
Steven hasst Joggen. „Ich finde es einfach langweilig.“ Und dennoch läuft der 25-jährige Heilbronner, der 2009 zum Studium der Wirtschaftswissenschaften nach Würzburg gekommen ist, im Sommer drei-, viermal vom Judenbühlweg bis zum Schützenhof und wieder zurück. Mal eine einfache Runde von 20 Minuten, mal eine Dreiviertelstunde lang ist die Variante mit Wiederholung. Je nach Wetter, Lust und Laune.
An sich noch nichts Besonderes – sieht man von der ersten, großen Steigung gleich zu Beginn der drei oder sechs Kilometer ab. Aber der athletisch gebaute, durchtrainierte VWL-Student im Masterstudium joggt nicht nur wie Tausende in seinem Alter. Nein – seit Mai 2012 kombiniert er Laufen mit seiner Leidenschaft: Basketballspielen. Basket-Jogging könnte man das nennen. Abgeschaut hat er sich das von dem US-amerikanischen Basketballer Allan Iverson, einem der besten Werfer der 2000er. Der NBA-Profi war in einem Video auf YouTube beim Dribbeln mitten in der Stadt zu sehen. „Sehr cool“ fand er das und dachte sich: „Das mach’ ich nach.“
Allerdings hat er das Ganze doch etwas abgewandelt: „Wenn ich bergaufwärts jogge, ist das gut für meine Kondition, und bergabwärts verbessert das die Koordination. Meine Balltechnik ist nämlich mein Schwachpunkt“, erzählt er. Basketball spielt er, seit er 17, 18 ist. „Das ist interessanter und schneller als Fußball“, sagt er. Wenn er Zeit hat, trifft er sich mit Kumpels zwei-, dreimal in der Woche zum Uni-Basketball.
Er ist ein Bewegungs-Freak: „Sport hab’ ich eigentlich schon immer gemacht. Kampfsport, 100- und 200-Meter-Sprint, Inline-Hockey.“ Seine Eltern haben in ihrer Jugend viel Sport getrieben und in der Sowjetunion an Wettkämpfen teilgenommen. So überrascht es nicht, dass er schon als Kind sehr sportlich und der Schnellste in seiner Klasse war, wie er sagt. 1998, mit zehn Jahren, ist er aus Karaganda in Kasachstan nach Heilbronn gekommen. Dort hat er dann Leichtathletik im Verein getrieben. Seit vier Jahren geht er regelmäßig ins Fitnessstudio. „Das ist nicht langweilig. Kurz, knackig, intensiv“, sagt er. Dort trainiert er nicht nur an den Maschinen, sondern auch mit den Kurz- und Langhanteln, beim Bankdrücken schafft er 80 Kilogramm. Sein Ziel: ein athletisch-muskulöser Körper mit wenig Körperfett. „Ein Sixpack habe ich ansatzweise schon“, sagt er. Die Oberarme sind jedenfalls ziemlich muskulös.
Joggen hingegen ist nur phasenweise angesagt – je nach Saison: „Lieber im Sommer, aber auch im Winter, wenn es nicht zu kalt ist. Ich ziehe es einfach durch, weil ich weiß, dass es gut ist.“ Ja, ein bisschen masochistisch sei das schon, gibt der Student zu. Aber Kondition, Kreislauf, Fithalten – das ist für ihn Motivation genug. „Wenn Matsch liegt, hab’ ich allerdings wenig Lust.“
Der Student läuft im Judenbühlweg los. Gleich zu Beginn wartet die Hubertusschlucht, der härteste Teil der Strecke. „Doch die schlechte Nachricht ist, dass die Straße sich mit durchschnittlich 14 Prozent gen Himmel neigt“, liest man darüber im Internet bei „www.quaeldich.de“. Er schafft die ungefähr 300 Meter lange Steigung, die selbst auf dem Fahrrad in die Beine geht, in fünf Minuten. Von Anstrengung keine Spur. Gleichmäßig klatscht der Ball auf den löchrigen Asphalt. Linke Hand, rechte Hand, linke Hand, rechte Hand . . .
Im Johannisweg angekommen, übt er auf der jetzt ebenen Strecke nicht nur das Dribbeln, sondern spielt auch den Ball hinter dem Rücken. Der Bonus: der Blick auf Würzburg, das tief unten im Tal liegt. „Nach zehn Minuten schalte ich ab“, sagt er. Gelegentlich dreht er sich auch um die eigene Achse. Dafür erntet er erstaunte Blicke der Wanderer. Ein paar Meter weiter kennt ihn schon die Kuh, die gelangweilt vor einer Scheune liegt und die Augen zur Begrüßung rollt.
Drei, vier Minuten später kommt dem Sportler bergabwärts im Mainleitenweg ein kleiner Junge entgegen: „Achtung, der Ball rollt runter“, ruft das Kind ihm zu. Nach ein paar Sekunden machen Ausflügler im besten Seniorenalter gemächlich Platz, während er Richtung Schützenhof weiter dribbelt. Die Reaktion der Ausflügler: mal bewundernd, mal belustigt. Der Student läuft weiter, obwohl ihm ein Geländewagen entgegenkommt. „Bisher ist noch nie was passiert. Keine Probleme mit Autos“, sagt er. „Ich versuche, mich zu konzentrieren, um den Ball nicht zu verlieren.“ Was die Leute denken, denen er begegnet? Es ist ihm egal.
Nach dem beliebten Ausflugsrestaurant wird die Strecke wieder eben – der Spitalweg. Der Student dribbelt gleichmäßig und genießt ein zweites Mal den Blick auf die Stadt. Schneller Handwechsel, „Crossover“ im Basketballjargon. Gelegentlich spielt er den Ball zwischen den Beinen durch. Scheinbar mühelos. Ball und Asphalt harmonieren gut. Tap, Tap, Tap.
Fünf Minuten später: der Koordinationstest. Die Hubertusschlucht und 300 Meter mit großem Gefälle warten. „Ab und an geht der Ball schon mal ins Aus“, verrät er. Im besten Fall landet er dann im Straßengraben zwischen dornigem Gestrüpp. Manchmal rast er auch rasant ins Steinbachtal . . .
Zurück im Judenbühlweg wirkt er nach 20 Minuten Basket-Jogging nicht sonderlich angestrengt. Und das viel beschworene Glücksgefühl beim Laufen? Fehlanzeige. Dennoch wird er weiter joggen: „Jetzt hab’ ich mehr Ballgefühl, besonders in der schwachen rechten Hand.“