
Alle sind da: Pepe und Tommy, Ryan und Lola, Kaya und Sophie. Jeans zahlloser Marken, Größen, Schnittmuster. Aufeinandergestapelt und aneinandergereiht in den Geschäften jeder Fußgängerzone. Man setze sich in ein x-beliebiges Einkaufszentrum und wird sehen: Jede zweite Hose eine Jeans. Blue Jeans mit Stretchanteil, gern kombiniert mit Daunenjacken. Teenagerinnen, uniformiert mit ausgewaschenen Skinny-Jeans und weißen Plateau-Sneakers. Und an diesem Tag auch ein Mutiger, der die kurze Jeans mit Trekking-Sandalen kombiniert, obwohl der nächste Regen schon am Himmel hängt.
Mit James Dean hat das wenig gemeinsam. Der Kinostar der fünfziger Jahre wurde zur Ikone, als Jeans noch keine Vornamen hatten, sondern eine Nummer: Er trug die "Levi's 501" in blau strahlendem Denim, kombiniert mit einem roten Blouson, der selbst im stets mit einem leichten Schleier belegten Kino der Nachkriegszeit leuchtete. So wollten Millionen Jugendliche sein. "Denn sie wissen nicht, was sie tun", dieser Film machte die Jeans zum Mode-Phänomen. Die Jugend wollte rebellisch sein, "Rebel Without a Cause", wie der Film im Original heißt, Rebell ohne Grund – und in der späteren Geschichte der Jeans dann häufig auch mit. Bürgerrechtler, Frauenrechtlerinnen, Homosexuelle – alle kämpften in Jeans für ihre Rechte.
Wenn man ganz weit zurückgeht in der Geschichte, so weit, dass man endlich irgendwann in Bayern ankommt, dann landet man im kleinen oberfränkischen Städtchen Buttenheim bei Bamberg, wo am 26. Februar 1829 ein Junge namens Löb Strauss geboren wird. Im Alter von 16 Jahren wandert er mit seiner Familie nach New York aus, nennt sich Levi und erfindet die Hose, die an diesem Samstag 150 Jahre alt wird. In Buttenheim feiern sie dann besonders wild.
Dort steht das Geburtshaus von Levi Strauss, heute ein Museum, es erzählt die Geschichte des jüdischen Unternehmers: von der Wiege über den amerikanischen Goldrausch bis hin zu den zwei Pferden, die bis heute auf dem Logo jeder "Levi's" vergeblich versuchen, eine Jeans in zwei Teile zu reißen. Die Historikerin Michaela Breil hat das Museum mit aufgebaut. Vieles dort ist im Originalzustand, die Fensterläden in Jeansblau allerdings nicht. Heute, fast 25 Jahre später, ist Breil Sammlungskuratorin für Mode und Textil im Augsburger Textil- und Industriemuseum (Tim). "Coolness – Inszenierung von Mode im 20. Jahrhundert" heißt die aktuelle Ausstellung dort, die Jeans bekommt mächtig Platz darin. Hängt nicht mit dem Hosenjubiläum zusammen, trifft sich aber ganz gut.
Michaela Breil steht neben einer schwarzen Puppe, die Kunststofffigur gekleidet in eine Jeansjacke "506 XX Type 1" und eine Levi's Bluejeans "501 xx Big E", beides von 1937. Sammler würden dafür ein Vermögen geben. Im Hintergrund schaut überlebensgroß James Dean von einem Filmplakat. Steht man im richtigen Winkel, sieht es aus, als hätte die Schaufensterpuppe Deans Kopf. "Coolness ist oft mit Hollywood verbunden", sagt Breil. "Es war nicht allein die Jeans als Kleidungsstück, sondern der ganze Habitus, mit dem Schauspieler wie Dean und Marlon Brando ihre Rollen der rebellierenden jungen Männer interpretierten." Dieser Habitus habe überall Nachahmer gefunden. Nach dem Zweiten Weltkrieg war die Jeans mit den amerikanischen GIs auch nach Europa gekommen – "und wurde zum Symbol für die rebellische mitteleuropäische Jugend der Nachkriegszeit". Dabei war sie ursprünglich etwas ganz anderes: Arbeitskleidung für die Goldsucher an der amerikanischen Westküste. "Ohne den Goldrausch gäbe es keine Jeans."
Als Levi Strauss in den 1850er Jahren von den Goldfunden an der Westküste hört, zieht er nach San Francisco. Seine Familie hatte schon in New York Textilien vertrieben, Strauss baut in Kalifornien einen Kurzwarenhandel auf. Schnell bemerkt er, dass die Goldschürfer für ihre Arbeit in den Minen robuste Hosen brauchen. Er verkauft Segeltuch-Ballen an die Schneider, die daraus Arbeitskleidung nähen. Eines Tages kommt einer dieser Schneider auf ihn zu, Jacob Davis, sein Name ist heute fast vergessen. Er hat die Idee, die Hosen für die Goldsucher mit Nieten von Pferdegeschirr zu verstärken, besonders die Hosentaschen, die schnell reißen, wenn die Arbeiter sie mit Steinen vollstopfen.
