
„Hier gibt es sogar eine kleine Wind-Düse“, berichtet er und stapft über die braunen Erdhügel, sein Mountainboard unter dem Arm. Wäre die Düse heute nicht nur eine gemütliche Brise, er würde sich seinen Gurt umschnallen, den Drachen auspacken und sich auf dem Brett mit den roten Rollen vom Wind über den Acker ziehen lassen. Aus Gaudi und aus Trainingszwecken. Trockentraining sozusagen. Denn eigentlich ist der gebürtige Würzburger Kitesurfer, sein Kapuzenpulli ein Neoprenanzug, der Acker das Meer und sein Name in diesem Jahr zum ersten Mal auf der Teilnehmerliste des Worldcup 2007.
„Angefangen habe ich mit ungefähr 14 Jahren, inspiriert durch meinen Austauschschüler aus England“, erzählt Schiegnitz, einige hundert Meter von seinem Home-Spot entfernt, im Wohnzimmer. „Der war begeisterter Drachensteiger und hat mir meinen ersten Lenkdrachen geschenkt.“ Mit dem verschwand der heute 20-Jährige regelmäßig hinter dem Haus. Zunächst blieb er mit den Füßen am Boden. Später dann spannte er den Drachen im Sommer vor das rollende Brett, im Winter vor das Snowboard.
Auf dem Acker und im Schnee lernte Jan Schiegnitz das Gefühl für den Drachen und das Gespür für Wind. Später kam das Kitesurfen dazu, die Königsklasse der Drachensportarten. Nicht ganz leicht zu erlernen, denn es fordert „alle deine Sinne und Konzentration“, um das Brett in der Spur, den Kite am Himmel und man selbst in Fahrt zu halten.
Vielleicht ein Grund, warum diese Wassersportart so sehr fasziniert und in den letzten Jahren die rasante Zuwächse hatte. In Deutschland wird die Szene auf 10 000 Anhänger geschätzt, weltweit auf 160 000. Trotzdem ist Kitesurfen noch eine junge Sportart, mit fast täglich neuen Erfindungen und Verbesserungen. Sucht man die deutsche Spitze, findet man rund 30 Männer und Frauen, die sich auf den Meisterschaften tummeln.
Ob sich Jan Schiegnitz auch dazu zählt? Der blonde Surfer, mit den blauen Augen blickt ein wenig verlegen auf die Tischplatte vor seiner Nase. „Schon“, sagt er. Das Fundament dazu hat er im letzten Jahr in Windeseile gelegt: Nach dem Abitur verließ er Würzburg und machte zwei Monate Trainingslager mit sich selbst und der Ostsee, fuhr seine ersten Wettkämpfe und gewann. Nicht immer den ersten Platz, dafür aber mehrere Sponsoren, einen Platz auf der Weltrangliste und viel Erfahrung.
Unfälle mit Todesfolge
Wie lebensnotwendig die manchmal sein kann, zeigen die Kite-Unfälle mit Todesfolge, die immer wieder einmal wie eine dunkle Wolke über die Szene wabern. „Sobald Wind und Wetter extrem und nicht mehr berechenbar sind, wird's gefährlich“, erklärt Schiegnitz. „Und: Du musst deinen Schirm einschätzen können, zwölf Quadratmeter Tuch am Himmel können unangenehm heftig ziehen.“ Oder auch der, der anderen: Denn wo sich vor ein paar Jahren drei bis vier Schirme über die Wellen bewegten, sind es mittlerweile an die 100. Rund dreißig Meter lang sind die Leinen, an denen der Drache über seinem Fahrer schwebt. Wie messerscharf diese sein können, hat Jan Schiegnitz am eigenen Leib erfahren. Eine kleine Narbe am Hals verrät die Stelle, an der ihm ein fehlgelandeter Kite im Wasser einmal beinahe den Kopf rasiert hätte. „Es werden auch leider immer mehr Spots geschlossen“, sagt er. Denn die Drachen fliegen nicht nur auf Köpfe, sondern auch in Häuser oder Naturschutzgebiete.
Und trotzdem: Wer in diesen Tagen mit einer Wassersportart anfängt, wählt oft das Kitesurfen. „Uns gehören drei Dimensionen, das Gleiten und das Fliegen“, fasst Jan Schiegnitz zusammen, was die Menschen an der Sportart reizt. Dabei gehört nur „gleiten und fliegen“ auch der Vergangenheit an. Heute geht es um Tricks. Schnelle Rotationen in der Luft zum Beispiel, Sprünge mit ausgehakter Verbindung zur Lenkstange. Wer diese währenddessen auch noch einmal hinter dem Rücken durchreichen kann, dürfte bei den 30 besten Deutschen ziemlich weit vorne mitmischen.
Von denen ist Jan Schiegnitz noch einige Kite-Schnur-Längen entfernt. Noch, denn ab diesem Herbst hat er den welligen Boden seines Acker-Home-Spots gegen einen Home-Spot mit echten Wellen an der Ostsee getauscht. Zum Medizin-Studium zieht er nach Kiel. Doch das ist eher zweitrangig. Denn von seiner Studentenbude sind es nicht nur zehn Minuten zur Uni, sondern auch an den Strand.
Im Blickpunkt
Kite-Surfen
Ein Drache als Fortbewegungsmittel – die Idee gibt es schon lange. Selbst Reinhold Messner ließ sich auf diese Art und Weise über den Nordpol ziehen. Mitte der 80-er Jahre spannte dann der Schweizer Andreas Kuhn als erster seinen Paraglider vor sein Wakeboard-ähnliches Brett. Die eigentlichen Urväter des Kitesurfens aber sind die Familie Roeseler aus Seattle/USA und die beiden französischen Brüder Dominique und Bruno Legaignoux. Letztere entwickelten den WIPIKA-Drache, der sich mit seinen aufblasbaren Luftkammern aus dem Wasser heraus relativ leicht starten lässt. Seit 1997 werden Kiteboards und Drachen serienmäßig produziert und verkauft.