Michael Schiele wirkt gelöst, als er zum Gesprächstermin im Garten des Teamhotels der Würzburger Kickers in Oberstaufen kommt. Fünf Tage hat der Cheftrainer mit seinem Team im Allgäu trainiert. Der 40-Jährige strahlt Zuversicht aus. Dabei könnte die kommende Saison in der Dritten Liga eine schwierige werden. Ein Gespräch über Transfers, Konkurrenten und Schieles neuen Stil auf dem Trainingsplatz.
Frage: Das WM-Endspiel haben Sie zusammen mit der Mannschaft hier im Trainingslager in Oberstaufen angeschaut. Wie haben Sie die restliche Weltmeisterschaft verfolgt?
Michael Schiele: Ich habe versucht, möglichst viele Spiele zu schauen. Wir haben die WM auch zusammen mit dem Team verfolgt, wenn es gerade gepasst hat. Man muss als Trainer auf der Hut sein, muss die neusten Trends im Fußball kennen.
Was ist Ihnen in Russland aufgefallen?
Schiele: Dass viele Tore durch Standards gefallen sind, weil viele Mannschaften sich immer wieder neue Varianten einfallen lassen. Es wurde wenig Angriffspressing gespielt. Viele Mannschaften haben relativ tief verteidigt. Es wurde oft auf Konter gesetzt. Eine Kontermannschaft hat auch das Turnier gewonnen und viele sind mit dieser Art zu spielen weit gekommen – auch Außenseiter. Wobei man sagen muss, dass mit Kroatien auch ein Team im Finale stand, das versucht hat, selbst das Spiel zu gestalten.
Hat ein solches Turnier Einfluss auf den Alltag in der Dritten Liga? Was nehmen Sie für sich aus der WM mit?
Schiele: Ich hatte meine Schlüsse schon vor der WM gezogen. Aber ich glaube, dass wir von der ersten bis zur dritten Liga jetzt viele WM-ähnliche Spiele sehen werden. Dass es schwer ist, einen Gegner zu bespielen, hat diese WM gezeigt. Viele Mannschaften trainieren am guten Defensivverhalten und vernachlässigen dafür die Offensive. Das wollen wir nicht tun.
Welche Art Fußball wollen Sie zeigen?
Schiele: Es soll wieder unangenehm werden, gegen uns zu spielen. Die Gegner sollen sich an uns abarbeiten. In der Offensive will ich mit zwei Stürmern agieren, aber wir wollen darauf achten, dass wir flexibel bleiben. Wir haben die Schlüsse aus der letzten Saison gezogen. Man macht sich als Trainer Gedanken, und ich hoffe, dass man das auf dem Platz dann auch sieht.
Das Kickers-Team hat im Sommer sein Gesicht verändert. Worauf haben Sie bei den Neuzugängen besonders geachtet?
Schiele: Zunächst einmal muss man sagen, dass der Kern des Teams aus der Vorsaison zusammengeblieben ist. Allgemein gilt: Die Spieler, die wir brauchen, müssen flexibel sein, müssen möglichst auf mehreren Positionen spielen können. Auch weil unser Kader eher klein ist. Außerdem haben wir junge Spieler geholt, die sich entwickeln und den nächsten Schritt machen wollen. Das hatte sich angeboten, da wir auch auf die U-23-Regelung (Anm. der Redaktion: mindestens vier Spieler im Aufgebot müssen bei jedem Spiel unter 23 Jahre alt sein) achten mussten. Ein wichtiger Punkt ist natürlich auch, woher man die Spieler holt. So wusste ich zum Beispiel bei den beiden Heidenheimer Neuzugängen, dass diese Spieler einiges gewohnt sind, obwohl sie nicht oft gespielt haben.
Wie zufrieden sind Sie mit den Neuen bisher?
Schiele: Man sieht, was ihre Stärken sind, was sie können. Und, was das Wichtigste ist, man merkt schon in den ersten Wochen eine Entwicklung. Wir sind auf einem guten Weg.
Mit Enes Küc und Daniel Hägele sind zwei Neuzugänge derzeit verletzt. Sie hatten für Hägele eine besondere Rolle im Team vorgesehen. Inwiefern ist seine Verletzung ein Problem?
