, floh vor mehr als 15 Jahren nach Deutschland und erhielt Asyl. Daher weiß er: "Hass und Diskriminierung haben kein Land auf der Welt zum Frieden geführt, sondern zum Gegenteil." Sollte die AfD aber Teil einer Regierung werden, rechnet Shahid mit einer Umkehr ins Negative. "Die Pläne der AfD sind weder demokratisch noch verfassungsgemäß und sind auch nicht gesetzeskonform. Diese tragen zur weiteren Spaltung in unserer Gesellschaft bei."
Mit Mitgliedern seiner Gemeinde ist der Imam regelmäßig in Augsburg unterwegs, um sich in der Stadt einzubringen. In Gedenken an die Gräuel der Reichspogromnacht putzen sie jährlich am 9. November die Stolpersteine, die in Erinnerung an Holocaustopfer auch in Augsburg dutzendfach in den Boden eingelassen sind. Bei regelmäßigen Plakataktionen an zentralen Augsburger Standorten wollen die Gemeindemitglieder zudem einen Beitrag zum Frieden leisten. "Auf unseren Plakaten steht: 'Ich bin ein Muslim und stehe hier für Toleranz'." (Jonas Klimm)
Assad Wardak aus Babenhausen ist ein Mann, der für seine Standpunkte eintritt. Als Gegner des Kommunismus floh er 1980 aus Afghanistan, nachdem die Sowjets einmarschiert waren, brach sein Studium der Biochemie ab, verabschiedete sich von seiner Familie. In Deutschland lebt er als überzeugter Demokrat. Die Demokratie aber sieht er nun bedroht durch Menschen, die über Vertreibung Eingewanderter debattieren oder Parolen wie "Deutschland den Deutschen" grölen. Erschrocken über die rechten Umtriebe im Land? Ja. Aber verängstigt? Nein. "Ich weiß, dass unsere Gesellschaft stark genug ist, um dem etwas mit demokratischen, rechtsstaatlichen Mitteln entgegenzusetzen", sagt Wardak. "Wir müssen die Möglichkeiten aber in vollem Umfang nutzen. Die Gleichgültigkeit in vielen Teilen der Gesellschaft sollte aufhören." Er selbst werde eine Demo gegen Rechtsextremismus besuchen und sich weiterhin politisch bei den Grünen engagieren.
Das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit vertritt Wardak als ehrenamtlicher Richter am Verwaltungsgericht Augsburg. Eine weitere Station auf seinem Lebensweg. Als er nach Deutschland gekommen war, lernte er recht bald seine heutige Frau Erna kennen, besuchte eine Sprachschule. Beruflich an sein Studium anknüpfen konnte er mangels Nachweis nicht. Er machte sich zunächst in der Modebranche selbstständig und führte später zusammen mit seiner Frau eine Tankstelle in Babenhausen, die deren Großeltern einst aufgebaut hatten. Deutscher Staatsbürger ist er seit 2004. (Sabrina Karrer)