Fast sieht es an diesem Abend im schwäbischen Kloster Irsee aus, als gäbe es in der bayerischen SPD eine Zwei-Klassen-Gesellschaft. Die Abgeordneten der 42-köpfigen Landtagsfraktion, die sich zum Abschluss ihrer Klausur zum geselligen Abend treffen, kommen ganz leger in Alltagskleidung daher. Plötzlich aber steht ein junger Mann in feinem Zwirn da: weißes Hemd, dunkler Nadelstreifen-Anzug, Seidenschal. Es ist Florian Pronold, Vorsitzender der Bayern-SPD und als frisch gebackener Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesumweltministerium Mitglied der Bundesregierung. Pronold muss jetzt auch viel arbeiten. Aber er darf mitregieren. Das ist der offensichtliche Unterschied.
Regierungspartner der Union in Berlin, Opposition gegen die CSU-Staatsregierung in Bayern – wie geht das? Markus Rinderspacher, Chef der SPD-Landtagsfraktion, übt schon mal den diplomatischen Spagat. Seine Partei werde den Regierungsauftrag in Berlin ebenso annehmen wie die Oppositionsrolle in Bayern. „Dadurch“, so drückt er sich aus, „ergibt sich ein erweitertes Aufgabenspektrum für die SPD“. Rinderspacher sagt, er wolle das Angebot zur Zusammenarbeit von Ministerpräsident Horst Seehofer annehmen: „Wir wären kurzsichtig, wenn wir das nicht tun würden.“ Schließlich habe der CSU-Chef, wie jüngst die Beispiele Abschaffung der Studiengebühren und sanfter Donau-Ausbau zeigten, SPD-Positionen gegen seine CSU durchgedrückt. Auch wolle die SPD-Fraktion die CSU im Landtag nicht mit „Schaufensteranträgen“ ärgern. Bei umstrittenen Themen aber wird es laut Rinderspacher für die CSU keine Schonung geben: „Von einem Schmusekurs kann keine Rede sein.“ Aktuelles Beispiel sei die Energiewende. Seehofer wolle einen Stopp des Ausbaus der Windenergie in Bayern durchsetzen. Die SPD sei der Überzeugung, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Energiewende weiter vorantreiben wolle.
Dabei versucht sie, mit der Forderung nach einer Volksbefragung Seehofer mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Das Kalkül der SPD: Wenn Seehofer sagt, er regiere mit dem Volk, dürfe er eine Volksbefragung nicht scheuen. Außerdem müsse der Regierungschef erklären, wie er das selbst gesteckte Ziel beim Ausbau der erneuerbaren Energien erreichen wolle. Rinderspacher: „Horst Seehofer muss sagen, wie der Strom in die Steckdose kommt.“ Dass die Genossen in München auch aus Berlin Unterstützung zu erwarten haben, demonstrierte in Irsee Landeschef Pronold. Er spöttelte, dass Seehofer einst angekündigt habe, „die Energiewende in Bayern losgelöst von allen anderen zu machen“, und dass er jetzt im Streit um die Windräder Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) „zu Hilfe rufen muss“. Regieren in Berlin und Opposition in Bayern, „das erfordert flexible Antworten von Fall zu Fall“, sagte Pronold und schob noch eine Stichelei hinterher: „Ich kann nur sagen, dass absolute Mehrheiten bayerischer Ministerpräsidenten nie gut getan haben in der Entwicklung ihrer Bescheidenheit und Bodenhaftung.“