Schiele: Natürlich ist Daniel Hägele ein erfahrener Drittliga-Spieler, der weiß, was in dieser Liga auf uns zukommt. Wenn er fit ist, ist er eine Säule in unserem Spiel. Wir wussten, dass er verletzt ist, dass der Weg zum Einstieg bei uns womöglich etwas steiniger verläuft. Dass es nun etwas länger dauert, ist sicherlich nicht positiv, aber es wird alles dafür getan, dass er uns bald helfen kann. Bei Enes Küc hat man auch schon gesehen, dass er ein Spieler ist, der den Unterschied ausmachen kann. Seine Verletzung ist sehr schade. Aber in wenigen Wochen ist er möglicherweise auch schon wieder dabei. Wir blicken nach vorne. Und der Kern der Mannschaft aus der vergangenen Saison muss nun eben den nächsten Schritt machen und zusammen mit den Neuzugängen, die im ersten Spiel auf dem Platz stehen, das Fehlen der beiden ausgleichen.
Mit Sebastian Neumann hat der Kapitän den Klub verlassen. Sie müssen eine neue Hierarchie in der Mannschaft etablieren . . .
Wir haben noch immer viele Führungsspieler im Team, die auch vergangene Spielzeit schon Verantwortung übernommen hatten. Spieler, die viele Partien in der Dritten Liga absolviert haben oder auch schon höherklassig gespielt haben wie unser neuer Kapitän Sebastian Schuppan, Maximilian Ahlschwede, Orhan Ademi, Patrick Göbel oder Dennis Mast. Vielleicht nicht so viele wie in anderen Vereinen, aber doch genügend, um das Team zu führen. Wenn ich sehe, mit welcher Intensität das Team trainiert, mache ich mir da wenige Gedanken.
Sie sind zum ersten Mal in der Sommerpause als Cheftrainer für ein Team zuständig, haben diese Mannschaft selbst mit zusammengestellt. Spüren Sie eine noch größere Verantwortung als in der vergangenen Saison?
Schiele: Die große Verantwortung habe ich schon ab dem Moment gespürt, in dem ich die Mannschaft übernommen habe. Aber die trage ich gerne. Ich mache mir da keinen großen Kopf. Natürlich denkt man mal kurz darüber nach. Aber ich habe in der vergangenen Saison die Situation auch so angenommen, wie sie war und habe da nie versucht, Verantwortung abzuwälzen, mich rauszureden. Mit Fabio Kaufmann haben wir im Winter noch einen Spieler dazu geholt, der noch eine andere Mentalität ins Team gebracht hat. Jetzt haben wir, mit den Mitteln, die zur Verfügung stehen, versucht, das Beste herauszuholen. Wir halten noch immer die Augen offen, um uns noch weiter zu verstärken.
Sie sind nun ein Dreivierteljahr Cheftrainer. Wie hat sich Ihr Verhältnis zu den Spielern verändert?
Schiele: Am Verhältnis hat sich nicht viel geändert. Aber ich bin in der einen oder anderen Situation härter geworden – auch auf dem Trainingsplatz, wenn mir etwas nicht passt. Am Anfang hat man vielleicht doch noch mal ein Auge zugedrückt oder wollte nicht der Buhmann sein. Als ich dann vom Interims- zum Cheftrainer geworden bin, hat sich das schon verändert. Aber ich glaube, dass ich jetzt noch einmal konsequenter geworden bin und auch eine aggressivere Herangehensweise habe. Am Ende aber wissen die Jungs, dass das alles zum Wohle des Teams ist.
Haben Sie diesen Wandel bewusst vollzogen oder hat sich das so ergeben?
Schiele: Das ergibt sich aus der Situation. Es sind neue Spieler dazu gekommen, die die Abläufe noch nicht kennen, die vieles erst lernen müssen. Da muss man viel erklären und hat womöglich auch den Daumen noch einmal fester darauf gelegt.
Im Trainingslager ist mit Johannes Egelseer ein Fitnesstrainer dabei. Er ist während dieser Vorbereitung noch mehr als in der Vergangenheit in die Abläufe eingebunden. Ein neuer Akzent, den sie setzen wollen?
Schiele: Ich wollte das so haben, um an manchen Aspekten noch gezielter zu arbeiten. Die Spieler bekommen einen exakten und individuellen Plan, wie sie in einzelnen Bereichen zulegen können. Der eine oder andere muss zudem präventiv viel tun, damit das Knie oder das Sprunggelenk besser geschützt sind.
