Nach den ersten Schritten auf dem regennassen Pfad hört man es bereits: das Krächzen von hoch droben aus den Baumwipfeln. "Die Krähen breiten sich immer mehr aus", sagt ein älterer Herr mit Schildmütze und Steppjacke, der an diesem kalten Aprilmorgen mit seinem Enkelkind im Schwabmünchner Luitpoldpark spazieren geht. Er wohne ein Stück vom Park entfernt, erzählt er. Aber sogar bei ihm seien die pechschwarzen Vögel immer wieder zu sehen.
In der Stadt im Landkreis Augsburg haben viele Menschen die Tiere satt – deswegen hat man dort vor Kurzem mehrere krähenfreie Zonen ausgerufen, etwa rund um die Grundschule, den Friedhof, das Krankenhaus. Äste werden abgeschnitten, Nester heruntergeholt, den Vögeln soll es ungemütlich gemacht werden. Möglich ist das aber nur mit Genehmigung der Regierung von Schwaben, denn Saatkrähen sind streng geschützt.
Bauernverband: Eine Entschädigung für Landwirte gibt es nicht
Geht es nach CSU und Freien Wählern, soll sich das ändern. Der Schutzstatus müsse herabgesetzt werden, fordern sie. Geplant sind zunächst Pilotprojekte, die mit 400.000 Euro unterfüttert sind, und mit denen ausgelotet werden soll, was man gegen die Saatkrähen ausrichten kann – auch mit Abschüssen.
"Wir hatten bereits in der letzten Legislaturperiode einen Antrag gestellt, in dem es auch darum ging, dass der Schutzstatus herabgesetzt wird und die Saatkrähe auf die Liste der jagdbaren Arten kommt", sagt Carolina Trautner, Landtagsabgeordnete und stellvertretende Bezirksvorsitzende der CSU in Schwaben. "Jetzt starten wir noch mal einen Anlauf, weil wir sehen, dass die Saatkrähen große Schäden anrichten." In den Gemeinden und Städten machten vor allem der Lärm und der Kot Probleme, auf den Feldern würden die Krähen den Bauern die Saatkörner wegfressen, sagt Trautner. Eine Entschädigung für Landwirte gebe es aktuell aber nicht, teilt der Bayerische Bauernverband mit, der das ändern möchte. Um mit Ministerien, Behörden und Politikern ins Gespräch zu kommen, will der Verband Daten sammeln und ruft Landwirte auf, Schäden zu dokumentieren und zu melden.
Krähen sind äußerst kluge Tiere
Die Pläne von CSU und Freien Wählern, die auch im Sinne des Bauernverbandes sein dürften, bedeuten im Grunde: prüfen, ob man den Krähen an den Kragen kann. "Die Entnahme soll aber auch in den Vergleich zu nicht letalen Maßnahmen wie etwa der Vergrämung gesetzt werden", sagt Trautner. Letzteres habe sich in der Vergangenheit aber als nicht besonders wirksam erwiesen. "Das sind äußerst kluge Tiere. Es hat schon Versuche mit einem Falkner gegeben, der die Krähen verscheuchen sollte. Aber die kannten irgendwann das Auto des Falkners. Wenn er gekommen ist, sind sie weggeflogen, aber sobald er wieder fuhr, sind sie zurückgekommen."
Beim Bund Naturschutz in Bayern sieht man das anders. Es habe eben erst ein dreijähriges Forschungsprojekt beim Landesamt für Umwelt (LfU) gegeben, in dem Vergrämungsmöglichkeiten untersucht worden seien. "Mit der Forderung, Saatkrähen einfach abzuschießen, ignorieren CSU und Freie Wähler offenbar die Ergebnisse dieses Projekts", sagt ein Sprecher des Umweltschutzverbandes. Außerdem sei der Bestand immer noch nicht so, dass man den Schutzstatus aufheben könne. "Es gibt Schwerpunkte, wo sich die Saatkrähen zusammenrotten, allerdings sind das die Ausnahmen." Bei der Tötung von einzelnen Tieren bestehe zudem die Gefahr, dass sich woanders Splitterkolonien bilden. "Man müsste schon die ganze Kolonie abschießen – aber das ist selbstverständlich keine Option."
Krähen in Bayern: Mehr als 18.000 Brutpaare im Freistaat
Daten des LfU zeigen, dass die Saatkrähenzahlen in den vergangenen Jahrzehnten deutlich angewachsen sind. Gab es Mitte der 1950er-Jahre nicht einmal mehr 1000 Brutpaare im Freistaat, sind es nun mehr als 18.000. Bei der Verbreitung zeigt sich ein starkes Süd-Nord-Gefälle. Den Daten zufolge brüten rund 88 Prozent der Saatkrähen in den Regierungsbezirken Oberbayern (fast 9000 Brutpaare) und Schwaben (rund 7600 Brutpaare).
Angesichts dieser Zahlen wundert es Fabian Mehring nicht, dass die Debatte immer wieder hochkocht. "Die aktuelle Situation kann so nicht bleiben", sagt Mehring, Digitalminister, Freie-Wähler-Abgeordneter – und Meitinger. Die Gemeinde im Landkreis Augsburg kämpfte über Jahre mit den Krähen im Schlosspark, Mehring kennt die Problematik, mit der sich viele Kommunen herumschlagen, also seit Langem. "Es gibt immer noch einen strengen Schutzstatus, der aber einfach völlig aus der Zeit gefallen ist", kritisiert er. "Damals war das richtig, die Tiere unter einen besonderen Schutz zu stellen. Aber mittlerweile kommt es in einem relativ kurzen Rhythmus zu einer Verdoppelung der Zahlen."
Mindelheimer Saatkrähenbestand nimmt kontinuierlich ab
Immer wieder hat man aus Bayern heraus versucht, den Schutz aufzuheben. Bisher ohne Erfolg. Zuletzt hatte der Bundesrat entschieden, den Status beizubehalten. "Insbesondere mit den Stimmen der Grünen, die sich da sehr stark dafür gemacht haben", sagt Mehring. Jetzt also ein neuer Anlauf mit dem Ziel, auszuloten, was in Bayern möglich ist – und zwar ohne neue bundesweite Regelungen. Mehring gibt sich optimistisch. Die Rechtslage auf Ebene der EU lasse unter bestimmten Bedingungen eine sogenannte "letale Entnahme" zu. "Wir klären nun, ob wir das auch in Bayern hinbekommen." In anderen Ländern, etwa in Frankreich oder Schweden, sei die Entnahme von Krähen erlaubt. "Aber in Deutschland gewichtet man den vermeintlichen Tierschutz mehr als die Belastungen für die Menschen oder die Landwirtschaft."
Manchmal erledigt sich das Problem übrigens von selbst. In Mindelheim im Unterallgäu etwa nimmt der Saatkrähenbestand dem LfU zufolge seit 2016 ab, mittlerweile gilt die alteingesessene Tiergartenwald-Kolonie als erloschen – und das, obwohl es mit Menschen keine Probleme gab, illegale Vergrämungsmaßnahmen sind nicht bekannt. Als Ursache kommt dem LfU zufolge jemand anderes in Betracht: ein Waschbär, der den klugen Krähen offenbar nicht geheuer war. Völlig verschwunden sind die Vögel freilich nicht. Im Umkreis von 25 Kilometern um Mindelheim hat der Krähenbestand in verschiedenen Kolonien deutlich zugenommen.