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„Aber ja, die Zahl ist zu bewältigen“
reda
 |  aktualisiert: 30.07.2015 19:13 Uhr

Grünen-Chefin Simone Peter attackiert die CSU und warnt vor Stimmungsmache gegen Flüchtlinge. Sie erklärt, weshalb die Grünen ihren eigenen Weg gehen wollen und nicht mehr überall zwingend auf die SPD als Partner setzen.

Frage: Kein Thema beschäftigt die Deutschen mehr als die Flüchtlingsfrage. CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer hat im Gespräch mit unserer Zeitung ein Gesetz gegen Asylmissbrauch gefordert. Was halten Sie davon?

Simone Peter: Wir erleben derzeit noch eine hohe Akzeptanz in Deutschland. Viele Menschen wollen den Flüchtlingen helfen. Da ist es absolut gefährlich, den Ton so zu verschärfen und eine Stimmung zu erzeugen, die den Stammtisch anheizt, wie die CSU das gerade macht. Mich beunruhigt sehr, dass es zu immer mehr Übergriffen auf Asylbewerberheime kommt. So etwas darf man als Politiker nicht noch befeuern.

Sie meinen, dass es wegen Äußerungen wie der von Herrn Scheuer zu solchen Angriffen kommt?

Peter: Ich will nicht sagen, dass es einen direkten Zusammenhang gibt. Aber Politik kann Stimmungen verschärfen, die zu solchen Taten führen. Das haben wir schon in den 90er Jahren erlebt. Deshalb halte ich es für fatal, permanent von Asylmissbrauch zu schwadronieren.

Viele Bürger haben die Befürchtung, Deutschland übernimmt sich mit der Aufnahme von so vielen Flüchtlingen. Verstehen Sie das?

Peter: Es ist eine riesige Herausforderung, vor allem für die Kommunen, die jetzt die Unterbringung Tausender Menschen organisieren müssen. Deswegen fordern wir dafür dringend mehr finanzielle Mittel vom Bund. Die Aufstockung des Personals im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das die Asylanträge bearbeitet, war wichtig, auch wenn sie viel zu spät kommt. 237 000 Anträge liegen ungeprüft auf dem Tisch. Das ist ein komplettes Versagen der Bundesregierung.

Ein großer Teil dieser Anträge wird abgelehnt werden. Vor allem von Asylbewerbern vom Westbalkan. Trotzdem müssen sie zeitintensiv bearbeitet werden. Warum sind Sie dagegen, weitere Balkan-Staaten als sichere Herkunftsländer zu deklarieren, um Asylbewerber schneller wieder dorthin zurückschicken zu können?

Peter: Es wurden ja schon einige Balkan-Länder als sichere Herkunftsstaaten eingestuft. Das hat aber nicht zu einem relevanten Rückgang der Asylanträge von dort geführt. Wir halten es deshalb für sinnvoller, den Menschen schon in ihren Heimatländern oder durch eine Rückführungsberatung hier bei uns zu verdeutlichen, dass sie kaum eine Bleibeperspektive haben.

Fakt ist aber doch, dass Zehntausende nahezu aussichtslose Anträge die Behörden aufhalten und dadurch die Luft fehlt, sich um Flüchtlinge aus Kriegsgebieten wie Syrien zu kümmern, oder?

Peter: Ich bin gegen eine Unterteilung in zwei Klassen von Flüchtlingen. Das Menschenrecht für Asyl muss für alle gelten. Aber eine zügige Bearbeitung der Anträge würde Entlastung schaffen.

Die Unterscheidung zwischen Kriegsflüchtlingen und Armutsflüchtlingen gibt es doch ohnehin schon, nämlich im Asylrecht ...

Peter: Und deshalb werden die Anträge geprüft und positiv oder negativ beschieden. Mir geht es darum, keinen Unterschied in der Rhetorik und im Tonfall zu machen.

Im grün-rot regierten Baden-Württemberg sollen Flüchtlinge vom Balkan an einem Ort konzentriert werden. Bayern plant ähnliche Zentren an der Grenze und wird dafür von Ihnen heftig kritisiert. Wie passt das zusammen?

Peter: Es ist ein Unterschied, ob man Baracken an die Grenze stellt, die der Abschreckung dienen, oder ob man sagt, wir bündeln die Anträge aus einer Region, um sie effektiver bearbeiten zu können.

Sie rechnen damit, dass in diesem Jahr 500 000 Flüchtlinge nach Deutschland kommen. Sehen Sie einen Anlass, Zuwanderung zu begrenzen?

Peter: Ich halte es für falsch, als wirtschaftsstarkes Land in Europa Obergrenzen festzulegen.

Also ist die Menge zu bewältigen?

Peter: Es sind ja nur so viele, weil die Bundesregierung versagt hat. Aber ja, die Zahl ist zu bewältigen. Wie können wir gegenüber Menschen in Not legitimieren, eine Grenze zu ziehen?

Die SPD diskutiert, ob sie bei der nächsten Bundestagswahl einen Kanzlerkandidaten aufstellen soll. Mit wem wollen die Grünen eigentlich noch regieren?

Peter: Wir sind gut beraten, unseren eigenen Weg zu gehen. Die SPD bleibt sicher weiterhin der favorisierte Partner, wie in den Ländern zu sehen ist. Aber wir werden nicht mehr an der Festlegung auf eine einzige Machtoption festhalten, zumal wenn sie rechnerisch nicht sehr wahrscheinlich ist. Deshalb sind uns bei der letzten Bundestagswahl Wähler scharenweise weggelaufen.

Also gibt es 2017 keine Koalitionsaussage zugunsten Ihres bisherigen Wunschpartners SPD?

Peter: Die sehe ich im Moment jedenfalls nicht, nicht als exklusive Festlegung. Wir haben mehrere Optionen und die werden wir nach der Wahl ausloten.

Das heißt, die Grünen werden das, was früher die FDP war: Mehrheitsbeschaffer für SPD oder Union?

Peter: Mehrheitsbeschaffer hieße ja, wir würden unsere eigene Agenda aufgeben, wie die FDP das getan hat. Diesen Fehler werden wir sicher nicht machen.

Wo sind denn die Themen, die grüne Politik noch einzigartig machen?

Peter: Ein ganz großes Umweltthema ist neben der Klimapolitik definitiv die Agrarwende. Viele Menschen gehen auf die Straße gegen industrielle Tierhaltung, Gentechnik und unfaire Handelsbeziehungen. Unsere bäuerlichen Strukturen – gerade hier in Bayern – sind in Gefahr. Foto: Bernhard Weizenegger

„Ich bin gegen eine Unterteilung in zwei Klassen von Flüchtlingen. “
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