Im Mai 1873 erhielt Levi Strauss das Patent auf die Jeans
Davis beherrscht die Technik, Strauss hat das Geld, am 20. Mai 1873 erhalten beide das Patent auf die vernietete Arbeitskleidung. 68 Dollar soll das Schutzrecht gekostet haben. "Waist Overall" nennen sie ihr Kleidungsstück, der Name Jeans ist da noch weit weg. Statt Segeltuch verwenden sie bald das strapazierfähige Denim, ein festes Baumwollgewebe. 1890 dann ist sie geboren: die "Levi's 501", die vielleicht berühmteste Hose der Geschichte, benannt nach ihrer damaligen Produktionsnummer. Und während die Hoffnung auf Reichtum durch den erträumten Fund des edlen Metalls sich allzu oft zerschlägt, macht die Hose Levi Strauss und Jacob Davis zu reichen Männern.
Historikerin Michaela Breil trägt natürlich auch Jeans: "Mein absolutes Lieblingskleidungsstück." Muss sie ja sagen, denkt man, aber ihr versonnener Blick wirkt, als würdigte sie in Gedanken noch einmal jede Jeans aus ihrem Besitz. "Ich wollte schon mit 13 eine US-Jeans haben", erinnert sie sich, als sie in der Ausstellung an Bravo-Covern mit Elvis Presley vorbeischlendert. Allzu cool war sie dann trotzdem nicht: "Meine Mutter hat eine Borte drangenäht, weil sie irgendwann zu kurz wurde." Heute kann sie darüber lachen, damals eher nicht.
In die Jeans schreibt sich die persönliche Lebensgeschichte ein – vor allem, hält man sich an das alte Puristen-Gebot: Bloß nicht in die Waschmaschine! Jede Gebrauchsspur auf dem Stoff hat ihre Geschichte. Die Jeans ist wie ein Tattoo, das man ablegen kann. Durchschnittlich acht Jeans besitzt jeder in Deutschland. "Der Name Jeans kam mit der Kommerzialisierung hierzulande an, im Neckermann-Katalog Anfang der Fünfzigerjahre hieß sie noch Cowboyhose", sagt Breil. Auch in den USA hatte sich der Name erst Jahrzehnte nach dem Goldrausch etabliert. Die Arbeitskluft ähnelte Baumwollhosen aus Genua, auf Englisch nach ihrem Herkunftsort "Genes" genannt. Die Goldsucher schürften längst kein Gestein mehr, doch der Slang-Begriff Jeans schleifte sich im Sprachgebrauch ein.
Die größten Veränderungen der Jeans? "Erst trug man sie mit Hosenträgern, bald fielen die Knöpfe dafür weg und die Jeans bekam Schlaufen für den Gürtel. Außerdem ersetzten Strauss und Schneider Davis die Nieten an Taschen und im Schritt durch doppelte Nähte. Nieten wurden nämlich nicht nur heiß am Lagerfeuer, sondern zerkratzten auch den Pferdesattel beim Reiten", erklärt Breil. In den Sechzigern etablierten sich Frauenschnitte und setzten sich dank der Modedesigner in den Achtzigern endgültig durch. Reines Denim findet man heute kaum noch, der Massenmarkt will Elastan.
Brad Pitt und Brooke Shields warben für die Jeans
Schwach weht noch der Geist von Freiheit und Wildwest, wenn man in der Ausstellung im Tim an den Werbeplakaten aus den Achtziger- und Neunzigerjahren kleben bleibt: Brad Pitt in der Wüste, breitbeinig in Levi's-Jeans, weißem Shirt und Cowboystiefeln. Sein Haar ist zerzaust vom Wind. Daneben Brooke Shields in Calvin Klein, die Jeans als sexy Outfit inszeniert. Nichts komme zwischen sie und ihre Jeans, dieser Slogan war damals ein Skandal, Shields war erst 15, nennt sich selbst im Nachhinein naiv. "Solche Bilder – vor allem aber die von James Dean und Brando in Jeans – sind im kollektiven Gedächtnis verankert. Die Mythen um Freiheit und Rebellion triggern bis heute."
Im Einkaufszentrum dominiert die neongelb ausgeleuchtete Realität. Für Mythen ist kein Platz zwischen den voll gepferchten Regalreihen und Kleiderstangen der Modeketten, in denen es immer etwas chemisch riecht. Hier gibt es die Jeans für 24,99 Euro, schnelle Mode statt Atem der Geschichte. Ausgewaschen und löchrig direkt von der Stange, imitieren sie eine Lebensgeschichte, wenn die Trägerinnen und Träger selbst noch keine haben. "Das ist eben Mode", sagt die Historikerin und zuckt mit den Schultern. "Die Jeans ereilte dasselbe Schicksal wie das Skater-T-Shirt oder die Lederjacke: Einst ein rebellisch-cooles Kleidungsstück, wird sie durch Filme und Medien zum Massenphänomen, wird kommerzialisiert, kommt auf die Laufstege der großen Designer und verliert ihren Coolness-Faktor." Wer heute Jeans trägt, schwimmt mit dem Strom statt dagegen. Aber irgendwie schließt sich da auch der Kreis. Heute ist die Jeans wieder das, was sie vor 150 Jahren für die Goldsucher war: ein Kleidungsstück für ganz normale Tage.