„Houston, wir haben ein Problem.“ Der zum geflügelten Wort gewordene Notruf wird im Deutschen zwar nicht ganz korrekt zitiert, weil US-Astronaut Jack Swigert an jenem 13. April 1970 nach der Explosion eines Sauerstofftanks der auf dem Weg zum Mond befindlichen Raumfähre „Odyssey“ in der Vergangenheitsform die Kommandozentrale in Texas anfunkte („Houston, we've had a problem here.“).
- Hier gibt es den Liveticker der s. Oliver Baskets gegen den Mitteldeutschen BC zum Nachlesen
Sei's drum: Im Englischen nimmt man die Verlaufsform auch gerne mal für Ereignisse, deren Auswirkungen bis in die Gegenwart reichen. Das SOS, das die US-Raumfahrtmission Apollo 13 erst legendär gemacht hat, werden sich nach den jüngeren Auftritten in der Liga auch Anhänger und Verantwortliche von Basketball-Bundesligist s.Oliver Würzburg mehr als einmal gedacht haben. Die Baskets hatten echt große Probleme, in München, gegen Oldenburg und vor allem in Vechta. Und nun hat ihnen tatsächlich einer aus Houston geholfen.
Außergewöhnliche Vorstellung
„Wurde auch mal Zeit“, meinte Baskets-Trainer Denis Wucherer am Samstagabend in der Stadthalle zu Weißenfels, wo er Cameron Wells sogar mit einem Sonderlob bedachte, nach dem 97:84 (46:45)-Erfolg seiner Mannschaft beim Mitteldeutschen BC. Wucherer pickt sich – zumindest öffentlich – nur sehr selten einzelne Spieler heraus, um sie zu loben oder zu kritisieren. Diesmal sprang er über seinen Schatten, weil die Vorstellung von Wells mit 16 Punkten und 15 Vorlagen (so viele hat er noch nie in einer Bundesligapartie gegeben) außergewöhnlich war. Der in Houston geborene Amerikaner führte die Würzburger zum fünften Saisonsieg in einer Art, die sich fundamental unterschied zu den meisten seiner Vorstellungen im Baskets-Dress zuvor.
Das Gefühl des Trainers
In Bremerhaven sicherte der 30-Jährige am Ende entschlossen den Sieg, häufig spielte er ordentlich, manchmal auch nur ein bisschen Alibi, halt so, damit niemand wirklich böse sein oder groß rumkritteln konnte. Seinem wahren Leistungsvermögen aber schaute Cameron Wells zwischenzeitlich schon auch mal mit dem Fernglas hinterher. „Ich hatte heute das Gefühl, dass er das Spiel unbedingt gewinnen wollte und wirklich alles dafür tat, um das Team zu führen“, sagte Wucherer. Der Trainer war mit seinem Gefühl nicht alleine.
Es schaut meistens sehr elegant aus, wenn Modellathlet Wells, dessen 94 Kilo sich auf 1,86 Meter verteilen, zum Dribbling ansetzt, oder wenn er wieselflink und mit Verve in Richtung Brett zieht und dann zum Korbleger oder einen seiner Floater ansetzt. Manche glauben ja, Wells mag diese Technik, den Ball über den (größeren) Gegner in den Korb zu schubsen, weil ihm der Biss fehle und er – würde er fechten – eher das Florett als den Säbel in die Hand nehmen würde. In Weißenfels bewies er eindrucksvoll das Gegenteil. Er kann beides: elegant spielen. Und hart. Die „erhöhte Aggressivität“ und das „gute Team-Basketball“ machte Wells als Schlüssel für den nach ausgeglichener erster Hälfte im dritten Viertel gegrundsteinlegten Erfolg aus. „Wir waren heute vier Viertel lang fokussiert.“
Der effektivste BasketsAkteur
„Wir haben heute eine gute Intensität über weite Strecken der Begegnung gehabt, und das hat sich in der zweiten Halbzeit ausgezahlt“, sagte Wucherer, der Wells und Skyler Bowlin, die er beide aus seiner Gießener Zeit kennt, frühzeitig für die Baskets verpflichtete – „weil ich überzeugt von den Jungs bin“. Gerade jetzt, wo Bowlin nach seiner Verletzung noch Rhythmus und Form sucht, ist es umso wichtiger für die Baskets, dass Wells das Heft in die Hand nimmt. Gut zehn Punkte machte er im Schnitt in den 14 Spielen bisher, ist mit knapp sieben Vorlagen pro Partie der zuverlässigste Passgeber und überdies der effektivste Baskets-Akteur.
Er kann sowohl Aufbau als auch Flügel
Der Texaner, der im Militärcollege The Citadel in Charleston das Bällewerfen lernte und im holländischen Zwolle seinen ersten Profivertrag unterschrieb, ist ein Comboguard, heißt: Wells kann sowohl Aufbau als auch Flügel. Und dass er sich zu einem gestandenen Bundesligaprofi mit einer Berufung ins Allstar-Team 2017 entwickelte, war nach einer Knieverletzung, die ihn 2013 zu einem Jahr Pause gezwungen hatte, auch nicht selbstverständlich. Nach drei Jahren in Gießen wechselte Wells 2017 zum zehnfachen italienischen Meister Pallacanestro Varese, ehe er Wucherers Ruf nach Würzburg folgte.
Zufrieden und entschlossen
Apollo 13 war der einzige Nasa-Flug zum Mond, der abgebrochen werden musste. Das Ziel wurde nicht erreicht. Am Samstagabend auf dem Parkett in Weißenfels schaute Cameron Wells nicht nur zufrieden, sondern auch sehr entschlossen, als er sagte: „Wir wollen nach wie vor die Play-offs erreichen. Und dafür müssen wir so weitermachen.“ Vor allem auch er, der Kommandant in der Zentrale des Baskets-Spiels.