Die Dritte Liga ist in diesem Jahr – aufgrund der vielen prominenten Namen – nicht nur sehr attraktiv, sondern sicher auch sehr schwierig. Macht es Ihnen Sorgen, dass es diesmal vier Absteiger gibt? Oder sind Sie sich sicher, dass die Kickers mit dem Abstiegskampf nichts zu tun haben werden?
Schiele: In dieser Liga kann so viel passieren – nach oben und nach unten. Ich bin ein positiver Typ. Wir gehen diese große Herausforderung nun gemeinsam an. Die Jungs werden am Ende der Vorbereitung fit sein. Die Spieler sind extrem willig. Viele Mannschaften werden eine größere individuelle Qualität haben als wir. Aber wir werden ein sehr gutes Team haben, in dem der eine für den anderen da ist. Das war mir schon immer wichtig und ist jetzt noch wichtiger. Angst habe ich keine. Es ist natürlich immer schöner, wenn weniger Mannschaften aus einer Liga absteigen müssen. Mir wären vier Aufsteiger lieber (lacht).
Was sind Ihre Gedanken, wenn Sie auf die Transfers der Kontrahenten schauen, wie zum Beispiel in Uerdingen, wo Kevin Großkreutz für angeblich 300 000 Euro Ablöse verpflichtet wurde?
Schiele: Es ist erstaunlich, was da mit einem Oligarchen im Rücken möglich ist. Ich habe vieles ja auch nur gelesen. Zum Beispiel, dass bei 1860 noch einmal zwei Millionen Euro locker gemacht wurden. Da können wir nicht mithalten und wollen das auch gar nicht.
Sind Sie nicht einmal auf die Idee gekommen, zu ihrem Aufsichtsratsvorsitzenden Thorsten Fischer zu gehen und zu fragen, ob er nicht auch noch mal etwas Geld für Transfers auf den Tisch legt?
Schiele: Nein! Wir haben von Beginn an das Budget festgelegt, was uns für Transfers zur Verfügung steht. In diesem Plan bewegen wir uns. Es ist noch ein bisschen was übrig, und schauen wir doch einmal, was sich noch ergibt. Aber bleiben wir doch einmal auf dem Boden: Im Wintertrainingslager in Spanien haben wir gegen eine gute Darmstädter Mannschaft mit Kevin Großkreutz 0:0 gespielt. Da hat er uns auch nicht gerade niedergemacht. Die sollen alle mal kommen, wir freuen uns auf diese namhaften Gegner!
Welche Kriterien soll der Stürmer auf Ihrer Wunschliste denn erfüllen?
Schiele: Er soll Tore schießen können. Das ist natürlich entscheidend, aber dafür gibt es ohnehin keine Garantie. Außerdem braucht er entweder eine gewisse Dynamik oder körperliche Robustheit. Wir haben die Augen und Ohren offen.
Im Oktober werden Sie seit einem Jahr Cheftrainer sein. Ist es für Sie ein besonderes Gefühl, wenn Sie daran denken, dass Sie nun im WM-Stadion am Kaiserslauterer Betzenberg eine Mannschaft coachen werden?
Schiele: Wenn Sie das so sagen und ich darüber nachdenke: Das ist natürlich schon geil. Sechzig, Lautern, Braunschweig . . . In Braunschweig habe ich meine erste Drittliga-Partie als Spieler gemacht. Die Atmosphäre dort ist der Hammer. Daran erinnere ich mich heute auch noch gerne. Ich glaube auf solche Partien freut sich jeder. Aber am Ende geht es um die Mannschaft, um den Erfolg des Teams. Da muss man einfach Spaß haben, richtig Bock darauf haben und die Gegner richtig ärgern wollen. Wer in solchen Spielen mutlos ist, hat wahrscheinlich schon verloren. Aber ich weiß, wenn wir alles raushauen, dann wird es auch für diese Teams schwer werden, uns zu besiegen. Davon bin ich überzeugt.
Sie wollen sich nicht auf ein Saisonziel festlegen, sondern sprechen von Etappen. Wann endet die erste Etappe und wie lautet Ihr Ziel?
Schiele: Das haben wir noch nicht festgelegt. Wir werden das zusammen mit der Mannschaft erarbeiten. Ich will von den Spielern wissen, welche Ziele sie haben. Das bleibt dann intern, und wir gehen gemeinsam diese Ziele an.